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Daniel Grabner

Geschichten aus on- und offline, zwischen den Zeilen und hinter den Links

10. 10. 2015 - 14:45

Nach dem Ende

In "Eigentlich müssten wir tanzen" stolpern fünf Freunde durch eine karge, post-apokalyptische Welt. Heinz Helle zeichnet in seinem zweiten Roman ein verstörendes Bild der menschlichen Natur.

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Wieder einmal Weltuntergang. Inhaltlich scheint 2015 das Jahr der Katastrophen, der Prä- und Postapokalypsen in der deutschsprachigen Literatur zu sein. Neben der jüngsten Neuerscheinung "Lärm und Wälder von Juan S. Guse, hat sich nun auch Heinz Helle dem Sujet zugewandt. Nach Helles ausgezeichnetem Debüt "Der beruhigende Klang von explodierendem Kerosin" ist nun sein 2. Roman im Suhrkamp Verlag erschienen, der gleich auf der Longlist zum deutschen Buchpreis stand.

In "Eigentlich müssten wir tanzen" blicken fünf Freunde nach einem Kurzurlaub auf einer Berghütte irgendwo in Bayern ins Tal. Dort brennt ein Dorf. Als sie sich zu Fuß auf den Weg nach Hause machen, offenbart sich ihnen eine verlassene, zerstörte Welt. Sämtliche Infrastruktur ist zusammengebrochen, Leichen säumen ihren Weg. Irgendetwas ist passiert, was genau, wissen sie nicht.

“We wouldnt ever eat anybody, would we?

No. Of course not.

Even if we were starving?

We're starving now. […]

But we wouldnt.

No. We wouldnt.

No matter what.

No. No matter what.

Because we're the good guys.

Yes.”

Der Mensch auf dem Prüfstand

Der gemeinsame Nenner vieler Weltuntergangserzählungen: Wenn die Welt untergeht, kommt das wahre Gesicht des Menschen zum Vorschein. Das kann eine entmenschlichte Fratze sein, oder das duldsame Gesicht eines Helden, der sein moralisches Bezugssystem im Überlebenskampf nicht über Bord wirft, der menschliche Ideale über sein eigenes (Über-)Leben stellt. Dieses Motiv steckt schon im Wort: Apokalypse bedeutet übersetzt "Enthüllung" oder auch "Entschleierung". Es zieht sich durch die gesamte Kulturgeschichte. Angefangen bei der biblischen Apokalypse, wo gute und böse Taten der Menschen beim jüngsten Gericht offenbart und geahndet werden, oder im Anglisten-Klassiker "Darkness" von 1817, in dem die Menschen nach dem Weltuntergang zu Kannibalen werden, bis hin zum 2006 erschienenen Roman "The Road" von Cormac Mcarthy, um nur drei Beispiele zu nennen.

Buchcover, verschwommene Gestalten

Suhrkamp

"Eigentlich müssen wir tanzen" von Heinz Helle ist im Suhrkamp Verlag erschienen.

Keine Helden

Helles Zugang ist schonungslos. Nicht unbedingt wegen der Zitate von Sido und Heiner Müller, mit denen der Roman eröffnet. Sondern wegen dem, das danach kommt. Die Geschichte beginnt inmitten des Fußmarsches. Ein namenloser Ich-Erzähler, der meist im Wir der Gruppe berichtet, führt durch die Geschehnisse, die schon auf Seite zwei unangenehm überraschen. Die fünf Männer finden eine apathische Frau im Gebüsch und vergewaltigen sie.

"[…]wir sehen ihren zur Seite geneigten Kopf, ihre jetzt doch noch geschlossenen Augen, und dann hören wir ihre Stimme, ein einziger Ton nur, wieder und wieder und wieder, und all das macht es uns unmöglich, nicht zu denken: Du willst es doch auch."

"And War, which for a moment was no more,

Did glut himself again: a meal was bought

With blood, and each sate sullenly apart

Gorging himself in gloom: no love was left;

All earth was but one thought--and that was death

Immediate and inglorious; and the pang

Of famine fed upon all entrails--men

Died, and their bones were tombless as their flesh;

The meagre by the meagre were devour'd […]”

Danach ist klar: Helden gibt es in dieser Geschichte keine.

Der Blick auf die Dinge

Die 69 Kapitel sind kurz, oft nicht mehr als ein paar Seiten lang und wirken wie Prosa-Miniaturen. Wir erfahren die Vorgeschichte, von der Ankunft der Männer in der Berghütte, bis zu ihrem Aufbruch, und von den Geschehnissen auf der schon fortgeschrittenen Wanderung, die geprägt ist von Hunger und Kälte, von der Suche nach Nahrung und Obdach in einer Welt voller verlassener und verbrannter Überbleibsel der Zivilisation. In kurzen Dialogausschnitten und Erinnerungspassagen wird die Männerfreundschaft umrissen. Golde, Fürst und Gruber bekommen Kontur, Drygalski trägt trotz allem sogar sympathische Züge. Der Protagonist selbst kommt selten zu Wort, oft sieht er sich selbst und der Gruppe zu, protokolliert ihr Verhalten.

Spannend ist dabei sein Blick auf die Dinge. Es ist ein naturwissenschaftlicher, manchmal anthropologischer oder philosophischer Blick, der sich mit einer gewissen Schwermut und Hilflosigkeit zu einer starken, nicht selten poetischen Ausdrucksweise verbindet. Die Erzählweise ist einerseits elliptisch, beleuchtet schlaglichtartig, zoomt dann wieder ganz nahe heran, wird zu einer regelrechten Slomo-Sprache, detailreich und im Fluss.

"Zweige, Äste, Baumstämme nehmen die Bewegung des Windes auf, dazwischen wanken vor mir drei Rücken, darüber drei hängende Köpfe, durch einen langsam weiß werdenden Wald, sechs Schultern neigen sich vor mir abwechselnd nach links und nach rechts, in genauer Entsprechung der unter ihnen sich auf den Boden senkenden Füße. Nach Fieber sieht das nicht aus. Eher nach einem unendlich langsamen Fallen. Als würde die Gravitation nicht mehr auf kürzestem Weg zwischen Körper und Erdmittelpunkt wirken, sondern in riesigen, konzentrischen Kreisen, die uns immer weiter nach vorne zwingen, weiter und weiter, um den gesamten Erdball und irgendwann in die Knie"

Autor, Heinz Helle

Jürgen Bauer

Heinz Helle

Der Fluch der Existenz

Helle entwirft eine düstere Skizze der menschlichen Existenz. Im Vokabular und in den Überlegungen des Ichs klingen sowohl Verweise auf Schopenhauers Pessimismus, als auch auf den modernen Nihilismus an. Die Spannung zwischen den Dingen der außersprachlichen Wirklichkeit und abstrakten Begriffen, Eigennamen, ja, Sprache an sich wird darin befragt. Konzepte wie Gerechtigkeit oder das Gute existieren in so einem Weltbild eben nur noch als solche, und verlieren angesichts der existenziellen Bedrohung, der die fünf Männer ausgesetzt sind, ihre Bedeutung. Auch das abstrakte Konzept der Freundschaft, das, was im Leben der fünf Männer vor dem Untergang damit verbunden war, also Zusammenhalt, Vertrauen, Partizipation, wird in der Postapokalypse zur schlichten, physischen Notwendigkeit, um das Überleben der Gruppe zu sichern.

"Wir stehen eng beieinander, Rücken an Rücken an Seite an Bauch. Wir drehen uns langsam weiter im Verlauf der Nacht, jeder darf einmal in der Mitte stehen, jeder muss ab und zu an den Rand."

Das Ergebnis ist das nicht besonders tröstliche Bild eines denkenden, reflektierenden Menschen, der sich unablässig fragt, was das alles soll, der trotz allem seiner eigenen Verrohung nur hilflos zusehen kann und, der seiner Triebhaftigkeit, wie dem Sexual- oder Selbsterhaltungstrieb, ausgeliefert ist.

"Alles in allem mögen wir diese Welt nicht mehr besonders. Trotzdem setzen wir weiter schön brav einen Fuß nach dem anderen in sie hinein."

Dünner Schleier Zivilisation

Diese meist impliziten, philosophischen Überlegungen hat Helle virtuos in Literatur übersetzt. Die Erzählperspektive führt dem Leser einerseits ein reflektiertes Ich vor, stellt ihm aber andererseits die eindringlichen Bilder der Handlungen dieses Ichs und der Gruppe gegenüber, von der eingangs erwähnten Vergewaltigung bis hin zu Mord und Kannibalismus. Der Schleier der Zivilisation ist dünn, und scheint uns nur allzu leicht zu entgleiten. Was darunter schlummert, will man nicht so ganz wahrhaben. Heinz Helle führt es uns vor.