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Ali Cem Deniz

Das Alltagsmikroskop

6. 10. 2015 - 14:30

Stille Stimmen

Am Sonntag bekommt Wien eine neue Stadtregierung, doch nicht alle WienerInnen entscheiden mit.

Der Wiener Wahlkampf geht in die Endphase, am Sonntag steht die Wahl an. Es ist ein hartes Duell zwischen Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) und dem Herausforderer Heinz-Christian Strache (FPÖ), das, so sagen die MeinungsforscherInnen WählerInnen mobilisiert. Bei den letzten Landtagswahlen in Wien im Jahr 2010 gingen nur zwei Drittel der Wahlberechtigten zur Urne. Doch viele dürfen gar nicht abstimmen, obwohl sie ihren Lebensmittelpunkt in Wien haben, manche davon sind sogar in Wien geboren und aufgewachsen.

FM4 Auf Laut

    Ausgeschlossen

    Bei den letzten Wien-Wahlen waren knapp ein Viertel der WienerInnen nicht Stimm-berechtigt. Heuer beträgt derr Anteil der Personen in Wien, die auf Landes- und Bundesebene keine Stimme abgeben dürfen, auf 26,5 Prozent. Die EU-BürgerInnen dürfen in Wien nur auf Bezirksebene wählen, die alle anderen hingegen nicht einmal das. Sie machen knapp 15 Prozent der WienerInnen im wahlberechtigten Alter aus.

    In Wien hatten SPÖ und Grüne im Jahr 2002 versucht, die Drittstaatsangehörigen auf Bezirksebene in den Kreis der Wahlberechtigten aufzunehmen. Dieser Beschluss wurde allerdings vom Verfassungsgericht gekippt. Es müsste entweder das Wahlrecht oder das Staatsbürgerschaftsrecht reformiert werden, damit in Österreich lebende Menschen ohne Staatsbürgerschaft mitwählen dürfen.

    Es geht auch anders

    Österreich ist innerhalb der EU eines der Länder mit dem restriktivsten Wahlrecht. In den meisten anderen EU-Ländern werden EU- und andere StaatsbürgerInnen nicht von lokalen Wahlen ausgeschlossen. In Slowenien dürfen Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt dort haben, bei den Regionalwahlen wählen und kandidieren, unabhängig davon, wie lange sie in Slowenien leben.

    In anderen Ländern wie Spanien hingegen erlauben bilaterale Abkommen Angehörigen bestimmter weiterer Staaten die Beteiligung an Regionalwahlen. Die skandinavischen Länder gehören zu Vorreitern, dort dürfen Menschen egal welcher Staatsbürgerschaft, die seit zwei Jahren (Finnland) bzw. seit drei Jahren (Dänemark, Schweden, Norwegen) im Land leben, bei den Regionalwahlen mitmachen.

    Pass Egal Wahl Plakat

    SOS Mitmensch / Daniel Dutkowski

    Die Pass-Egal-Wahl

    Initiative Wahlrecht

    Der Verein Wiener Jugendzentren hat im Mai darauf aufmerksam gemacht, dass ein Viertel der Wiener Bevölkerung über 16 Jahre bei der Wien-Wahl nicht wahlberechtigt ist.

    Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch fordert eine ähnliche Regelung für Wien. Alle, die seit drei Jahren in der Stadt leben, sollen das aktive und passive Wahlrecht bekommen, auch auf Gemeindeebene, schließlich ist Wien nicht nur Bundeshauptstadt, sondern auch Bundesland.

    Bei der ersten Pass-Egal-Wahl bei der Nationalratswahl 2013 gaben über 600 Menschen ihre Stimme ab. Heute schlägt SOS Mitmensch am Friedrich Schmidt-Platz zum zweiten Mal ihr Wahlzelt auf. Von 15 bis 20 Uhr wird gewählt.

    Wie viele Menschen am Sonntag wählen gehen werden, lässt sich nicht exakt voraussagen. Fakt ist aber, dass das Ergebnis alle beeinflusst, auch diejenigen, die nicht wählen wollen und diejenigen, nicht wählen dürfen.

    FM4 Auf Laut: Demokratie - ohne mich?

    Sie sind älter als 16, leben seit Jahren in Wien oder sind hier geboren und trotzdem dürfen sie keine Stimme abgeben. Über 300 000 Menschen sind von den Gemeinderatswahlen in Wien ausgeschlossen.

    Auf der anderen Seite verzichten viele Menschen auf ihr Wahlrecht. Sie wählen ungültig oder boykottieren die Wahl nach dem Motto "wenn es etwas ändern würde, wäre es eh verboten."

    Sind Nicht-WählerInnen einfach nur faul oder enttäuscht? Was passiert mit Menschen, die wegen ihrem Pass auf ihre Stimme verzichten müssen? Und welche Bedeutung haben Wahlen überhaupt, wenn so viele Menschen keine Stimme abgeben dürfen oder wollen?

    Claus Pirschner diskutiert mit Gästen und Anruferinnen und Anrufern in FM4 Auf Laut. Am 6. Oktober ab 21 Uhr, live auf FM4.