Erstellt am: 5. 10. 2015 - 10:21 Uhr
"Shalom, Oida"
Jüdisches Filmfestival Wien, 7. bis 22. Oktober 2015
"Shalom, Oida", was für eine Begrüßung! Das Jüdische Filmfestival Wien wartet mit internationalen Produktionen auf und befasst sich diesmal mit dem großen Thema Exil. Mit dem Dasein "in der Fremde weilend, verbannt", wie Lexika den Begriff Exil erklären, sei das jüdische Volk zu sehr vertraut, schreibt der Journalist und Historiker Ari Rath im Katalog des Filmfestivals. Bei der Durchsicht des Programms finden sich Klassiker wie "Das Testament des Dr. Mabuse" (nicht unkommentiert, sondern mit Einführung) und "Casablanca" neben zeitgenössischen Spiel- und Dokumentarfilmen, an die man hierzulande nicht so einfach kommen könnte, gebe es nicht das Jüdische Filmfestival Wien.
Ein Exilland
Exilforschung steht im Mittelpunkt eines Symposiums von 14. bis 16.10., das im Rahmen des Filmfestivals stattfindet
"Österreich wird zum Exilland, zur 'neuen Erde' für Menschen, die vor Verfolgung und Krieg hier bei uns Zuflucht suchen. Solidarität und Zivilcourage sind wieder mehr denn je gefragt", schreibt Ari Rath. Die KuratorInnen Karin Moser, Sarah Stroß und Thomas Ballhausen wählten fünfzehn Filme für den Programmschwerpunkt Exil aus. Darunter ist die Österreich-Premiere von "V Tichu/ In Silence": Zdenek Jiráský bedient sich der Musicalform, um die Geschichten fünf tschechischer und slowakischer MusikerInnen zu erzählen, und berichtet von ihrer Deportation durch die Nationalsozialisten. Die Spielorte sind das Votivkino, De France und Gartenbaukino, das Künstlerhauskino und Metro. Und dort werden weitere, teils unpackbare Lebensgeschichten verfilmt gezeigt werden. Unbedingt sehen will man da etwa auch das Kurzfilmprogramm mit “Four Years of Night”. Kurze Inhaltsangabe: „In den späten 1970er Jahre verbrachte der jüdische Photograph Esaias Baitel vier Jahre mit einer Pariser Neo-Nazi Gruppe“. Konflikte vorprogrammiert.
Unreal! - Ganz und gar nicht
Nicht selten ist die Realität abgefahrener, als die Fiktion je von ihr erzählen könnte. "Die Kameraführung. Der dokumentarische Stil. Die zwei Schauspieler, die aber nicht wie Schauspieler wirken, sondern wie reale Personen. Ein Shin-Bet-Agent und ein palästinensischer Spion wurden abwechselnd in einer Interviewsituation gezeigt und dazwischen illustrierten Bilder das Erzählte", lässt die Autorin Mirna Funk in ihrem Roman "Winternähe" ihre Protagonistin irritiert und fasziniert "The Green Prince" kommentieren. Der Sohn eines Hamas-Mitbegründers wechselt die Seite und wird Spion des Shin Bet, des israelischen Inlandsgeheimdienstes. "The Green Prince" ist einer dieser Filme, die einen länger beschäftigen. Basierend auf der Autobiografie "Son of Hamas", machte der Regisseur, Drehbuchautor und Koproduzent Nadav Schirman einen Biopic-Thriller, der am Sundance Festival Weltpremiere hatte. In Wien war er bereits beim This Human World Festival zu sehen. Jetzt ist wieder Gelegenheit, eventuell Versäumtes nachzuholen.
A-List Films, Passion Pictures, Red Box Films
Wie Susan Sontag so war
Als Fünfzehnjährige plädierte Sue Sontag 1948 in Leitartikeln am College für Meinungsfreiheit. Mit siebzehn trifft sie den Soziologen Philipp Rieff und heiratet nach wenigen Tagen: „We talked for seven years“. 1952 bringt sie Sohn David zur Welt, ein großes Baby, eine heftige Geburt. Mit 24 schreibt sie sich eine Liste für sich:
Rules and duties for being 24:
1. Have a better posture
2. Write Mother 3 times a week.
3. Eat less.
4. Write two hours a day, minimally.
5. Teach David to read.
Die Lebensgeschichte der amerikanische Autorin, Essayistin und Aktivistin wird in "Regarding Susan Sontag" von der persönlichen und intimen Seite beleuchtet. Lebensgefährtinnen erzählen von ihrer Liebe und einem Leben, das unglaublich reich an Erfahrungen war und von einer Frau, die keinen Unterschied machen wollte, ob sie nun Männer oder Frauen liebte. Das ist eine sehr schöne Doku, die Lust macht, wieder Susan Sontag zu lesen.
Questions Why Films
Delikatessen oder aber: Familiengeschichten
5.000 jüdische Delis gab es 1931 in New York, und die ersten wurden von deutschen Juden eröffnet und ihre KundInnen waren großteils NäherInnen und Arbeiter. Heute sind es 150 jüdische Delis in ganz Nordamerika. Die Doku „Deli Man“ von Erik Greenberg Anjou erzählt mehr Familiengeschichten, als sie Rezepte verraten würde. Wer sich eine Einführung in jüdische Delikatessen erwartet, wird jedoch enttäuscht werden. „Sei vorsichtig bei der Schneidemaschine! Gib' dem Kunden nicht deinen halben Finger“, rät ein älterer Herr. „Im Deli müssen sich die Leute drängen. Ein leerer Deli bedeutet einen traurigen Tag“, sagt ein anderer. Im Mittelpunkt steht ein Deli-Betreiber, der das Geschäft von seinen Großeltern übernommen hat. Nach der Vorführung wird es Pastrami zu kosten geben.
Jüdisches Filmfestival Wien
Unpackbare Geschichten
Mit "Der Staat gegen Fritz Bauer" gewann Regisseur Lars Kraume beim Filmfestival Locarno diesen Spätsommer den Publikumspreis. Sein Spielfilm porträtiert die frühen Jahre der BRD mit einem Porträt des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer (gespielt von Brughart Klaußner). Dieser Jurist wollte die NS-Verbrechen Deutschlands verfolgen - gegen die Ansicht des Bundeskanzlers Konrad Adenauer, der 1949 in seiner Regierungserklärung die Richtung "Schlussstrich ziehen" ausgab mit der Begründung, mit der Denazifizierung sei viel Unglück angerichtet worden.
Jüdisches Filmfestival Wien
Fritz Bauer erhält einen Hinweis auf den Aufenthaltsort Adolf Eichmanns. Doch die Ermittlungen kommen nicht voran. "Der Staat gegen Fritz Bauer" hat beim Jüdischen Filmfestival Wien Österreich-Premiere.
Last but not least: Zu Gast ist Eyton Fox
Eine Personale widmet das Jüdische Filmfestival Wien Eyton Fox. Junges, schwules Leben macht der israelische Regisseur seit Jahrzehnten zum Inhalt seiner Filme. Israel ist mit seiner Gesetzeslage ein Zufluchtsort im Nahen Osten für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle. Eyton Fox wird in Wien zu Gast sein. „Yossi & Jagger“, „The Bubble“, „Mary Lou“ und „Walk on Water“ werden laufen.