Erstellt am: 6. 10. 2015 - 18:00 Uhr
A Life Worth Living
Ein falsches Leben im falschen. Die Show "Review" hat sich schnell von einem scheinbaren One-Trick-Pony mit einer sehr guten Prämisse zu einem dunklen Entwicklungsroman gewandelt. Entwicklung nach unten. Abstieg, Verfall.
Die von Comedy Central produzierte Show "Review" spielt an der Oberfläche mit den Formaten und Methoden von Mockumentary, Mediensatire und Reality TV: Die Serie handelt von einer/präsentiert sich selbst als fast deckungsgleich mit einer fiktionalen TV-Show, die ebenfalls den Namen "Review" trägt - in ihr geht der fiktionale Moderator Forrest MacNeil (Comedian Andy Daly, der die Show nach australischem Vorbild entwickelt hat) der Überprüfung der letzten Dinge nach: Er erstellt Reviews nicht von Büchern, Platten oder Kinofilmen, sondern von Lebenserfahrungen, die ihm vom ebenfalls fiktionalen Publikum der Show in der Show per Zufallsgenerator zugespielt werden.
Wie ist das so, ein Rassist zu sein? Wie fühlt sich eine Scheidung an? Ein Sextape machen? Eine unbekannte Person heiraten? Die Kamera folgt Forrest bei der Erfüllung seiner seltsamen Missionen, die er hernach mithilfe von Sternen auf einer Skala von einem halben Stern bis zu fünf Sternen bewertet.
Review
Nach der gerade zu Ende gegangenen zweiten Staffel von "Review" darf man wissen, dass die Übergänge von einer flotten Nummernrevue über punktuelle hochkomische Momente, über Verzweiflung und Beklemmung hin zu einem surrealistischen, sinistren Meisterstück fließend sein können.
Trotz ihres unwirklichen Charakters und der konstant bemühten Übertreibung ist "Review" nicht an schrillen Knalleffekten und nicht an Schenkelklopfhumor interessiert, wie beispielsweise diverse Jackass-Formate, die teilweise sicher Impulsgeber gewesen sein dürften.
Protagonist Forrest MacNeil ist nicht an der eigenen Skandalisierung interessiert, nicht daran, sich als steilen Haudegen zu inszenieren (außer es wird per Aufgabe von ihm verlangt) und schon gar nicht daran, sich über seine Umwelt zu erheben und sich über sie lustig zu machen.
Forrest MacNeil ist ergebener Erfüller seiner Missionen, brav-biederer Ehemann und Vater, der in seinem permanenten Outfit aus Krawatte, beigem Jackett und khaki-grauen Hosen und in seinem antiquierten Habitus die Aura eines wohlmeinenden Literatur-Professors verstrahlt, der an der Lässigkeit stets scheitert.
Er glaubt an den aufklärerischen Geist seiner Show, er glaubt mit der Erfüllung seiner Aufträge der Menschheit neue wesentliche Erkenntnisse näher bringen zu können. Nicht selten sind die an ihn gestellten Aufgaben dann jedoch denkbar banal: Wie würde er einen Tritt in seine Genitalien bewerten? Wie ist das so, wenn man fünfzehn Pfannkuchen in einer Sitzung isst? Forrest macht sich mit Forschergeist an die Sache. Wie aber ist es, dreißig Pfannkuchen zu essen?
Die einzelnen Aufgaben, meistens sind es drei in den rund 20-minütigen Episoden, scheinen zunächst voneinander unabhängig, sind dann jedoch nicht selten durch kleine Pointen und motivische Verweise verbunden: Beispielsweise taucht Forrests Vorliebe für Kokain – die freilich erst durch die Show geweckt worden ist – immer wieder auf, langsam entwickelt sich aus den kurzen Einzelepisoden ein großer zusammenhängender Gesamtplot.
Ein zentraler Motor ist dabei Forrests Scheidung - ebenfalls durch "Review" in Gang gesetzt. Immer wieder versucht der immer mehr am Leben zugrunde gehende Antiheld seine Frau zurückzugewinnen – und muss immer wieder versagen, weil ihm das Gesetz seiner Fernsehshow dazwischenfunkt.
Hier liegt das Alleinstellungsmerkmal von "Review", in ihrem Drift vom Komödiantischen ins Mysteriöse, ins Mulmigmachende: Außerhalb des Fernsehstudios, in dem das fiktionale "Review" aufgezeichnet wird, und des dazugehörigen Bürogebäudes - in der Realität und in der Außenwelt der Show - scheint "Review" nicht zu existieren: Obwohl die Show wöchentlich mehrere Publikumszuschriften erhalten dürfte, erkennt draußen im Alltag nie jemand – mit einer Ausnahme – den Fernsehstar.
Forrest MacNeil kann und darf – wie durch unsichtbare Macht gehemmt und nicht weiter erläutert – mit niemandem über seine Show sprechen, niemandem seine Eskapaden erklären. Auch von seiner Familie wird "Review" nicht angesprochen, Forrests aus dem Ruder laufendes Verhalten eher psychischen Störungen oder einem Hirntumor zugeschrieben.
Er hingegen stellt weiterhin die Show über alles, selbst wenn sich die Missionen immer mehr ins Absurde, Unmögliche oder objektiv kaum Bewertbare schrauben: Wie ist es, einen ganz Tag ausschließlich glücklich zu sein? Einen imaginären Freund zu haben? Mord?
Review
Wenn der nicht gerade mit Charisma in Schaufeln ausgestattete Forrest dann doch mal die Zuneigung einer Frau auf sich ziehen kann, muss er sogleich alles wieder kaputtmachen, weil ihm nichts Besseres einfällt, als die Aufgabenstellung "Erpressung" an seiner neuen Freundin zu erproben. Wird er geheißen, Anführer eines Kults zu werden, wandelt er sich zum Unsympathen, der klischeegerecht seine durch seinen Status neu erlangte sexuelle Attraktivität an den weiblichen Kultmitgliedern auskostet.
Dieser Forrest MacNeil spielt diese Rollen aber nicht, er wird diese Figuren. Die Show "Review" verwischt die möglichen Zonen des Realen, das Außerweltliche und Meta-Trickspielereien. Sie erklärt aber nicht. Warum, wo und wie diese Show in der Show existieren kann.
Das Detail, dass Forrest MacNeil stets die exakt gleiche Kleidung trägt, zeitigt Theorien: Ist dieser Mann in einem "Lost"-haften Zeitloop gefangen, ist "Review" gar Forrests privates Fegefeuer? Immer wieder wägt er die Kategorien von Schicksal, einer leitenden Kraft und freiem Willen ab, er muss büßen, sich quälen und vielleicht Erlösung finden.
In der letzten Episoden der zweiten Staffel überlagern sich die Ebenen in Perfektion: Die Show "Review", die wir, die Zuseher, sehen, die Show "Review" in der Serie "Review" und der Zustand, den Forrest MacNeil als seine Realität wahrnimmt: Er erhält den schwierigen Auftrag, Verschwörungstheoretiker zu werden, und versucht sich krampfhaft in eine Verschwörungstheorie hineinzusympathisieren.
Was nicht so recht glücken will. Bis er zu erkennen meint, dass doch diese gesamte Show "Review" eine Verschwörungstheorie gegen ihn selbst sein könnte. Dass sein Producer Grant, der ihn in Notsituationen als Anstachler, als teuflischer Verführer immer wieder zum Weitermachen anhält, ihn eigentlich mit dieser Show nur umbringen will. Unmerklich wird das Publikum vom bloßen Spektakel der Missionsabsolvierung hinein in ein Thriller-Konstrukt gesogen, bis man nach einem fabulösen Showdown und Cliffhanger wieder auf sich selbst zurückgeworfen ist.
Einmal scheint es Forrest MacNeil in seiner Show unmöglich, einen Auftrag zu meistern: Er soll eine Erfahrung ausnahmsweise mit sechs Sternen auszeichnen. Das sei wohl undenkbar, da die Skala bei fünf Sternen zu Ende sei, und die Regeln müsse man eben einhalten, weil sonst sei ja alles bedeutungslos, so Forrest. Weshalb naturgemäß eine Show in der Show in der Show namens "Assess" ersonnen wird. Dort geht das Bewertungsbarometer bis genau hierhin: Sechs Sterne.