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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

12. 10. 2015 - 17:07

Leises Biest und lauter Einzelgänger

Zwischen zarten Tönen und starken Ansagen. Das dritte Soloalbum "Overthrown" von Christoph Jarmer alias Esteban's ist ein wundervoll gereiftes und sehr emotionales Werk geworden.

Es fängt ganz harmlos an, mit ein paar rückwärst abgespielten Gitarrensounds und leise gezupften Akkorden. Christoph Jarmers sanfte Stimme hat eine beruhigende Wirkung. Doch unter dieser schönen, klassisch anmutenden Singer-/Songwriter-Oberfläche brodelt es. Das dunkle Biest von Esteban's wird von der Leine gelassen. Selbst die Kinder im Video zur ersten Single "Beast" wirken unheimlich und scheinen symbolisch für archaische, verdrängte Gefühle zu stehen, die jeder Mensch in sich trägt.

Insofern ist "Overthrown", das dritte Studioalbum von Esteban's nur beim ersten Eindruck eine gemütliche, lächelnde Folkplatte. Denn hinter dem reduzierten Sound verbergen sich Geschichten und Situationen, in denen die Tiefe der Seele ausgelotet wird.

Bye, bye, Mutterschiff

Auf die Frage, was denn sein inneres Biest sei, meint Chritsoph Jarmer trocken: "Ich finde, man sollte die dunkle Seite in sich pflegen." Damit stellt er sich gegen den Trend, innere Dämonen wegzutherapieren. Im Gegenteil. Er will seiner - wie er es nennt - "derben, repressiven Art" folgen. Sie bringt ihn dorthin, wo er hinmöchte. Dabei liegt der sympathische, oft lächelnde und sehr aufrichtige Musiker mit seiner Umwelt nicht im Clinch. Vielmehr versucht er auf sich selbst zu hören, um damit Streit und Enttäuschng, die von falschen Erwartungen kommen, zu vermeiden.

Portrait Esteban's

Julia Grandegger

Diese Einstellung hat ihm auch geholfen, nach vielen Jahren seine Herzensangelegenheit und sein musikalisches "Mutterschiff" Garish hinter sich zu lassen. Die Trennung verarbeitet Christoph im Song "Captured". Sein intensiver Gesang steht zu Beginn nur von einer akustischen Gitarre begleitet recht "nackt" im Vordergrund. Man hört viele Gefühlsnuancen heraus, die schlussendlich in einen versöhnlichen und doch traurigen Refrain münden. Auch das Stück "I Set It On Fire" verhandelt die innere Zerrissenheit, die entsteht, wenn man eine lange, identitätsbildende Beziehung aufzulösen versucht. Christoph singt davon, etwas in Brand zu setzen, um wieder inspiriert zu werden. Ein ehrliches, ruhiges und zugleich herzergreifendes Psychogramm eines schwierigen Veränderungsprozesses.

Der Prolet im Songschreiberpelz

Album Cover "Overthrown" Esteban's

Esteban's/Schönwetter

Das dritte Esteban's-Album "Overthrown" ist auf Schönwetter Schallplatten erschienen.

Nicht dass hier ein falscher Eindruck entsteh: Christoph ist nicht der zurückgezogene musikalische Poet - von der Unwegsamkeit des Lebens gezeichnet und aufgrund seiner Sensibilität verzweifelt. Bei einem Song wie "Maverick", mit seinen leicht an Grunge erinnernden Harmonien und dem eindringlichen Gesang, könnte man vermuten, er wäre ein melancholischer Einzelgänger. Christoph selbst sieht sich eher als „durch die Tugend des Liedermachens verhinderter Prolet". So wird auch verständlich, wenn es in "Maverick" heißt:

being average was not the deal / it was just to lame /
fill me up with rock'n'roll / and let me try again

"Overthrown" besitzt eine dunkle Atmosphäre, das liegt an Christophs Vorliebe für Moll-Akkorde. Eine drückende Stimmung mit seiner Musik zu erzeugen ist dem studierten Musiker schon immer leicht gefallen. Dieser vermeintlichen Traurigkeit steht eine gewisse Luftigkeit der Lieder gegenüber, wenn zum Beispiel beim Titelstück zum swingenden Groove im Refrain geklatscht wird und versöhnlich und hoffnungsfroh I want to catch some sunrays gesungen wird.

Wer erzieht hier wen?

Esteban's live:

  • 15.10. WUK Wien/Ute Bock Benefiz
  • 20.11. Orpheum Graz/Autumn Leaves Festival
  • 25.11. dasTAG Wien/Album Release Show
  • 04.12. Röda Steyr
  • 18.12. Weekender Innsbruck
  • 19.12. Spielboden Dornbirn

Auch Christophs Erfahrungen als Vater ziehen sich durch die Songs von "Overthrown". Im Lied "Portrait" denkt er darüber nach, sein Kind formen und beschützen zu wollen. Verbunden mit der Einsicht, dass dieser kleine Mensch - ein scheinbar unbeschriebenes weißes Blatt auf dem man seine Wünsche und Sehnsüchte aufschreiben möchte - einen starken Willen besitzt und sich sein eigenes Bild von der Welt malt. Christophs Erkenntnis als Vater: "Für mich ist Geduld das Um und Auf, wenn man Kinder hat. Ich sehe erziehen mittlerweile eher als begleiten, das fällt mir wesentlich leichter."

Vielleicht hat eher Christophs Tochter seinen Weg begleitet. Denn sie hat mitbestimmt, wo, wie und wann seine leisen Songs entstehen. Als sie ein Baby war hat sie immer zu weinen begonnen, sobald Christoph zu Hause zur Gitarre griff. So entstanden viele der neuen Lieder - wie auch die davor - in den Pausen des Gitarre-Unterrichtens. Auch das vielleicht fröhlichste Stück der Platte: "Hold On". Ein Song über die "Familienpflege" wie es Christoph ausdrückt. Denn für ihn ist klar: "Die Familie ist das Allerwichtigste. Alles andere kann man irgendwie regeln, aber wenn die Pflege der Familie nicht stimmt, dann hat man einfach verloren".

"Overthrown" ist eine unglaublich einnehmende Platte. Auch wenn Christoph Jarmer auf seinem dritten Album viele persönliche Themen verhandelt und uns an seinen Entwicklungen teilhaben lässt, kann man die filigranen, herrlich arrangierten Songs auch als Geschichten hören, die Raum für die eigene Lebenssituation lassen. Das Projekt Esteban's ist darüber hinaus ein Beweis dafür, die Dinge im Leben weiterzuverfolgen, die man sich aus tiefstem Herzen wünscht. Auch wenn das manchmal bedeutet, mit Gewohntem zu brechen und Altes hinter sich zu lassen. Es zahlt sich aus. Immerhin lauscht Christophs Tochter jetzt gespannt, wenn sie die neuen Songs hört. Nicht selten entspannt sie sich dabei so gut, dass sie einschläft. Und das ist wahrscheinlich das größte Kompliment für den Vater.