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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

30. 9. 2015 - 14:12

Friends

"Die Menschen in Westeuropa haben keine Freunde. Was du dir unter Freunden vorstellst, findest du nur am Balkan." Das waren die Worte meines Vaters, kurz bevor ich mich vor so vielen Jahren auf den Weg nach Österreich gemacht habe.

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt des Todor Ovtcharov. Im Radio und auch als Podcast zum Anhören.

"Die Leiden des jungen Todor"
Das Buch mit den gesammelten Kolumnen gibt es im FM4 Shop.

Es stimmt schon, dass die Institution der Freundschaft in meinem Geburtsland etwas sehr Wichtiges ist. Die Menschen lieben es, sich zu befreunden. Sie befreunden sich auf alle möglichen Arten und aus allen möglichen Gründen. Und es ist sehr wichtig, dass sich Freunde gegenseitig helfen. Wenn man eine Betonplatte für sein neues Haus braucht, holt man nicht Bauarbeiter, sondern seine Freunde. Und man bezahlt sie mit Bier, was auch zum Ritual der Freundschaft gehört.

Freundschaft

CC_BY-2.0 / Marina del Castell / flickr.com/marinadelcastell

Es ist zwar nicht verpflichtend, dass Freunde einen Nutzen voneinander haben, aber es schadet auch nicht. In der Schule hatte ich einen Freund, mit dem ich ein perfektes Team war. Ich habe von ihm in Chemie, Physik und Mathe abgeschrieben und er von mir in Deutsch, Englisch und bulgarischer Literatur. So hatten wir beide perfekte Noten in allen Fächern. Das Ganze hatte natürlich auch Nachteile: Ich kann bis heute das Ohmsche Gesetz nicht, und er hat Probleme mit der deutschen Grammatik.

Danach studierte ich kurz an der Universität Sofia. Dort hatte ich einen neuen Freund. Er war wie mein Schatten – er folgte mir immer und half mir bei allem, ohne sich zu beschweren. Ich dachte, dass ich den perfekten Freund gefunden habe, bis er plötzlich total verrückt geworden ist. Er hat versucht, seine Verwandten und sich selbst zu töten. Mein Freund war wie Doktor Jekyll und Mister Hyde. Mir fiel der Satz von Aristoteles ein: "Freundschaft ist eine Seele in zwei Körpern." Ich hatte Angst, dass auch in mir ein dunkles Geheimnis lauert.

"Freundschaft ist wichtig, aber Käse kostet Geld", sagt ein bulgarisches Sprichwort. In Österreich gilt das auch. Und nicht nur für Käse, sondern auch für Wurst.

In Wien habe ich alles dafür getan, um meinem Vater zu trotzen und Freunde zu finden. Da ich wusste, dass Freundschaft auch selbstlos ist, habe ich meinem Freund ständig Geld geliehen. Er nannte mich "mein bester Freund" und lud mich oft auf ein Bier ein. Mit meinem Geld. Als ich dann mal Geld brauchte und ihn bat, einen Teil vom Geliehenen zurückzugeben, wurde ich ganz schnell vom "besten Freund" zum "geizigen Typen". Ich verstand, dass meine Selbstlosigkeit einfach dumm war.

Ich habe auch versucht, die Geschichten von meinen Freunden in diesen Kolumnen hier zu beschreiben. Seitdem reden aber viele nicht mehr mit mir, einer beschwerte sich sogar bei FM4.

"Was soll ich in Wien machen, alle meine Freunde sind in Bulgarien", sagte mir meine liebe M., kurz bevor sie nach Wien gekommen ist. Mir fiel wieder der Satz von meinem Vater an. Trotzdem kam M. zu mir. Und ich versuche, die Freunde mit Romantik zu kompensieren.