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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

7. 10. 2015 - 16:17

Wahlwerbung im Neontempel

Ich bin nicht überrascht darüber, dass Parteien in Einkaufszentren Wahlkampf machen. Es gibt wahrscheinlich gar keinen besseren Ort.

Ich spüre eine tiefe Ehrfurcht während ich dieses Einkaufzentrum, in dem ich bisher noch nie war, betrete. Es gibt etwas Religiöses in Einkaufszentren, es sind die Tempel der modernen Gesellschaft. In unserer Welt sind der Trieb zum unendlichen Konsum und der Wunsch, so viele Sachen wie nur möglich zu besitzen, die Barometer unseres Glücks. Unsere Großelterngeneration brachte ihre Kinder in die Kirche. Unsere Elterngeneration in die Natur. Und wir bringen unsere Kinder in die Shoppingmalls.

Shoppingcenter

CC0 - 1.0 - Public Domain

Im Shoppingzentrum ist es sauber wie in einer Kirche und wir werden von allen Seiten von einem göttlichen künstlichen Licht beleuchtet. Es wird zwar keine Messe von Bach auf der Orgel gespielt, aber die Lautsprecher sind überall. Die modernsten Pophits dringen in unser Unterbewusstsein und erobern es. Die Neon-Ikonen lassen uns vor den Sonderangeboten der größten Weltmarken niederzuknien. Wir versprechen ihnen, dass wir unaufhörlich arbeiten werden und sie versprechen uns unendliche Glückseligkeit.

Ich bin nicht überrascht darüber, dass eine der Parteien in Wien eine Wahlkampfveranstaltung in diesem Einkaufszentrum organisiert. Es gibt wahrscheinlich keinen besseren Ort zur Wahlagitation im 21. Jahrhundert. In die Luft steigt statt des Weihrauchgeruchs eine Mischung aus Bratwurst und Huhn Süß-sauer. Auf der Bühne im Einkaufszentrum gibt eine in Trachten gekleidete Band Gas. Sie kommen mir ein Wenig absurd vor, denn im Hintergrund werden die neusten Kreationen der Herbst-Winter-Kollektionen der Weltfashiondiscountgiganten beworben. So viel ich vom Dialektgesang verstehe, singt die Band über Liebe, Trennung und wieder über Liebe.

Ich frage im Publikum nach, ob die Leute mit der Show zufrieden sind. Mit großer Überraschung kriege ich mit, dass die meisten hier nicht für die Partei, die das Konzert veranstaltet, stimmen werden, sondern für ihre größten Gegner. Aber die Show sei spitze! Außerdem ist es so gemütlich im Einkaufszentrum. Bier wird eingeschenkt und Würste werden gebraten.

Manfred, der sicherlich ein paar Gläser zu viel hatte, spricht mit mir. "Bei einem Freund von mir wird die Gastherme ausgewechselt. Er hat kein Warmwasser seit drei Tagen. Es kann nicht sein, dass der Staat dafür sorgt, dass die Asylanten im Warmen schlafen und mein Freund kein Warmwasser hat. Deshalb stimme ich dagegen! Sonst schmeckt mir das Bier und die Musik ist super!"

Ich versuche zu erfahren, wogegen Manfred sonst noch stimmen wird, aber er hat kein Interesse an einer längeren politische Diskussion. Er hat sich wieder seinen Würsten zugewendet.

Ich dachte ja, dass nur in meinem Geburtsland Bulgarien Wähler mit Essen geworben werden. Dort ist es eine Tradition, Cevapi an die Wähler auszuteilen. Anscheinend hat Österreich etwas aus den bulgarischen Erfahrung gelernt, denke ich mir. Wenn die Würste und die Cevapi reden, bleiben die Götter still. Die Neongötter inklusive.