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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

3. 10. 2015 - 12:01

Luise, 37

Sie gehören zu den umtriebigsten Grazer Theatergruppen: Die Rabtaldirndln machen turbulente und brachiale Performances und bringen jetzt ihre "Luise 37" zum steirischen herbst.

steirischer herbst,
bis 18. Oktober,
Graz, Vordernberg, Leoben und Hart bei Graz

Luise, 37, verheiratet und dreifache Mutter, sitzt im Auto und das Leben fährt an ihr vorbei: Die Grazer Theatergruppe Die Rabtaldirndln rechnen in ihrem neuen Stück mit vermeintlichen Vorstadtidyllen von Jungeltern ab und werden doch sehnsüchtig. Sie erzählen von einer fiktiven "Luise", mit der sie sich einmal identifizieren, dann wieder komplett nicht zurecht kommen. Eigenheim, verschuldet mit Fremdwährungskredit, 20-Stunden-Erwerbsarbeit, Babyyoga und: "Damit muss sie jetzt umgehen, dass sie ihr Potenzial nie gelebt hat". Das Stück "Luise, 37" hatte Freitagabend Premiere in Hart bei Graz, passend im Neubau einer Mehrzweckhalle, die an einem Kreisverkehr zur einen Straßenseite liegt.

"Luise, 37" ist noch am 3., 9. und 10.10., jeweils um 19.30, in der Kulturhalle Hart bei Graz im Rahmen des steirischen herbst zu sehen.

Auf der anderen Seite findet sich ein abends hell erleuchtetes Fußballstadion. Für das Auftragswerk des steirischen herbst hatten Die Rabtaldirndln Fußballtraining. Es ist kein Tanzstück, doch eines mit viel Bewegung und Gesang. "All-eeee, All-eee, All-eee / eine Straße / mit vielen Bäumen / ja das ist eine All-ee!". Die Rabtaldirndln sind fünf Schauspielerinnen. Anlass genug, vier der fünf Rabtaldirndln über zeitgenössisches Theater, Mutter-Sein und ihr Kunstschaffen zu befragen. Schließlich gibt es nicht viele Theaterkollektive, die sich auf der Bühne als feministisch bezeichnen und derart lustige wie harte Stücke machen.

Wer sind die Rabtaldirndln und wo kommen sie her?

Barbara Carli: Wir sind eine Performance-Gruppe, die es seit 2003 gibt, und wir machen zeitgenössisches Theater im Spannungsfeld Stadt/Land mit Frauenthematiken. Wir probieren unterschiedliche Formate aus, einmal ist es eine Generalversammlung, dann ein Diavortrag. Wir passen das Thema der Ästhetik an und experimentieren mit Bühnenorten. Wir haben kein eigenes Theater, sondern sind zu Gast oder suchen uns einen eigenen Aufführungsort.

Gudrun: Vier kommen aus der Oststeiermark, ein Dirndl kommt aus Graz. Gefunden haben wir uns in Graz übers Theaterspielen. Wir sind alle vom Land, leben aber seit Jahren in der Stadt.

Die Theatergruppe "Die Rabtaldirndln" trainieren Fußballspielen für ihr Auftragswerk "Luise 37"

JJ Kucek

Weitere Spieltermine von "Du gingst fort" finden sich hier.

Eure Stücke sind stets turbulente Performances. Beim Letzten, „Du gingst fort“, habt ihr ein Stück Stoff frittiert und Gudrun Maier mit rohen Eiern eingerieben. Wie wild darf es auf der Bühne zugehen?

Gudrun Maier: Das ist mit uns gewachsen. Am Anfang wären wir nie nackt gewesen. Unvorstellbar allein die Idee, in Negligés aufzutreten. Jetzt höre ich oft, „ihr seid immer nackert“, obwohl das nicht stimmt.

Barbara Carli: Im zeitgenössischen Theater gibt es diese Erwartungshaltung, dass irgendwann irgendjemand nackt auf der Bühne sein müsse, sonst wäre es kein zeitgenössisches Theater

Bea Dermond: Für das, was wir erzählen wollen, ist das die richtige Sprache und Direktheit. Sei es die Nacktheit und Wildheit.

Gudrun Maier: Das Arg-Sein zueinander.

Barbara Carli: Genau. Unsere Gruppe besteht aus fünf Frauen und innerhalb des Rabtaldirndln-Kosmos hat jede ein Alter Ego für die Bühne. Da geht ganz viel. Wir brechen mit den Erwartungshaltungen, wie Frauen zu sein haben.

Rosi Degen hängt auf einem Gymnastikball. Die Rabtaldirndln spielen ihr Stück "Luise 37" in einer Turnhalle

JJ Kucek

Mit Sexualität und Nacktheit erregt man nach wie vor Aufmerksamkeit. Wo wäre für Euch die Grenze?

Gudrun Maier: Ich würde keinen Sex auf der Bühne haben!

Die Anderen lachen: Sagt sie jetzt!

Barbara Carli: Die Grenze ist bei Provokation als Selbstzweck.

Der steirische herbst ist ein alteingesessenes Festival und hat immer wieder Skandale hervorgebracht. Wollt ihr Leute bewegen?

Gudrun Maier: Ja, zum Nachdenken oder Handeln. Wenn jemand glaubt, dass wir unsere Busen herzeigen, um zu provozieren, trifft mich das.

Du hast auf der Bühne für "Du gingst fort" mit deiner Brust während der Stillzeit mit Milch gespritzt.

Rosi Degen: Es gibt drei Mütter bei uns in der Gruppe. Sind die Babys klein, kommen sie mit auf die Probe und werden gestillt. Ich habe keine Sekunde gedacht, dass es Menschen irritiert.

Bei euren Stücken wird ja im Gegensatz zu den Off-Gruppen Theater im Bahnhof und Zweite Liga für Kunst und Kultur nicht improvisiert.

Rosi Degen: Ja, bei uns ist alles gesetzt. Bea musste Milch zum richtigen Zeitpunkt haben.

Die Rabtaldirndln spielen ihr Stück "Luise 37", Gudrun Maier turnt auf Ringen, während die anderen drei Schauspielkolleginnen mit Feuer eine kleine Choreographie machen

JJ Kucek

Im Stück „Luise 37“ geht es um Mutterschaft und Rückzug ins Grüne, aufs Land.

Gudrun Maier: Eine Freundin von mir ist zweifache Mutter. Wenn sie nicht arbeitet, ist sie unterwegs zum Fußballplatz oder zum Tormanntraining nach Graz. Sie hat nie Zeit für sich.

Bea Dermond: Diese Lebenssituation als junge Mutter hat uns interessiert. Die Rabtaldirndln sagen: Aufpassen, da gibt es die Fallen! Damit man nicht mit 37 den Spiegelschrank putzt und plötzlich zu weinen beginnt, weil man denkt, das war's jetzt!

Aber was bedeutet, das war es jetzt? Es kann doch wunderschön sein, im hoffentlich irgendwann ausbezahlten Eigenheim zu sein, eine Partnerschaft und ein Kind zu haben.

Rosi Degen: Vielleicht kommt der Moment, wo man bemerkt, dass viele Aktivitäten fremd gesteuert sind. Man ist Dienstleister für ganz viele in der Familie.

Gudrun Maier: Und wenn man z.B. Schulden hat und zwei Kinder, kommt man nicht aus der Situation heraus.

Die Rabtaldirndln während ihres Stücks "Luise 37": Eine Schauspielerin fasst mit einer Hand ihrer schwangeren Kollegin auf den Bauch und die andere Hand legt sie auf den eigenen Bauch

JJ Kucek

Bea Dermond: Vielleicht passt in der Partnerschaft etwas nicht, doch du kannst nicht hinschauen, weil das darfst du dir gar nicht erlauben.

Barbara Carli: Auch in der Stadt kann man Schulden und Schwierigkeiten haben. Bei diesem Stück forschen wir zu den Mechanismen, die hier im Speckgürtel wirken. Das ist das Bild der Frau, die permanent im Auto sitzt, oder das Wunschbild, eine Gemeinschaft zu finden, wenn man aufs Land zieht. Mit Tratschen und einander helfen. Das stellt sich nicht immer ein.

Gudrun Maier: In meiner Kindheit habe ich alle Leute im Ort gekannt. Wenn die Mama einmal nicht da war, hat die Nachbarin auf mich geschaut. In den schnell gewachsenen Speckgürteln gibt es diese Gemeinschaft nicht.

Rosi Degen: Wenn die Bundesstraße durch den Ort rattert, bringt man sein Kind auch lieber mit dem Auto wohin. Dann landet man genau in der Situation, in der unsere Luise, 37, steckt: Sie sitzt viel im Auto und das Leben fährt an ihr vorbei.

Ein trauriger Ausgangspunkt!

Gudrun Maier: Die Rabtaldirndln verallgemeinern gern, kommen mit einer starken Meinung an und die beginnt zu bröckeln. Bei den Proben sind wir zu dem Punkt gekommen: Vielleicht geht es aber auch um Neid. Wenn ich auch ein Kind hätte, warum nicht? Das könnte alles gut sein!

Barbara Carli: So gern wir über andere Lebensentwürfe drüberfahren, so gern gestehen wir auf der Bühne unser eigenes Scheitern ein!

Katapultiert einen die Schwangerschaft und Mutterschaft ins Abseits, wie es „Luise 37“ suggeriert?

Rosi Degen: Ich war erst ein bisschen überfordert mit meiner dritten Schwangerschaft und den Proben für die Premiere. Es ist ein sehr körperliches Stück. Ich werde nicht bis zwei Tage vor der Entbindung spielen. Es geht gut, weil ich einen super Mann habe, mit dem ich mir die Arbeit zuhause und mit den Kindern echt gut aufteile.

Als Vorbereitung hatten Sie Fußballtraining. Fußball ist noch immer nicht ein typisches Frauenhobby, oder?

Gudrun Maier: Wir dachten, es wäre ein feministischer Akt, Fußball zu spielen. Falsch!

Rosi Degen: Es gibt fast in jedem Dorf eine Frauen-Fußballmannschaft.

Bea Dermond: Ich spiele super Fußball und in meiner Schulzeit war es die Ausnahme, dass ich mit den Burschen spielen durfte.

Gudrun Maier, kippt in ihre Rolle: Das ist einmal eine Geschichte nach elf Jahren, wo die Toni (Anm. die Dermond spielt) etwas am besten kann!

Das ist ein typischer Moment der kleinen Grausamkeit der Rabtaldirndln!

Gudrun Maier: Das ist doch nicht grausam. Sie kann was gut!

Alle lachen.

Rosi Degen: Wir gönnen es ihr! Sie hat auch einen Moment auf der Bühne, wo sie toll gaberln kann. Das macht sie super.

Seid ihr privat eigentlich Freundinnen?

Sie lachen, ziehen einander auf und antworten: Ja, sind wir.