Erstellt am: 10. 10. 2015 - 13:15 Uhr
25 Jahre Deutsche Einheit
Letzte Woche feierte man in Deutschland und Berlin recht verhalten „25 Jahre Deutsche Einheit“. In Frankfurt am Main gab es einen Festakt, eine Brücke wurde illuminiert, vor dem Berliner Reichstag zündete man ein Feuerwerk und am Brandenburger Tor spielten unter anderem Lena und Revolverheld.
Nun haben ja viele Deutsche eine berechtigte Abneigung gegen den Nationalfeiertag, aber dieses Jahr hatte man noch weniger Lust auf den 3.Oktober, als sonst. Zwar war in den Festreden vom großen Erfolg der Wiedervereinigung die Rede, aber letztendlich sind Ost und West gespalten wie nie zuvor.
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EPA/¦JOERG¦CARSTENSEN
Im Westen distanziert man sich gern vom „hässlichen Osten“ mit seinen besorgten Bürgern, dem xenophoben Dresden mit seinen Pegida-Aufmärschen. Man schämt sich für Orte wie Freital und Heidenau in Sachsen, wo inzwischen nicht nur Nazis sondern auch die berüchtigten „besorgten Bürger“ vor den Flüchtlingsheimen randalieren.
Am „Einheitswochenende“ sind in mehreren sächsischen Städten Tausende Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen Flüchtlinge zu protestieren. Allein in Sebnitz wollten etwa 2.500 Demonstranten mit einer Menschenkette eine "lebende Grenze gegen Flüchtlinge " bilden. Und das in leeren Landstrichen, denen die Leute davonlaufen und wo der Migrantenanteil so niedrig ist, wie sonst nirgendwo in Deutschland. Fast jede Woche brennt irgendwo ein Heim.
Brandanschläge gibt es auch im Westen. Die offiziellen Zahlen besagen aber, dass 2014 jede zweite rechtsmotivierte Straftat im Osten verübt wurde, wobei Ostdeutsche nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen. Zivile Beratungsstellen kommen da zu ganz anderen Ergebnissen - sie haben 2014 für Ostdeutschland 781 entsprechende Taten registriert, während die Bundesregierung auf lediglich 410 kommt.
Fremdenfeindlichkeit hat keine Adresse sondern einen Grund.
Aber warum tut sich das Bundesland Sachsen bei „Pegida“-Demos und Aktionen vor Flüchtlingsheimen besonders hervor?
Die Sachsen sind ein spezielles Völkchen, heißt es, die sich historisch immer schon von den Preußen untergebuttert gefühlt haben. Und die vermehrte Fremdenfeindlichkeit in Ostdeutschland hat komplexere Ursachen: Mangelnde Aufarbeitung des deutschen Faschismus in der DDR-Zeit, viele Einheitsverlierer, das Gefühl eh zu kurz gekommen zu sein.
In einigen englischsprachigen Reiseführern werden Touristen, insbesondere wenn sie nicht weiß sind oder nicht mitteleuropäisch aussehen, davor gewarnt, nach Sachsen zu reisen. Und auch als weiße „Bio- Deutsche“ vergeht einem die Lust auf Ausflüge in Naherholungsgebiete wie die „Sächsische Schweiz“, wo die NPD bei Wahlen in manchen Dörfern über 25 Prozent erreicht. Alles in Allem wenig Grund 25 Jahre deutsche Einheit zu feiern.
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EPA/FREDRIK¦VON¦ERICHSEN
Zynische Worte über Flüchtlinge
Pünktlich zum Jubiläum meldete sich Innenminister Thomas de Mazière zu Wort und verlangte mehr Dankbarkeit von den Flüchtlingen. Außerdem wären sie zu eigenständig, würden die Unterkünfte auf eigene Faust verlassen und hätten sogar Geld für Taxifahrten durch Deutschland. Diese Worte sind nicht nur im wahrsten Sinne des Wortes brandgefährlich, sondern auch extrem zynisch: Flüchtlinge, die sich in Berlin „ordnungsgemäß“ registrieren lassen wollen, müssen unter schlimmen Umständen zum Teil wochenlang vor der Behörde campieren, um eine Wartenummer zu erhalten. Kein Wunder, dass sie auf eigene Faust versuchen, weiter zu kommen. Die vielen ehrenamtlichen HelferInnen vor Ort werden von der Bürokratie behindert.
Dass die Gewalt unter den Geflüchteten in den Heimen zunimmt, ist ebenfalls ein Thema - aber dass Menschen, die man nach lebensgefährlichen Strapazen unter menschenunwürdigen Platz- und ungeklärten Versorgungsverhältnissen in Notunterkünften kaserniert, einander an die Gurgel gehen, ist ja fast ein Naturgesetz.
Die Absicht hinter diesen Ministerworten ist leider allzu durchsichtig: es soll Stimmung gegen Asylsuchende gemacht werden. „Die Stimmung kippt“ wird ja seit Wochen von allen Seiten gewarnt.
Die vielen freiwilligen Helfer, die eine Willkommenskultur etabliert haben, werden inzwischen von konservativen Journalisten als naiv und gefühlsduselig dargestellt. Negative Schlagzeilen häufen sich, als wolle man den Stimmungswechsel gegenüber Flüchtlingen herbeireden.
Die rechte Wut sickert in den Mainstream: Botho Strauß und Rüdiger Safranski klagen über die "Flüchtlingsflut", einen Begriff der Rechten und sprechen in apokalyptischen Bildern vom Untergang der Deutschen. Ältere, männliche, weiße, heterosexuelle Kolumnisten, die bisher gegen Genderwahn, Feminismus und Regenbogenfamilien gewettert haben, warnen vor der „Vermännlichung“ der Gesellschaft durch Flüchtlinge und sehen plötzlich die Rechte von Frauen und Homosexuellen in Gefahr.
Einigermaßen absurd ist, dass sich nur noch die Seiten, denen man als politisch links verorteter Mensch wenig nahesteht , nämlich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die evangelische Kirche, weiterhin für die Aufnahme von Geflüchteten einsetzen.
Der evangelische Bischof von Berlin weist das allgemeine „Die Stimmung kippt“-Gerede zurück: „Im Gegensatz zu anderen glaube ich nicht, dass die gute Stimmung kippt“, sagte er. Die Mehrheit der Bevölkerung sei bereit, sich dauerhaft zu engagieren. „Die Stimmung kippt nur, wenn sie gekippt wird“.
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Soweit wie diese syrischen Facebookuser wollen wir nicht gehen- aber dieser Tage staunen wir doch sehr"
Und die Bundeskanzlerin überrascht immer wieder aufs Neue mit ihrem Bekenntnis zum Asylrecht, das keine Obergrenze hat. Inzwischen hat sie in ihrer eigenen Partei fast alle gegen sich, ihre Umfragewerte sinken, die CDU fürchtet um ihre Wähler, sie aber bleibt bei ihrem Standpunkt.
Am Mittwochabend hat sie sich in eine TV-Talkshow gesetzt, um sich gegen Kritik aus den eigenen Reihen zu verteidigen. Und sie hat die Verantwortung für die Flüchtlingspolitik ihrem Innenminister entzogen und noch einmal klar gemacht, dass sie sich nicht an dem Wettbewerb: „Seid ganz unfreundlich zu Flüchtlingen, damit sie nicht zu uns kommen“ beteiligen wird.
Es bleibt spannend, wie es 25 Jahre nach der Deutschen Einheit weiter gehen wird.