Erstellt am: 4. 10. 2015 - 16:39 Uhr
Game City: Für Forscher, Enkel und Omas
Es ist gar nicht so einfach, sich in den verwinkelten Gängen, Stiegenhäusern und Räumen des Wiener Rathauses zurechtzufinden. Eher unbeabsichtigt bin ich daher auch gleich zu Beginn der Game City im - schon zur Tradition gewordenen - "Retro Gaming"-Areal der Videospielemesse gelandet. Dort werden Videospielkonsolen und Homecomputer aus den siebziger und achtziger Jahren ausgestellt, und in diesem Raum habe ich einen jungen Besucher gefragt, was er denn von Klassikern wie "Pong" und "Super Mario Bros" hält. Dieser antwortete: "Die Oma hat das immer gespielt, da habe ich zugeschaut." Ich hatte dann dieses Bild vor Augen: Eine altmodisch eingerichtete Wohnung, in der neben dem Röhrenradio und dem Kathodenstrahl-Fernseher auch die Atari- und Philips-Konsolen aus der Kindheit der Großeltern stehen. Ich fühle mich nicht mehr ganz so jung.
Foto: Christoph Weiss, FM4
Generations
Die Game City ist natürlich gerade deshalb so interessant, weil sie die Liebe mehrerer Generationen zur Kunstform Videospiel zelebriert. Das drückt sich in der Vielfältigkeit der Messe aus, auf der es neben Retro-Games, E-Sports-Turnieren und Vorstellungen ganz neuer Spiele eben auch eine wissenschaftliche Fachtagung gibt – die "Future and Reality of Gaming" oder kurz FROG. In diesem Bereich der Veranstaltung geht es etwas weniger hektisch zu, denn hier stehen Vorträge und Diskussionen am Programm.
Morality of Games
Eröffnet wurde der Reigen dieses Jahr von der Indiegames-Entwicklerin Lea Schönfelder aus Karlsruhe. In ihrer Keynote-Speech "Morality of Games" präsentierte sie einige ihrer höchst unkonventionellen Werke. In Schönfelders Spiel "Ute" hat zuerst einmal die Großmutter der Protagonistin einen Auftritt. Oma erklärt der jungen Ute, dass sie vor ihrer Hochzeit Sex mit möglichst vielen verschiedenen Männern haben muss. Damit ist das Ziel des Spiels gesetzt. Nun bewegen wir Ute durch ein Labyrinth voller Männer. Trifft Ute auf einen, dann schläft sie mit ihm, was zeichnerisch sehr deutlich dargestellt wird. Im "Reflective Game Design" mit seinen vier Prinzipien "Reflection over immersion, clarity over stealth, questions over answers und disruption over comfort" gehe es also auch darum, Fragen aufzuwerfen, so die Entwicklerin.
Foto: Lea Schönfelder
Auch in anderen Games geht es Lea Schönfelder um die Umkehrung von Klischees, die Hinterfragung von Glaubenssystemen und manchmal auch um die brutale Darstellung der Realität. Nach einem Aufenthalt in Russland verarbeitete sie ihre dortigen Erfahrungen durch die Entwicklung eines Spiels, in dem man in die Rolle eines sieben Jahre alten, kettenrauchenden Buben schlüpft, der für seine alkoholkranke Mutter Wodkaflaschen stiehlt.
Über die Ethik der Spieleentwicklung denkt Lea Schönfelder aber auch angesichts ihres derzeitigen Jobs nach. Aktuell arbeitet sie nämlich an sogenannten "Free 2 Play"-Games mit, in denen die Spieler für Bonusgegenstände und Spielwährung echtes Geld ausgeben können. Die Statistiken, sagt Schönfelder, würden zeigen, dass es stets einige Spieler gäbe, die Tausende Euro pro Monat für Inhalte im "Gratis"-Spiel ausgeben. Allerdings ging sie in ihrer Rede davon aus, dass diese Spieler wohl über hohe finanzielle Mittel verfügen. Meiner Meinung nach verfehlte sie damit eine richtige Einordnung des Phänomens: Menschen, die monatlich Tausende Euro für kostenpflichtige Spielinhalte ausgeben, sind nicht unbedingt reich, haben aber mit großer Wahrscheinlichkeit ein Suchtproblem.
Escape Rooms
Auch die Keynote des nächsten Tages lockte die Interessierten an. Professor Scott Nicholson (Wilfried Laurier University, Ontario, Kanada) sprach im gut gefüllten Saal zum Thema "Escape from reality through Escape Rooms". Gemeint sind jene Live-Action-Games, in denen Spielerinnen und Spieler Rätsel lösen und Aufgaben lösen müssen, um aus einem oder mehreren Räumen entkommen oder bestimmten Problem lösen zu können. Nicholson hat im Rahmen einer Studie 175 verschiedene "Escape Room"-Spielstätten beobachtet und studiert. Daraus hat der Wissenschafter interessante Erkenntnisse über das Lernen in Escape Rooms einerseits und die Feinheiten des Designs von Rätseln und Aufgaben andererseits entwickelt.
Wilfried Laurier University
Angesichts der steigenden Zahl an physischen Escape Rooms auf der ganzen Welt rief Scott Nicholson auf der FROG die Entwickler von Videospielen dazu auf, sich damit zu beschäftigen. Dies sei nicht nur eine gute Nebenerwerbs-Möglichkeit für Gamedesigner, sondern auch im Bildungsbereich höchst interessant: "In einem Escape Room können wir ein enges Zeitlimit setzen, eine interessante Geschichte erzählen und Menschen helfen, wichtige Dinge zu lernen. Wir haben eine Möglichkeit, Escape Rooms zu gestalten, die einen Unterschied in der Welt machen."
Glück und Zufall
Nicht minder spannend war ein Vortrag von FM4-Redakteur Robert Glashüttner über die Rolle programmierter Random Number Generators (RNG) in Videospielen. Glück und Zufall, so Roberts Ansatz, würden Langeweile im Spiel verhindern – etwa, wenn bei "Mario Kart" der Spieler in der Pole Position weniger Chancen auf den Einsatz destruktiver Zufalls-Bonusgegenstände habe als die Spieler auf den hinteren Plätzen. Dank des in jüngster Zeit oft auch "RNGesus" genannten Glücksgottes könne auch ein weniger erfahrener Spieler gegen einen Profi gewinnen, was letztlich mehr Spaß für die ganze Gruppe bedeute.
RNGesus
Die FROG bot seit den Anfangstagen der Game City jedes Jahr wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Videospielkultur auf höchstem Niveau. Ihr Leiter, Herbert Rosenstingl, freut sich, dass die Fachtagung auch im neunten Jahr auf großes Interesse gestoßen ist. "Die Geschichte der Game City hängt ja ganz eng mit der politischen Frage zusammen, wie die öffentliche Hand, die Stadt Wien und auch der Bund mit dem Phänomen Computerspiele umgehen sollen. 2006 gab es in Deutschland einen Amoklauf, der von den Medien wieder einmal ganz stark mit Computerspielen in Verbindung gebracht wurde. Eine politische Partei in Wien brachte daraufhin einen Antrag ein, dass eine Indizierungsstelle wie die USK nur für Wien geschaffen werden soll."
Foto: Christoph Weiss
Wien habe sich damals entschieden, die BUPP (Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen) zu unterstützen und Menschen aufgrund von wissenschaftlichen Daten über Games zu informieren. Aufgrund der ernsthaften, wissenschaftlichen Auseinandersetzung sei dann auch von Beginn der Game City an klar gewesen, dass die Fachtagung FROG ein Teil der Messe sein sollte. Heute fordert keine Partei in Wien mehr eine Verschärfung des Jugendschutzes oder Zensurmaßnahmen von Videospielen wie in Deutschland.
"Videospiele sind in allen Bereichen der Gesellschaft angekommen", sagt Rosenstingl, "und sie werden auf wissenschaftlicher Ebene in einer Breite diskutiert, die es einfach notwendig macht, eine FROG zu haben – auch 2016 eine zehnte FROG, wo wir wieder schauen werden, welche neuen, inspirierenden Forschungsansätze es gibt."