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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

17. 10. 2015 - 15:25

It's the end of the world as we know it

In "Station Eleven" ist der Autorin Emily St. John Mandel eine großartige Geschichte über das Ende unserer Gesellschaft gelungen. Nun erscheint der Roman auf Deutsch - höchste Zeit für eine Empfehlung.

station eleven

Picador

Emily St. John Mandel: "Station Eleven". Die englische Originalausgabe ist bei Picador erschienen.

The king stood in a pool of blue light, unmoored. This was act 4 of King Lear, a winter night at the Elgin Theatre in Toronto. Earlier in the evening, three little girls had played a clapping game on stage as the audience entered, childhood versions of Lear's daughters, and now they'd returned as hallucinations in the mad scene. The king stumbled and reached for them as they flitted here and there in the shadows. His name was Arthur Leander. He was fifty-one years old and there were flowers in his hair.

In diesem Setting beginnt der New York Times Bestseller "Station Eleven" von Emily St. John Mandel: Ein nicht mehr ganz junger Schauspieler namens Arthur stellt in einem Theater in Toronto König Lear dar. Von dieser Begebenheit aus entspinnt Mandel jedoch ein Netz aus Ereignissen, das seinesgleichen sucht.

Apocalypse now

Arthur überlebt diese Nacht nicht, ja, er überlebt nicht einmal den nächsten Akt - er stirbt noch auf der Bühne vor versammeltem Publikum. In diesem Moment des Todes splittert sich die Geschichte auf: wir folgen Jeevan, einem jungen Theaterfreund und ehemaligen Paparazzi, der im Publikum saß. Wir folgen Kirsten, einer der Kinder-Schauspielerinnen im Stück, außerdem Arthurs Ex-Frauen und seinem besten Freund Clark - dem spannendsten Charakter im ganzen Buch - und vor allem Arthur selbst, vor seinem Tod, vor der unausweichlichen Krankheit.

station eleven

Picador

Arthur ist das erste nordamerikanische Opfer der sogenannten "Georgia Flu". Die Krankheit ist vor ihrem Ausbruch in Kanada nur über das Fernsehen bekannt und hat ihren Namen dem Ursprungsort Georgien zu verdanken. Niemand scheint die Bedrohung ernst genommen zu haben und so entwickelt sich in rasender Schnelle eine Pandemie, zuerst in Toronto, dann, wie es scheint in ganz Nordamerika. Als keine Flugzeuge mehr kommen, nimmt man an, dass auch der Rest der Welt betroffen ist. Der Roman verlässt allerdings nie die Gegend rund um die drei großen nordamerikanischen Seen.

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Millionen Menschen sterben und die wenigen, die überleben, leben in einer Welt, die der heutigen nicht mehr gleicht. Es sind die vermeintlich kleinen Dinge, die das erfahrbar machen: es gibt keinen Kaffee mehr, keinen Strom und kein Internet. Während die, die sich an die Zeit vor der Katastrophe erinnern, oft in kläglicher Erinnerung schwelgen, ist für die neugeborenen Kinder so etwas wie WLAN einfach unvorstellbar geworden. Es war überall, in der Luft, aber man hat es nicht gesehen? Eine Parabel auf Gott, der in dieser Welt genauso fehlt, wie Wifi.

City of God

Aber nein, eine neue atheistische Wunderwelt ist durch die Katastrophe auch nicht entstanden. Emily St. John Mandel zeigt erschreckend plausibel, wie schnell sich kleine Sekten zu gefährlichen Zusammenschlüssen mit neuen Werte-Vorstellungen entwickeln können. Überall schießen sie aus dem Boden, die neuen dubiosen Gemeinschaften mit ihren Propheten, denn wer würde sich nicht erhaben fühlen, wenn die ganze Weltbevölkerung dahingerafft wird, nur man selber bleibt verschont?

station eleven

Dese'Rae L. Stage

Emily St. John Mandel, die Autorin von "Station Eleven".
station eleven

Piper

Emily St. John Mandel: "Das Licht der letzten Tage". Die deutsche Ausgabe (Übersetzung: Wibke Kuhn) ist bei Piper erschienen.

Der Roman springt zwischen den Welten hin und her: zwischen der Welt, die wir alle kennen, der Welt von Arthur, in der es Internet und Autos gab, wo man sich um Karriere und Bio-Gemüse Gedanken machen konnte. Und zwischen der Welt der anderen Protagonnist_innen, rund zwanzig Jahre nach dem Ausbruch der Krankheit. Hier lebt auch die nun erwachsene Kirsten, die sich einer wandernden Theatergruppe namens "The Travelling Symphony" angeschlossen hat, um Shakespeare aufzuführen und sein Werk am Leben zu halten. (Ein schöner Kreis, der sich hier Apokalypse-übergreifend schließt.)

Sometimes the Travelling Symphony thought that what they were doing was noble. There were moments around campfires when someone would say something invigorating about the importance of art, and everyone would find it easier to sleep that night. At other times it seemed a difficult and dangerous way to survive and hardly worth it, especially at times when they had to camp between towns, when they were turned away at gunpoint from hostile places, when they were travelling in snow or rain through dangerous territory, actors and musicians carrying guns and crossbows, the horses exhaling great clouds of steam, times when they were cold and afraid and their feet were wet.

Station Eleven

Nun ist das Buch unter dem Titel "Das Licht der letzten Tage" auf Deutsch erschienen und hält dem Original mit Sicherheit stand, auch wenn der Titel im Englischen besser gewählt wurde. Denn bei "Station Eleven" handelt es sich um ein Buch im Buch, welches - Achtung, Spoiler - eine nicht unbedeutende Rolle spielen wird.

Ob Mandels Roman nun "Science Fiction" ist, sei dahingestellt. Die Autorin selbst wehrt sich gegen diesen Begriff, jedoch ist klar, dass das nur i-Tüpfelreiterei ist. "Station Eleven" ist ohne Übertreibung eines der besten Bücher, dass ich in den letzten Jahren gelesen habe. Eine eindeutige Empfehlung.