Erstellt am: 7. 10. 2015 - 19:30 Uhr
"I know Eazy can see me now, looking down..."
Der Hip Hop-Lesekreis tritt heute zusammen, um das neueste Werk eines Musikers zu besprechen, den mensch spätestens seit dem NWA-Film "Straight Outta Compton" als den "Producer der Herzen" bezeichnen könnte. Your friendly neigbourhood OG, der in den letzten Jahren ein paar Hundert Millionen Dollar durch Kopfhörer-Verkauf gemacht hat und auch Anteile an dem Waffen-/Industrie-Mischkonzern Carlyle hält.
Ihr wisst wahrscheinlich schon, von wem ich schreibe: Dr. Dre.
Dr.Dre / Universal
Warum er in dem N.W.A. Film so gut rüberkommt? Vielleicht, weil er ausführender Producer ist. Geschäftstechnisch hat der Doktor definitiv den Dreh raus. Aber ob wir deshalb auch sein neues Album "Compton", mehr Compilation als Album und parallel zum Film erschienen, brauchen?
Ich bin ganz froh, dass wir Lesekreis Schmutzfinken uns für eine Besprechung von "Compton" entschieden haben, weil dann kann ich alte Popkulturmasochistin en passant das tun, was ich am liebsten tue und was auch am meisten schmerzt: Helden stürzen, sie mit Dreck bewerfen, der wie ein Boomerang dann eigentlich nur mir ins Gesicht fliegt, weil N.W.A nie das waren, was ich gerne gehabt hätte, das sie wären: Mehr als nur dagegen.
Fuck da Police, wir lassen uns nicht länger auf den Kopf scheißen von Repräsentanten eines Staates, der sich nicht an seine eigenen Gesetze hält. Das ist als Attitude für mich nur sinnvoll, wenn man in anderen Feldern nicht genau die gleichen Strategien des Terrors und der Unterdrückung anwendet. Geschäftspartner, Frauen und alle, die gerade nicht derselben Meinung sind, verprügelt, über Treppen und aus Fenstern schmeißt oder sie seinen Kampfhunden zum Frühstück vorsetzt.
Genau diese Ambivalenz, ein System zu hassen, aber gleichzeitig seine Machtstrukturen anzuwenden und weiterzuführen, ist für mich immer schon das große Problem, aber auch Teil der Strahlkraft von und an Gangsta Rap gewesen. Ich habe kein Problem mit Gesetzesbruch, aber ich hab ein Problem, wenn das Rolemodel Gangsta zu einer problemlos im kapitalistischen Kontext funktionierenden Strategie wird, was bei N.W.A schon nach den ersten Baby-Gurren der Fall war.
Ich finde es scheiße, dass Dr. Dre´s Vermögen irgendwas um die 750 Millionen Dollar ist und die Gangsta Rapperin Boss, die im Gegensatz zu Dre ihr Zeug ohne Ghostwriter und –producer tatsächlich selbst gemacht hat, online um Spenden betteln muss, um sich die lebensrettende Nierentransplantation inklusive neuer Niere leisten zu können. Ich kann N.W.A nur mit Freuden hören, wenn ich ausblende, wer und was die Urheber sind und zu was sie geworden sind.
Seltsamerweise geht es Dr. Dre wahrscheinlich ähnlich. Das "FriedeFreudeWeedkuchen" Ende des Films, in dem der Doktor als moralisch integere Figur aus Eazy Es Sterbezimmer schreitet, ist anzuzweifeln. Aber die Geschichte wird von den Lebenden geschrieben bzw. umgeschrieben, besonders dann, wenn ihr Vermögen auf die Milliarde Dollar zusteuert. Deshalb und auch, weil Dr. Dre auf der Nummer zumindest ein bisschen selbst rappend zu hören ist, hat sich der Lesekreis für die Besprechung der letzten Nummer des Films und auch des Compton Albums entschieden: Talking To My Diary!
dre
PS: Natürlich jubelt mein Herz und mein Körper jedes Mal, wenn ich einen Dre-Beat höre. Egal, was mein Hirn sagt und ob er ihn selbstgemacht hat oder nicht, und ich werde auch noch mit 85 sehr zur Scham der mit mir in Bezug stehenden Nachwelt auf Tische, Stühle oder Krankenbetten springen wenn ich Still D.R.E. höre und Trishes, Ole und Mahdi nötigen mit mir Dre-Day zu feiern.