Erstellt am: 5. 10. 2015 - 15:49 Uhr
Mordfantasien statt Mutterrolle
She did it again - Charlotte Roche hat wieder einen Roman veröffentlicht. Nach dem Riesen-Bestseller "Feuchtgebiete" von 2008 und dem schon viel weniger Aufmerksamkeit erregenden "Schoßgebete" von 2011 erscheint heute "Mädchen für alles", und dieser Roman geht mehr in die Richtung, in die schon der zweite abgebogen ist: beengende Ehe- und Familienverhältnisse.
Mann, Haus, Kind
Piper
Charlotte Roche entwirft erst einmal ein Durchschnittsleben. Chrissi Schneider hat alles abgehakt, was so auf der Lebensliste steht: Karriere, dann Mann, Haus und Kind. An der Oberfläche ist das perfekt, aber unter der Oberfläche ist nichts, wie es sein soll.
Denn Chrissi verweigert alle Aspekte des Frauen- und Mutterdaseins. Sich um das Baby zu kümmern überfordert sie. Nach dem ersten Nestbautrieb hat sie keine Lust mehr, das Haus zu verschönern und Hausarbeit ist ihr zu öde. Ihren Mann verachtet sie und sie misstraut ihm, fühlt sich von ihm kontrolliert: Er ist der vernünftige Erwachsene und Antialkoholiker. Und sie fühlt sich wie die schlimme Teenagerin, wenn sie trinkt oder Drogen nimmt. Er ist gegen Sport und möchte nicht, dass sie zu schlank wird, sie geht heimlich trainieren. Ansonsten tut Chrissi eigentlich nicht viel. Am liebsten liegt sie eingewickelt in Decken auf dem Sofa. Wenn sie nicht schläft, dann sieht sie sich Serien an.
Lösungsstrategie: Hausmädchen
Um die chaotische, häusliche Situation zu entschärfen, wird eine Haushälterin eingestellt.
"Heute kommt die Babysitterin. Jörg hat eine gesucht und gefunden. Im Bioladen. Die hing da. Also als Zettel am Schwarzen Brett. […] 'Mädchen für alles. Ich kann alles und mache alles. Babysitten. Aufräumen. Erledigungen. Putzen. Gassi.' Das ist ja 'ne geile Aussage am schwarzen Brett! Na, das wollen wir doch mal sehen!"
Es kommt eine junge, schöne Medizinstudentin namens Marie, die scheinbar mit Elan und ohne Meckern alle Aufgaben im Haus erledigt. Aber die Babysitterin ist nicht die Lösung aller Probleme im Haushalt. Auch, weil Chrissi eigene Pläne mit dem "Mädchen für alles" hat. Diese Pläne beinhalten zunächst die Verführung des Mädchens – denn Christine kann die hübsche Babysitterin doch nicht so klischeehaft ihrem Mann überlassen. Außerdem will sie sie mit Machtspielchen und Es-ihr-heiß-kalt-Geben gefügig machen.
Denn das Hausmädchen dient vor allem als Vehikel für Chrissis Gewaltfantasien. Dabei geht es um Rache an ihren Eltern, die ihr Leben mit Scheidung und Rosenkrieg zur Hölle gemacht haben.
"Am liebsten würde ich sie beide nebeneinander auf einen Küchentisch legen […] und dann würde ich mit ganz viel ja!-Frischhaltefolie, um Geld zu sparen kaufe ich ja!, weil ich so viel davon brauche, um sie so feste einzuwickeln und sie auch gleichzeitig an den Küchentisch zu binden, dass sie sich keinen Millimeter mehr bewegen können. So wie Dexter das machen würde. Dann den Werkzeugkasten holen, da sind meine ganze scharfen Messer drin."
Serien – das wird im Vorwort und in diversen Vorab-Interviews klargestellt – sind Charlotte Roches neue Leidenschaft. Sexszenen gibt es in "Mädchen für alles" zwar auch, aber sie werden zunehmend abgelöst von detaillierten Abschlachtungs-Szenarien – viele davon von Serien und Filmen abgekupfert. Im Endeffekt biegt der Roman dann in die Psychothriller-Ecke ab, wo aus dem Mädchen für alles das Werkzeug für die Machtspielchen und Rachefantasien der neurotischen Hausfrau und Mutter werden soll.
Kein Penis aber Poloch
Sprachlich ist Charlotte Roches Schreibstil weiterhin kein Erlebnis. Wörter wie "Poloch", "Honk" und "eisekalt" werden auch diesmal zur Genüge strapaziert. Kritik an ihrem Stil nimmt die Autorin dafür diesmal gleich vorweg, indem sich Figur Chrissi in ihren inneren Monologen für falsche Ausdrücke und schiefe Bilder ständig nach dem Motto "Heißt es dasselbe oder das Gleiche, ach, egal jetzt" selbst korrigiert.
Dafür spielen in den Sexszenen - wie Roche im Vorab-Interview mit dem Stern angibt, "keine Penisse" eine Rolle. Sex also nur zwischen Frauen - shocking! Soweit zu gehen, das Buch als lesbischen Roman einzustufen, würde ich dann trotzdem nicht. Dazu braucht es mehr als Sex zwischen Frauen.
Die Anti-Mutter
Es geht also um die Dekonstruktion der Mutterrolle. Roche hat offenbar mit Freude eine wirklich unsympathische Hauptfigur geschaffen. Wenn Chrissi mit der schönen Marie nach München reisen will, der Mann aber noch nicht da ist, um auf das Baby aufzupassen, dann wird selbiges achselzuckend alleine zurückgelassen. Auf einer Hochzeitsparty bietet sie einer Schwangeren Melone an, ohne dazuzusagen, dass sie mit Wodka getränkt ist. Viele solcher Geht-gar-nicht-Momente machen aus Chrissi den Gegenentwurf zu all dem, was eine "gute" Frau und Mutter ausmacht.
Roche steckt seit ihrem ersten Roman in der Tabubruch-Schublade, daran führt kein Weg vorbei. War es bei Roman Nr. 1 die Ekelsexfantasien eines 18-jährigen Mädchens und in Roman Nr. 2 der schlimme Unfall in der Familie und die Abrechnung mit den Boulevardmedien, soll jetzt also das deutsche Mutterideal angegangen werden. Das ist vor allem spannend, weil es nicht erklärt wird. Es werden keine Erklärungsmuster geboten, etwa dass die Hauptfigur depressiv ist oder sich von einem dramatischen Schicksalsschlag erholen muss, wie das noch im Vorgängerroman "Schoßgebete" der Fall war. Man hat eher das Gefühl, dass sie einfach nicht will, faul ist und lieber etwas trinkt.
So erfrischend der nicht-psychologisierte Entwurf der Anti-Mutter ist, war es das dann auch schon. Figuren und Handlung sind insgesamt platt. "Mädchen für alles" bleibt die Momentaufnahme einer Figurenkonstellation. Wirklich in die Tiefe geht die Story nicht. Und das ist auf Romanlänge dann einfach zu wenig.