Erstellt am: 7. 10. 2015 - 16:53 Uhr
Immer weiter machen
Surprise!
Naked Lunch spielen morgen ein FM4 Überraschungskonzert.
Es findet am Fr., 6.11.2015 im Rockhouse in Salzburg statt! Gratis-Einlass ab 20:30, bis es voll ist!
Mehr Info? Hier geht's zur Anmeldung zum FM4 Überraschungskonzert.
Man wird Naked Lunch-Mastermind Oliver Welter nicht zu nahe treten, wenn man behauptet, dass er mit dem ehemaligen Fußballtorwart Oliver Kahn außer dem Vornamen nicht viel gemeinsam hat. In Interviews strahlt Welter manchmal eine gewisse Anspannung aus, immer auf der Hut vor dem Ungemach, der Fehlinterpretation, die ihm von der anderen Seite des Mikrofons aus auflauert – dahingegen sprüht Oliver Kahn als Fernsehexperte des ZDF geradezu vor Eloquenz und Lockerheit. Ein Leichtes, wo doch Kahn über das Fehlverhalten anderer urteilt, während Oliver Welter über die Deutungshoheit seines eigenen künstlerischen Schaffens wacht.
Ingo Pertramer
Doch das Medienparkett ist nur die eine Seite. An ihren angestammten Arbeitsplätzen dreht sich das Bild: Während Welter auf der Bühne, in der Welt seiner Klänge versunken, auf den Soundteppichen seiner Bandkollegen Stefan Deisenberger, Herwig Zamernik und Alex Jezdinsky förmlich zu schweben scheint, stand Kahn Zeit seines kreativen Schaffens derart verwurzelt und voll angespannter Energie im Fünfmeterraum, dass es oft nur eines kleinen Impulses bedurfte, um den Titan zur Explosion zu bringen. Sein Lebensmotto: Weiter, immer weiter machen.
Es ist aufs Erste also durchaus verblüffend, das Kahn'sche Credo aus dem Mund des feingliedrigen, immer noch ein bisschen dunkelhaarigen Oliver Welter zu hören. Und doch gibt Welters Bandmotto Auskunft auf die eine Frage, die sich aufdrängt, wenn man der Band Naked Lunch zum 25-jährigen Bestehen gratuliert: Wie hält man es als Band so lange durch? Mit dieser Geschichte?
Einmal Superstardom...
Naked Lunch
Naked Lunch sind ein Paradebeispiel für die Grausamkeiten der Popindustrie rund um den Nirvana-Hype Anfang der Neunziger Jahre. In ihrer Gier nach der nächsten Cash-Cow signten die großen Player praktisch jeden pickeligen Studenten, der ein Holzfällerhemd trug und eine Gitarre halten konnte, direkt aus dem Proberaum weg. Versprechungen für die Weltkarriere gab's gratis dazu. Dass es die Scouts sogar bis nach Kärnten verschlug, sagt allerdings nicht nur etwas über den Aktionsradius der A&R-Trüffelschweine, sondern auch etwas über die Qualität, die Naked Lunch auch schon in ihren Anfangsjahren hatten – und die sich in Indiekreisen europaweit herumgesprochen hatte. Denn die Kombination aus Post-Hardcore-Feedback-Gitarren, melancholisch-brüchigem Gesang und melodiösen Pop-Hooklines bekamen nur wenige so stimmig hin wie Naked Lunch bereits von Anfang an.
Während die Sound- und Labelkollegen The Notwist aus ihrer in der familiären Jazz-Sozialisation gewonnenen Haltung heraus jedes Major-Angebot ablehnten, stiegen Naked Lunch auf die Versprechungen vom Superstardom ein und benannten ihr erstes Major-Album im Jahr 1997 genau so - "schon auch ein bissl selbstironisch", wie Welter und Bassist Herwig Zamernik im Interview bestätigen. Aber eben nicht nur.
und ihre Erfahrungen mit der Musikindustrie.
...und zurück
Es kam, wie es kommen musste, und wie es so vielen Bands damals geschah: Als der kommerzielle Erfolg nach dem Hype ausblieb, platzten alle Träume vom Superstardom wie die Seifenblasen. Unmittelbar nach dem Release des zweiten Major-Albums wurden Naked Lunch von ihrer Plattenirma Universal gefeuert. Etwas, woran zig andere Bands zerbrochen sind, und auch Naked Lunch standen kurz vor dem Aus. Wobei, wie Oliver Welter betont, der Niedergang der Bandkarriere damals noch das kleinste Problem war.
Doch auch wenn Naked Lunch unmittelbar vor dem Ende standen: Im Unterschied zu vielen anderen Bands warfen sie nicht das Handtuch, sondern nutzten den Moment des Zusammenbruchs für eine Läuterung. "Wir haben uns darauf besonnen, warum wir eigentlich ursprünglich Musik gemacht haben", erzählt Welter. "Der Spaß daran, mit Freunden zu musizieren, der war uns abhanden gekommen." Bestärkt von langjährigen Weggefährten wie dem Produzenten Olaf Opal oder dem Labelmacher Patrick Wagner arbeiteten sie an dem Sound, der den zweiten Teil ihrer musikalischen Karriere prägen sollte. Dem Sound, den sie nicht für die große Karriere oder für die Major Labels dieser Welt, sondern für sich machen wollten.
Songs from the Exhausted
In dieser Zeit, als Welter und Zamernik an "Songs for the Exhausted" arbeiteten, stieß auch Keyboarder Stefan Deisenberger zur Band. Zur Szene in dessen Heimatstadt Steyr, rund um ihren Livemischer Mike Glück, hatten Naked Lunch damals viele Verbindungen, erzählt Zamernik. Langsam baute sich die Band ein neues musikalisches Universum auf, und zumindest für Oliver Welter war die Arbeit mit Naked Lunch auch Therapie zur Aufarbeitung der persönlichen Krisen.
Naked Lunch
Seit "Songs For The Exhausted" läuft bei Naked Lunch zumindest künstlerisch alles in geordneten Bahnen: Alle paar Jahre ein Album auf konstant hohem Niveau, dazwischen Nebenprojekte wie Nowhere Train (Deisenberger), Fuzzman (Zamernik), "Für die Eltern was Perverses" (Welter, mit Stermann und Grissemann), Karl Bartos Ensemble (Jezdinsky) und Musik für Kino und Theater.
Dass dabei nicht immer alles leicht von der Hand geht, lässt sich dem Statement der Band zu ihrem letzten Projekt, Elisabeth Scharangs Film "JACK", entnehmen. "JACK war und ist ein einziger großer Glücksfall," schreibt die Band dazu, "weil sich für uns die Arbeit an der Musik für JACK als ein rein hedonistisch-lustvolles Tun gestaltete. (...) Eine Arbeit, gänzlich frei von möglichen, endlos anmutenden Diskussionen und etwaigen Zerwürfnissen, (...) weil es durch Ton und Klang nichts zu übertünchen, nichts zu kaschieren und nichts zu verbessern gab."
Naked Lunch ft. Johannes Krisch
Immer wieder betonen Welter und Zamernik, dass ihre künstlerische Arbeit kein Spaziergang ist, dass die Arbeit am Projekt Naked Lunch nach wie vor ans Eingemachte geht, sei es im therapeutischen Sinne oder Band-intern zwischenmenschlich. Die Band als Schicksal und Lebenselixier.
Wir müssen immer weiter machen
Naked Lunch
Nur vier Wochen nach dem Erscheinen von "JACK" erblickt nun "The Singles Collection" das Licht der Welt, eine Sammlung von zwanzig Naked Lunch-Singles aus allen Phasen ihres Schaffens.
"Natürlich haben wir aus den Zeiten, in denen wir rückblickend vielleicht einiges anders gemacht hätten, jetzt nicht alle sechs Singles drauf getan, sondern vielleicht nur zwei," meint Herwig Zamernik. "Aber wir haben uns nicht hingesetzt und unsere Lieblingsstücke für eine Best-of kompiliert," ergänzt Oliver Welter. "Das passt schon auch zu uns, dieser schonungslose Umgang mit unserer eigenen Geschichte. Das sind vielleicht nicht die besten Stücke, die hier drauf sind, aber unsere Singles, und damit vielleicht auch das beste Abbild der jeweiligen Zeit."