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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

2. 10. 2015 - 15:04

The daily Blumenau. Friday Edition, 02-10-15.

Portrait des jungen Mannes. Über Wanda und "Bussi".

#austropopmusik #jugend #sprachkunst

Vor zwei Wochen hat sie sie entdeckt, sagt mir meine Freundin aus der oft ganz schön abgekoppelten Parallelwelt der Mode, und: das kann schon was, oder? Was sagst du? Der gemeinsame Nenner mit der anderen heimischen Band, die sie schon vor ein paar Monaten entdeckt hat, Bilderbuch nämlich, war sofort klar: Falco; sein Gestus, seine Pose, seine Sprache. Beim einen, dem blondierten Glitzersakkoträger ist es auch der Style und auch die Betonung der Optik, beim anderen, dem Jacken- und Hemdoffen- und Baucherlherzeigen-Typ ist es auch die Treffsicherheit in der Sprachbegegnung mit dem Zeitgeist, und bei beiden ist es vor allem die "wer/sich/nix/scheisst-dem/gehört/die/Welt"-Haltung.

Meine Freundin aus der anderen Welt hat sich grade durch Amore und die Youtube-Livesongs durchgeackert und wartet schon gierig auf Montag: da kommt das Bussi. Sie hat die gesamte Medienberichterstattung der letzten Monate nicht mitbekommen, nicht die anfänglichen Vorschusslorbeeren, nicht den vorhersehbaren Aufstieg, nicht den Durchbruch, die Bepreisung, dann die Eroberung von Deutschland, den Feuilleton-Hype, den ersten Backlash rund um die Vorabpromo zum zweiten Album und den Aufruhr, den es nach jeder Wanda-Äußerung gibt, und sie ist deshalb im Vorteil.

Denn: um sich "Bussi" anzuhören, um dieses zweite Wanda-Album ins Hier und Jetzt einzuordnen, muss ich nichts wissen, nicht einmal von Amore in Bologna. Es wäre sogar besser so.

Bussi ist männlich, jung, aufgekratzt, fordernd und fatalistisch - und erzählt die Geschichten, die allen Menschen der einen Bevölkerungshälfte in einer bestimmten Lebensphase passiert sind oder fast passiert wären. Heute so wie gestern oder vorgestern. Und nur weil die Wanda-Texte wienerisch klingen bedeutet das nicht, dass sie sich auf Wien beschränken oder mit dem Österreichersein begnügen.

Ich bin ein trauriger europäischer Geist (1, 2, 3, 4)

Wanda tun, was die besten ihrer Vorläufer (Falco und Ambros in ihren besten Momenten, ihren besten Songs und Alben) getan haben: die eigene Befindlichkeit, das intuitiv Gefühlte, das emotional Erfahrene in eine Sprache (inklusive einer adäquaten Musiksprache) zu bringen, die für alle teilbar ist: 4 Millionen Facebook-Likes (ohne Deutschland) und - wenn ich an meine Mode-Freundin denke, dann interessiert sich ja auch die andere Bevölkerungshälfte dafür, wie die eine, die männliche, funktioniert.

Letztlich würde das analytische Wanda-Stücke-Anhören Millionen Beziehungs- und vor allem Anbahnungsberatungsgespräche, mit denen sich Frauen aufmunitionieren, sparen, weil die Lieder alles offenlegen, alles offen ansprechen, sich nicht nur Jacke, sondern auch Hemd vom Leib reißen und keine Scheu haben ein bisserl Baucherl zu zeigen.

Baucherl in Form von Eingeständnissen aller Arten: dass man lieber wer anderer wäre, aber dann vielleicht doch nicht, so wie der Andi, der durchs alte Setting von Mr. Jones taumelt, dass man gern nicht so viel saufen würde, dass einen die Drogen zwar reizen aber auch stressen, dass dieses permanente Hin- und Her-Getease in der Anbahnungsphase zwar auch was mit Macht und Männlichkeit, aber vor allem mit den zwei entscheidenden Fragen zu tun hat: Wieso kenn ich mich nicht besser in dir aus? Und: Wieso kennst du dich nicht besser in mir aus?

Wandas Portrait des jungen Mannes als hin und hergerissener Strizzi ist eine Momentaufnahme aus einer Phase, die jeden irgendwann erwischt (manche kurz, manche ein Leben lang) und erst dann zum Problem wird, wenn dieser Gestus dann unüberprüft in des Rest des Lebens mitgenommen wird, wiewohl er dort nicht funktionieren kann.

Vielleicht bin ich ein wenig fröhlicher Mann (Mona Lisa der Lobau)

Es geht um die kurze Zeit der völligen Verantwortungslosigkeit, die mit der Übernahme der Verantwortung nach der Pflicht/Schulausbildung beginnt (Unabhängigkeit von Erziehungsberechtigten) und mit dem Eintritt in eine Realität aus Arbeitswelt, Geldbeschaffungsmaßnahmen endet. Dazwischen ist alles egal, da zählt dann nur mit wenig auskommen und aus nichts viel machen, viel erleben, alles ausprobieren, vor allem die Gier nach Suchtmitteln und einer auch von allen Regulativen befreiten Sexualität.

In diesem kurzen Kontinuum der Möglichkeit des tagelangen Abtauchens in Rausch und/oder Liebe und/oder Ausbruch befindet sich das Kunstprojekt Wanda und bildet ab, holt alles raus, ackert wie beim Money Maker und rafft alles rein in der Schlussposition.

Weil Marco, der Sänger/Texter/Frontmann nicht einfach ein reines Naturtalent ist, sondern sein Worteschmieden beim Sprachkunst-Lehrer Robert Schindel perfektioniert hat, weil er seitdem Kitsch von Kunst unterscheiden kann, sind die Bilder dieser Innenwelten dann auch so schneidend und präzis. Mehr also bei Ambros/Prokopetz als bei der doch noch einen Schritt assoziativeren Wortmalerei von Falco/Maurice Ernst.

Was dabei herauskommt, kann die düsteren, von Ambros von außen beschriebenen Innenwelten des jungen Mannes aus der Hoffnungslos-Ära dann eben von innen heraus sichtbar machen. Und das ist die große, die vielleicht größte Kunst von Wanda; ihr Alleinstellungsmerkmal.

Dass dies nicht immer erkannt wird, hat mit der Selbstreferenzialität von Pop, und der Tatsache, dass das auch schon automatisch so rezipiert wird, zu tun. Ich wette, dass die folgenden Zeilen aktuell ausschließlich als Nabelschau einer reflektierenden Rockband interpretiert werden: Wenn du du selber bist, bist du so fad dass niemand mit dir spricht. Es schaut dich niemand an, wenn du dich selbst nicht spielen kannst, also lern's lieber dann als wann, und schau dass du wirst, wer du gar nicht bist.

Dabei ist das nur eine kleine Teilwahrheit - letztlich gelten diese Sätze für alle jungen Männer; auch für alle jungen Frauen, nur ist die Offensivität der ratgebenden Herangehensweise unüblich und wird als männlich determiniert. Also auch kein Problem von Wanda, sondern eines der Interpretation.

Wobei Wanda, in der Rolle als Portraitierter, selbstverständlich ganz normale sexistische Jungs sind, die die "Mona Lisa der Lobau", die nächtliche Bekanntschaft aus "1,2,3,4" oder das Mädchen aus der Provinz aus "Nimm sie wenn du's brauchst" zielgerichtet angehen und ausbeuten. So wie sie selber ausgebeutet werden, wenn auch nur andeutungsweise, wie es im verstörendsten aller Bussi-Stücke, nämlich "Gib mir alles".

Von einem neuen Spielzeug, das seinen Reiz hat, ist "Nimm sie wenn du's brauchst", dem offensivsten Burschen-Text die Rede, und in mir laufen die entsprechenden selbst erlebten Szenen ab, genauso wie beim resignativen (oben zitierten) Anfangstext von "Lieber dann als wann" oder anderen Stücken. Ich seh' mich selber bei Parties, in richtungsweisenden Beziehungssituationen, bei falschen Entscheidungen, ich seh' mich als Täter, ich seh' mich als Opfer.

Und ich sehe und spüre auch die Nachlese, den Nachhall, das drüber Nachsinnen, ob es möglich/nötig/sinnvoll ist, diese Phase und ihre überbordende Intensität ins restliche nachfolgende Leben mitzunehmen, rüberzuretten. Und ich höre mich drüber reden, mit einer Freundin aus wieder einer anderen Parallelwelt, an der lauten Straßenecke, ehe sie dann ins Cafe geht, wo sie ein Treffen mit ihrem Sprachkunstlehrer hat, mit dem Robert Schindel. Und da schließt sich ein Kreis, und da hat mich Bussi dann intravenös erwischt. Auch wenn da am Ende alles wurscht ist, und sich Geigen, als wären sie die vom Opratko, zu einem Scheißegal-Finale auftürmen. Aber hin und wieder stehen wir uns nah.