Erstellt am: 3. 10. 2015 - 07:17 Uhr
Jugend, [ewige]
Heinrich-Böll-Stiftung / Christiane Rösinger
In welcher Welt leben wir? fragt sich die Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin schon seit einiger Zeit. In der Reihe "Auf der Höhe - Diagnosen zur Zeit" lädt die Grünen-Stiftung deshalb regelmäßig Intellektuelle zu zentralen gesellschafts- und kulturdiagnostischen Stichworten unserer Zeit ein. Diese "Diagnosen der Gegenwart" wollen das Alphabet der Begriffe - von A wie Authentizität über D wie Drastik, zu R wie Retro und Z wie Zombie - durcharbeiten.
Letzten Montag war man bei J, der Jugend, der ewigen, angelangt und hatte Techno-Altmeister Maximilian Lenz aka Westbam eingeladen. Der gilt zwar nicht direkt als Vorzeige-Intellektueller, wurde aber von seinem Technokumpel Rainald Goetz schon zum "Philosophen der Dancekultur" geadelt und hat spätestens mit dem Merve-Bändchen "Mix, Cuts & Scratches" seine Weihe als Ravetheoretiker erhalten.
Und so begrüßte der Moderator am Montagabend nicht nur die Freunde der Böll-Stiftung und der "Grünen Akademie", sondern schloss auch ein herzliches "Liebe Raver und Raverinnen und liebe Raver und Raverinnen a.D." in seine Willkommensworte ein.
Im Publikum saßen dem Augenschein nach nur wenige Vertreter der angesprochenen Jugendkultur, die Mehrzahl der Hörerschaft schien sich aus wenig Techno/Nachtleben-affinen älteren Mitbürgern und dem Fankreis der Böll-Stiftung zusammenzusetzen.
Das Alter an sich, die alternde Gesellschaft, das Nicht-alt-werden-Wollen und das Altwerden in den Jugend- und Popkulturen sind ja die Top-Themen unserer Zeit.
Ullstein
Die erste Popgeneration ist längst im Rentenalter, und die Technofans der ersten Stunde sind jetzt auch schon 50, so wie Westbam. Der hat dieses Jahr auch in seinen Memoiren "Die Macht der Nacht " sein bisheriges Leben Revue passieren lassen. Und so war dieser Abend in der Böll-Stiftung auch eine Buchvorstellung.
Der Autor gab sich, ganz in schwarz, mit Sonnenbrille und schwarzem Basecap betont jugendlich und jovial, wusste aber neben vielen Anekdoten durchaus auch Interessantes zu erzählen. So stammt sein Leitspruch und der Titel einer seiner Platten - "We will never stop living this way!" - gar nicht von ihm, sondern wurde ihm auf Mallorca, auf dem Weg zum Taxi nach einer langen Clubnacht von einem verstrahlten, älteren Raver zugerufen.
Eigentlich sollte es in seinem Vortrag ja über das Altern von Subkulturen, deren wichtigstes Attribut ihre Jugendlichkeit ist, und das Paradox der kanonisierten Rebellion gehen.
Das Streben nach ewiger Jugend kann Westbam, der sich immer schon alt gefühlt hat, aber nicht nachvollziehen. "Ewiges Alter " würde ihm besser gefallen. Und auch der Schwur " Ich werde niemals vernünftig werden" relativierte sich mit der Zeit. "Alter schützt vor Weisheit nicht", lautet ja ein altes Sprichwort und was soll man tun, wenn die angesammelte Lebenserfahrung eben sagt: Champagner führt zu Sodbrennen und der Abend hat seinen Höhepunkt überschritten, besser wird es nicht mehr?
Das Altwerden im Club beschreibt Westbam als einen schleichenden Prozess, ihm wurde das eigene Alter bewusst, als er zum ersten Mal im Club gesiezt wurde, ein einschneidendes Erlebnis. Hinzu kommen auch bei Techno-Schaffenden die üblichen Alters- und Abnutzungserscheinungen: Ischias, Magenschleimhautentzündung aber auch das Verletzungspech beim Sprung von der DJ-Kanzel usw. Und was nicht ausgesprochen wurde, aber sowieso jeder weiß: Techno ist eine ausgesprochene Drogenkultur, und wer einigermaßen bei Verstand ist, ballert sich nicht über Jahre und im fortgeschrittenen Alter jedes Wochenende zu - der Körper verkraftet das nicht mehr. Man könnte also davon sprechen, dass Techno physischer als andere Jugendkulturen und damit auf die Jugendjahre begrenzt ist.
Aber Westbam gab zu Bedenken, dass ein Rockfan auch mit 60 noch alle paar Jahre zu einem Stone-Konzert gehen könne. Aber das Nachtleben im Club lässt sich nicht so alle Jubeljahre mal in kleinen Dosen konsumieren wie ein Rockkonzert. Es geht erst um 3 in der Nacht richtig los, der Raver ist Teil einer Community. Eine Nachtlebengeneration dauert deshalb nur 5 bis 10 Jahre, dann kommen die Nächsten. Viele "Ältere" scheiden aus der Community aus, weil ihnen die anderen Leute zu jung geworden sind.
Ein bisschen Zahlenmystik führte der Technokünstler zum Thema "Ist Techno politisch " vor: 9.11.89, zur Geburtsstunde von Techno zählte der Fortschrittsgedanke. Techno war eine Kultur des Jetzt, alles war offen, man traf sich auf der Loveparade, auf der Straße und verfiel fast dem Größenwahn, man dachte, man könne den Weltfrieden herbeiraven.
Nach 9/11 entstand dann Minimal Techno. Ein Musikstil, der sagt: Ich war zu euphorisch, ich ziehe mich zurück. Im Hype um den Berliner Club "Berghain" sieht er gar ein Techno-Biedermeier, den Rückzug ins Private in den Club.
Die interessante Frage, wie man Teil einer alternden Popmusikkultur sein kann und das eigene Alter popkulturell gestalten kann, wurde an diesem Abend nicht angesprochen. Eine neue, popkulturell motivierte Kultur des Alterns muss eben erst noch erfunden und begründet werden.