Erstellt am: 4. 10. 2015 - 16:24 Uhr
Let No Man Put Us Under
Du kriegst die Gang aus dem Aschenbecher, doch den Aschenbecher nicht aus der Gang. Ein klassisches Rap-Thema: Der Weg hinaus aus dem Ghetto hinein ins große Geld. Selbstermächtigung, Aufstieg entgegen aller Widrigkeiten, die einem die Gesellschaft in den Weg schmeißt. Trotz ungünstiger Ausgangslage und ohne Hilfe von außen kann aus eigener Kraft der Trip aus dem Staub auf den Thron glücken. Dabei werden die Wurzeln nie vergessen.
Die 21-jährige englische Rapperin Little Simz buchstabiert auf ihrem gerade erschienenen ersten regulären Album "A Curious Tale of Trials + Persons" diese Erzählung detailreich aus. Klar und nüchtern in der Sprache und in den Bildern, atemberaubend, gelenkig im Vortrag. Am deutlichsten und dringlichsten legt Little Simz diese Geschichte, die das Leben und die Realität ist, im Albumhighlight "Gratitude" dar.
Little Simz
Unterdrückung, Ausgrenzung, Geringschätzung, nicht zuletzt gegenüber Schwarzen, nicht zuletzt gegenüber Frauen – Little Simz weiß, wer sie ist, und sie weiß, was sie kann. Und muss sich Bescheidenheit nicht leisten. "Gratitude" – Dankbarkeit muss Little Simz bloß sich selbst oder eventuell gerade noch einer außerweltlichen, spirituellen Macht gegenüber demonstrieren: "Give a fuck, I'm chosen".
Ein finsteres Gitarrenmotiv zieht sich durch den Track, kurze vokabellose Stimmfetzen sind im Hintergrund zu einem geisterhaften Chor aneinandergeschnitten. Eine Army of me.
Während Little Simz in der ersten Strophe von "Gratitude" ihre Skillz, ihre Dopeness und ihr Durchsetzungsvermögen auf künstlerischer und genereller Ebene feiert, geht sie in der zweiten Strophe ins konkrete Alltagsleben: Sie meistert als alleinerziehende Mutter die Welt auch ohne den abwesenden Kindsvater, der sich wieder mal aus der Verantwortung gestohlen hat. "No, I don't owe you nuttin'", sagt Little Simz und hat damit Recht. Can't nobody hold us down.
Der hier besprochene Song "Gratitude" ist im Moment leider mal wieder aus dem Internet verschwunden. Man könnte sich aber ohnehin das gesamte Album "A Curious Tale of Trials + Persons" zu Gemüte führen.
- Alle Songs zum Sonntag auf FM4
- Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken
Im Refrain kommt stimmliche Unterstützung von Roxanne Dayette und Sam Paul Evans von der elektronischen Soulband The Hics: Der Aggression und der Kälte in den Strophen wird hier ein erhebendes, gospelhaftes Gefühl des Aufbruchs und des Ausbruchs entgegengestellt.
Ein dunkler Unterton jedoch bleibt. Aufbegehren, mit Glühen im Körper das Leben in die Hand nehmen, davonfliegen. Hoffnung und Tatendrang begegnen dem Gefühl von Repression und Aussichtlosigkeit. "I'm crawling up these walls, but they won't come down, no, they won't come down", heißt es da.
Das Scheißsystem bietet kein Entgegenkommen an: "I'm just a fool in your game, my life, your prey". Little Simz hält dagegen und behauptet sich. Offensiv, elegant, gewitzt, forsch, im genau richtigen Maße arrogant. Die Umstände und das finstere Reich, eure Mauern werden auch noch fallen.