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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

7. 10. 2015 - 13:48

Im Labyrinth des Spielens

"The Beginner's Guide" ist ein neuer Höhepunkt im Bereich des Arthouse-Autorenspiels.

Everything Unlimited/Davey Wreden

Davey Wreden hat es geschafft. Nach seinem umwerfend erfolgreichen Erstling, dem grandiosen "The Stanley Parable", ist dem ehemaligen Filmstudenten mit der überraschend sang- und klanglosen Veröffentlichung seines zweiten Spiels "The Beginner's Guide" etwas geglückt, woran viele, auch geniale Ausnahmekünstler regelmäßg scheitern: mit dem zweiten Werk nach dem großen Debüt, dem "schwierigen zweiten Album", noch eins draufzusetzen und zugleich eine neue Richtung einzuschlagen.

Schon 2011 habe ich mir über das - damals noch als Mod veröffentlichte - "The Stanley Parable" Gedanken gemacht, das zwei Jahre später als überarbeitete, noch umfangreichere kommerzielle Version erschien. "The Stanley Parable" war ein cleveres Experiment mit dem Erzählen, mit den Konventionen des Videospiels und der Illusion der freien Entscheidung. Und es zeigte, dass es sich auszahlt, sein Publikum nicht zu unterschätzen. "The Stanley Parable" trug seine Intelligenz lässig-sympathisch zur Schau, überraschte mit Tiefgang und Philosophie - und verkaufte sich über eine Million Mal.

Autorenspiel mit Metaebenen

"The Beginner's Guide" ist einerseits ganz anders, doch es ist andererseits unverkennbar ein Spiel desselben Spielemachers, -denkers und -pioniers, der zu werden sich Davey Wreden hier offenbar anschickt. Es ist ein Autorenspiel im besten Sinne, und es ist ein Spiel nicht nur über Spiele, sondern auch eines über das Spielemachen, über das Reden und Denken über Spiele und - über Davey Wreden selbst. Wie schon "The Stanley Parable" stellt mich auch "The Beginner's Guide" vor die schwierige Aufgabe, hier nicht zu viel zu verraten. Darum eigentlich hier sofort die Aufforderung: Am besten nichts darüber lesen. Was auf der Webseite steht, sollte für den Anfang als Information eigentlich schon reichen:

"The Beginner's Guide is a narrative video game for Mac and PC. It lasts about an hour and a half and has no traditional mechanics, no goals or objectives. Instead, it tells the story of a person struggling to deal with something they do not understand."

Wer "The Beginner's Guide" möglichst unverfälscht spielen will, sei hier gewarnt: Es folgen zwar keine Spoiler, aber selten zahlte sich in einem Spiel völlige Unvoreingenommenheit so aus wie hier. Ab hier also: Vorsicht - Meinung, Interpretation, Geschwurbel.

Es ist, wie schon in "The Stanley Parable", eine Stimme aus dem Off, die uns begleitet, doch diesmal ist es Wreden selbst, der sich ganz am Anfang und im Verlauf des Spiels direkt an seine Spieler wendet. Er wolle uns die Spielfragmente eines Freundes vorstellen, uns durch sie begleiten und sie uns näher bringen. Was mit simplen "CounterStrike"-Levels beginnt, führt immer tiefer in immer komplexer - und düsterer - werdende halbfertige Spielewelten. Wie staunende Museumsbesucher wandern Spielerinnen und Spieler von Fragment zu Fragment, in denen uns Wreden auf - seiner Ansicht nach - Bemerkenswertes hinweist, technische Hürden ebnet und von seiner Beziehung zum mysteriösen Macher dieser Games-Ruinen erzählt.

Everything Unlimited/Davey Wreden

"Was will uns der Künstler damit sagen?"

Wäre "The Beginner's Guide" ein Film, man würde es als ernsthafte Mockumentary einordnen müssen, also als fiktive Dokumentation. Sowohl der Davey Wreden des Spiels als auch der geheimnisvolle Schöpfer dieser Games-Fragmente sind ebenso doppelbödige Fiktionen wie die Spielwelten, durch die wir uns bewegen. So wie auf unserem Weg unter simplen Häusern endlose Abgründe, abstrakte Riesenkonstruktionen und danach wieder banale Wohnzimmer auf ihre Entdeckung warten, ist auch die an der Oberfläche erzählte Geschichte um Rezeption, Erwartungshaltung und Kreativität als Fluch und Segen zugleich nur eine Fassade, hinter der sich auch eine Satire verbirgt: "The Beginner's Guide" richtet sich gegen exakt jene Art von Interpretation, die es thematisiert.

Herauszufinden, was genau uns "der Künstler damit sagen will", ist - wie bei jedem anständigen Kunstwerk - vordergründig die Aufgabe, der sich Spielerinnen und Spieler in "The Beginner's Guide" selbst zu stellen haben. Es ist sozusagen ein Grundkonzept der Kunst der Moderne: Die "Botschaft", die das jeweilige Kunstwerk transportieren will, ergibt sich erst durch den Akt der Rezeption; sie liegt nicht im Werk oder beim Künstler, sondern in der Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter. Dass das offensichtliche Hauptthema von "The Beginner's Guide" nun das absolute Scheitern einer derartigen Beziehung zeigt, macht die Angelegenheit noch trickreicher - und zwingt den Spieler dazu, auch sich selbst und seine Interpretationswut zu hinterfragen. Dabei richtet es sich - und das macht es noch interessanter - auch just gegen Interpretationen wie diese hier. Ooops.

Everything Unlimited/Davey Wreden

LOLwhut?

"The Beginner's Guide" ist für Windows, Mac und Linux erschienen.

Klingt verkopft? Keine Angst: "The Beginners Guide" lässt sich auch ohne philosophische Verrenkungen konsumieren, denn dank makellosem Pacing trägt es seine knapp eineinhalb Stunden äußerst kurzweilig und mit großer Sicherheit in Atmosphäre und Stil. Es ist ein außergewöhnliches Spiel, das seine von "The Stanley Parable" bekannte Form - der Vereinigung zweier Ebenen, jener des Spiels und jener des Kommentars aus dem Off - souverän, humorvoll und auch berührend gestaltet - auch wenn Freunde des Vorgängers hier weitaus weniger zu "entscheiden" (absichtliche Anführungszeichen) haben als noch dort. Davey Wreden hat im Alleingang eine völlig neue Form des Spiels gefunden, in die er sich nun auch selbst, als Schöpfer, Erzähler und schlitzohriger Verwirrer, auf unnachahmliche Weise einbringt.

Wer Spiele nicht nur blind konsumiert, sondern über sie auch nachdenkt, findet in "The Beginner's Guide" ein Experiment, das nachwirkt; Arthouse im besten Sinn. Ein wunderbares Geschenk.