Erstellt am: 7. 10. 2015 - 16:33 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 07-10-15.
#demokratiepolitik #ideologie
The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.
Siehe dazu auch:
02-09-15: Der ewige Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Flüchtlinge
04-08-15: Der Kampf um die Deutungshoheit. Heute: Wer ist Terrorist?
14-09-15: Links. Und die Mitte
Gestern lese ich in einer (sehr kurzen) Geschichte über das notorische Ulrichbergstreffen das letzten Sonntag halt wieder einmal stattgefunden hat: "Es sind traditionell Vertreter der rechten Szene dabei." Der kleine Text wurde, wie bei praktisch allen heimischen Medien, die sich keine eigene Recherche/Idee mehr leisten/können/wollen (also den allermeisten) direkt von der APA übernommen, die scheinbar analytische Einschätzung wird also so weitergegeben.
Das ist traurig, weil es den politischen Begriff rechts falsch verwendet, ja verunstaltet und desavouiert.
Das Ulrichsberg-Treffen ist ein Auflauf alter SS-Kameraden, die nichts bereuen und zu den von ihnen verursachten Gräueltaten stehen, und ihrer Anhänger aus dem Altnazi- und Neonazi-Umfeld sowie anderen Trittbrettfahrern aus diversen rechtsextremen Milieus. Dies mit der Einschätzung "rechts", also eines moderaten politischen Begriffs, der alle Positionen jenseits der Mitte zusammenfasst, zu versehen, ist obszön. Und aktuell kein Einzelfall. Denn: alte SSler und Rechtsradikale, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden müssen (der nach dem Verbotsgesetz verurteilte Neonazi-Führer Gottfried Küssel etwa war regelmäßiger Ulrichsberg-Besucher) einfach als "rechts" abzutun, ist eine Verharmlosung.
Unterstützt wird diese gezielte Begriffsverschiebung (die danach trachtet Extrempositionen salonfähig zu machen) vom undifferenzierten Feindbild einer naiven neuen Linken, für die alles, was mit "rechts" zu tun hat, automatisch des Teufels sei, als ob Bewahrung oder Sicherung per se keine allgemeingültigen Werte wären.
Die Ursprünge der Rechts/Links-Einteilung liegen - wie so vieles in der heutigen Demokratie - in der französischen Revolution, speziell in der Raumaufteilung ihres Nationalkonvents begründet, und definieren sich über klar umrissene Gegensatz-Paare: elitär vs egalitär, konservativ vs progressiv, nationalistisch vs internationalistisch, bewahrend vs verändernd, Sicherung vs Befreiung, autoritär vs basisdemokratisch, liberal vs regulativ etc...
Die großen europäischen Volksparteien, die sich in den letzten 150 Jahren etablierten und sich diese divergenten Haltungen seit Anbeginn auf die Fahnen hefteten, üben sich seit geraumer Zeit darin ihre Position als zentral und sich selber somit als „Die Mitte“ darzustellen. Das ist aber nicht einmal dann, wenn man die zunehmend geringere Unterscheidbarkeit der Handlungs-Praxis betrachtet, richtig: selbstverständlich sind die christdemokratischen Volksparteien des Kontinents (so wie auch die in Österreich) rechts, und selbstverständlich steht die Sozialdemokratie Europas (auch die achsoblasse österreichische) links.
Eine wirkliche politische Mitte existiert realpolitisch nicht, auch wenn es einem Teile der liberalen Bewegung immer wieder, mit dem dümmlichen Subtext, dass man das wegen aktiver Ideologiefreiheit wäre, einreden wollen: sowohl die alten Nationalliberalen, als auch die gesellschaftspolitische freidenkenden Versuche im auslaufenden 20. Jahrhundert als auch der Neoliberalismus jüngster Prägung beziehen klar Position. Und: auch die Kernaussage über keine Ideologie zu verfügen ist sowohl politisch als auch ideologisch.
Anhand der gesellschaftspolitischen Ansagen sind also auch sämtliche Liberale sowie die diversen Grün-Bewegungen (also die neu ins Spektrum hinzugekommenen Kräfte) zuordenbar. Es ist wie bei wahlkabine.at: je nachdem wo man sich in den oben genannten Gegensatz/Widerspruchspaaren einordnet, dort steht man. In dieser Skala: linksextrem – linksradikal – links – Mitte – rechts – rechtsradikal – rechtsextrem. Klar, Ausnahmen wie etwa der Extremismus der Mitte bestehen, bestätigen aber die Grundregel.
Der zunehmende Verzicht auf eine klare Punzierung, die Angst durch eine Positionierung jenseits der letztlich virtuellen Mitte, die die Parteien allesamt nur behaupten, aber genauso wenig bewohnen können wie den geographischen Nordpol, sind die in der Skala recht zentralen Begriffe links und rechts in Verruf gekommen und werden (vor allem von den jeweiligen Gegenseiten) als Kampfbegriffe geführt, hinter denen sich meist die Unterstellung von radikalen Ideen verbirgt. Nun steht aber weder die Rechte noch der Rechtsradikalismus jenseits des demokratischen Verfassungsbogens. Rechts, im Sinne eines unternehmerorientierten Bewahrer-Konservativismus oder rechtsradikal im Sinne des isolationistischen Nationalliberalismus kann man (ebenso wie die linken Spiegelbilder) sein, ohne damit einen gesellschaftlichen Bruch herbeizuführen. Erst beim Rechtsextremismus schwingen die Auflösungen demokratischer Strukturen mit. Zum Beispiel: Wer, ganz alte Schule, das Ideal der autoritären Erziehung beschwört, muss noch lange kein Vertreter einer autoritären Herrschaftsform sein.
In den USA etwa ist der ständige Dialog zwischen den beiden Lagern (Demokraten vs Republikaner) auch über die aktuelle rechtsradikale Tea Party-Bewegung und die im aktuellen Wahlkampf wieder einmal aufbrechenden Culture Wars erhaben.
Der entsprechende österreichische Diskurs ist durch die Ausweitung der (scheinbaren, in öffentlichen und medienöffentlichen Reaktionen gern so genannten) extremen Zone hin über den (aktuell als Inputgeber von zentraler Wichtigkeit leider brachliegenden) radikalen Teil bis hin zu den simplen demokratiepolitisch dringend nötigen Zuordnungen rechts/links komplett verseucht. Die Folge ist eine einzige inhaltsleere Empörungsschleife, die andere Positionen gar nicht anerkennen kann, weil sie glaubt, die logische und selbstverständliche Wahrnehmung, dass Gesellschaftspolitik nicht wertfrei erfolgen kann, per se ablehnen zu müssen.
Das hat einige sehr österreichspezifische Gründe: Das seltsame Konstrukt der Neutralität etwa, das die Position keine Position zu haben als etwas Erstrebenswertes etabliert hat; die Nachwehen des unaufgearbeiteten Austrofaschismus und der wenig gut aufgearbeiteten Nazi-Zeit; die bewusste Entideologisierung von SP und VP, das dadurch entstehende Identitätsvakuum und die dorthin vorstoßende Haider/Strache/Gabalier-Bewegung.
Der Arsch-wieder-in-der-Hirschlederhosenträger ist ein schönes Beispiel für die weitreichenden Folgen der Begriffsverwirrung. Er, dessen offensive Ideologie (wie gesagt: das ist alles ganz einfach in der Beheimatung der oben gestellten Gegensatzpaar-Fragen leicht eruierbar) zwischen rechts und (in seinen provokativen Spitzen) rechtsradikal pendelt, sieht sich selber als ideologiefreien Mitte-Menschen, glaubt, dass all seine Kritiker (auch die die zwar rechts, aber eben weniger weit rechts als er stehen) Linke wären und wird von übereifrigen Linken als böswilliger Rechter bezeichnet, womit aber eigentlich rechtsextrem gemeint ist. Heraus kommt ein riesiger definitorischer Kuddelmuddel, der jegliche Debatte von vornherein verunmöglicht. Vor allem in einer Medienlandschaft, in der die meisten Akteure da gern wie der alte Grusel-Bürgermeister Lueger (wer was ist, des bestimm i) vorgehen.
Und dann passiert, was nicht passieren darf: dass Nazis, also klar Rechtsextreme, Holocaust-Leugner, Antidemokraten jenseits des Verfassungsbogens, als „rechte Szene“ bezeichnet werden, als wären sie Lopatka und sein Sohn (also rechts bzw rechtsradikal). Solange sich auch jene, die es eigentlich besser wissen sollten, mit der (teils bewusst geschürten, teils aus Dummheit forcierten) babylonischen Sprachverwirrung einverstanden erklären, wird ein Diskurs auf zumindest sprachlicher Augenhöhe gar nicht möglich sein.