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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

29. 9. 2015 - 17:41

The daily Blumenau. Tuesday Edition, 29-09-15.

Strache, 70 Jahre und Anmerkungen zu einem Geschichtsbild.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

#demokratiepolitik #geschichtsbewusstsein

Ausgangspunkt war die große Aufregung um einen Strache-ZiB-Sager vom letzten Landtagswahlabend, der - bezogen auf die Wien-Wahl - wie folgt lautet: "... dass wir dort erstmals seit 70 Jahren stärkste Kraft werden können."

Vor 70 Jahren, da war 1945. Und es ist unwahrscheinlich, dass Strache damit gemeint hat, dass er sich als Nachfolger der Nazi-Bürgermeister, die bis zum April 45 regiert hatten, ins Spiel bringen wollte. Wahrscheinlicher ist es, dass er sich - wie viele, um nicht zu sagen alle - auf '45 als Beginn der neuen Zeitrechnung bezieht und die 70 Jahre an SP-Herrschaft in Wien anspricht, die er gern beenden würde.

Die Reaktionen auf den Spruch waren, je nach Interpretation, geteilt. Der FM4-Kollege Rotifer sieht das so, der ORF-Kollege Wolf so:

Wolfs Twitter-Post

armin wolf

In jedem Fall sorgte die Entrüstung für ein Strache-Posting auf Facebook, das - bei genauer Betrachtung - für einige überraschende Hervorbringungen sorgt:

"Lächerlich" trifft es genau auf den Punkt, Herr Armin Wolf vom ORF hat vollkommen Recht! Smile-Emoticon.
Die reflexartige, durchschaubare und dümmliche Unterstellung sowie die künstlich inszenierte Aufregung meiner Gegner ist durchschaubar. Sie versuchen bereits krampfhaft, alles an den Haaren herbei zu ziehen aus lauter Nervosität vor der Wiener Wahl.
Es geht am 11. Oktober 2015 um demokratische Wahlen. Und ab 1945 gab es zum Glück wieder demokratische Wahlen. Nach über 70 Jahren SPÖ-Herrschaft und den letzen 5 Jahren rot-grüner Belastungspolitik, ist es erstmals möglich, diesen Sumpf auch wirklich demokratisch abzuwählen und zu überwinden. Vor genau 70 Jahren (September/Oktober 1945) war übrigens der Sozialdemokrat Theodor Körner Bürgermeister von Wien. (Selbst der wurde zunächst nicht gewählt, sondern im April 1945 von den Sowjets eingesetzt; erst im November 1945 fand die erste Landtagswahl nach dem Zweiten Weltkrieg statt).
Zwischen 1934 und 1945 gab es bekanntlich eine Diktatur und ausdrücklich keine demokratischen Wahlen! Vor 1934 wurde auch gewählt. Einfach zum NACHDENKEN!
PS: Aber da fordere ich von rot-grün verbissenen FPÖ-Hassern offensichtlich zu viel! Smile-Emoticon

1) Ist Straches Reaktion angemessen?

Auf der Fakten-Ebene durchaus - auf die Unebenheiten was Institutionen, Zeitabläufe und Geschehnisse anbelangt, kommen wir in Punkt 2 und 3.

Auf der emotionalen Ebene blendet Strache just das eigentliche Thema seines Posts aus: die Geschichte. Und zwar die Geschichte seiner Partei. Genauer: das notorische Anstreifen der FPÖ an die Nazizeit, von den permanenten Anspielungen seines Vorgängers Haider angefangen bis hin zu scheinbar naiver Zitierung eindeutiger Slogans und der häufigen Verwendung unscharfer, zweideutig zu verstehender Ansagen. Das umfasst vor allem kernige Sprüche, die mit dem Augenzwinkern in Richtung hin zur unzensuriert-Kundschaft doppelt lesbar sind.

Mit seinem uneindeutig formulierten Satz (denn "erstmals seit 70 Jahren stärkste Kraft" lässt tatsächlich einen entsprechenden Assoziationsstrang offen) füttert Strache genau diese FP-Traditionslinie. Ihm ist eigentlich nichts vorzuwerfen, er holt damit aber alle, die diesen Satz bewusst so verstehen wie die entsetzten Antifaschisten, hinterm Nazi-Ofen hervor und lässt sie fröhlich feixen. Vor allem, weil der Konnex nicht allzu weit hergeholt ist: die 1955 gegründete FPÖ ist die Nachfolgeorganisation der 1949 gegründeten VdU, die wiederum dezidiert und offen als Auffangbecken für ehemalige Nationalsozialisten und Großdeutsche fungierte. Und: mehr als ein Parteiobmann der FPÖ hatte eine SS-Vergangenheit. Anton Reinthaller etwa war Minister im Anschluss-Kabinett von Seyß-Inquart und bis '45 Reichstagsabgeordneter, also NS-Politiker.

Insofern ist weder der Gedanke, dass sich Strache womöglich auf diese Vorgängerschaft bezieht, noch die Unterstellung hier ein augenzwinkerndes Doppelspiel mit den wissenden 88er-Fans, völlig an den Haaren herbeigezogen.

Hätte Strache eine Reaktion im Rahmen der Tugend getätigt, die er am Sonntag am öftesten zitiert hatte (der Demut nämlich), dann hätte er auf die (aus seiner Sicht wohl vergangene) Vergangenheits-Belastung sowie die Doppelspiel-Taktik eingehen müssen. Er hätte (in aller erwähnten Demut) die Hand reichen, auf die tatsächlich zumeist schnell getätigten Parteiausschlüsse, die auf Nazi-Rülpser von lokalen Mandataren folgten, eingehen und sich von nazifreundlichen Augenzwinkerern distanzieren können. Alles Ansagen, die eines Amtsträgers (und ein solcher zu werden strebt Strache ja an) würdig wären, sich nämlich aus der Opferrolle zu lösen und von vergangenen Täter-Attacken loszusagen.

In dieser Hinsicht ist das Facebook-Posting nicht weit von der Reflexhaftigkeit, die Strache seinen Gegnern vorwirft, entfernt. Mit FPÖ-Hass hat die Notwendigkeit der genauen Untersuchung seiner Aussage nämlich nichts zu tun, viel mehr ergibt sie sich durch die (laut Strache vergangene) Notorik des 3. Lagers, was Ein/Zweideutigkeiten in diesem Feld betrifft.

2) Liegt Strache historisch gesehen richtig?

Im Großen und Ganzen ja, im Detail hakt es.

So wurde der Wiener Bürgermeister Theodor Körner nicht "von den Sowjets" eingesetzt, nämlich weder von den so genannten Arbeiterräten noch vom so genannten Parlament der UdSSR, und auch nicht von deren landläufig, historisch aber unpräzis so bezeichneten Polit-Funktionären.
Körner, der später Bundespräsident war, wurde am 17. April '45 von den aus der Widerstandsbewegung hervorgegangenen, gerade frisch konstituierten Wiener Parteien eingesetzt und von einem General der Roten Armee, dem Stadtkommandanten Alexej Blagodatow bestätigt. Die Rote Armee hatte Wien zuvor in einem einwöchigen Kampf gegen Wehrmacht und SS befreit, Körner, der nach den Absagen von drei oder vier anderen Kandidaten zum Zug kam, wurde von den West-Aliierten (USA, UK, Frankreich), die Wien im Mai erreichten, bestätigt. Körner wurde also keineswegs von "den Sowjets" installiert. Das trifft nur auf den ersten Wiener Bürgermeister, den Installateur und Spanien-Kämpfer Rudolf Prikryl zu, der direkt nach der Befreiung, quasi auf Zuruf eines russischen Generals bestellt wurde und das Amt für drei Tage bekleidete.

Auch der Strache-Satz "Zwischen 1934 und 1945 gab es bekanntlich eine Diktatur und ausdrücklich keine demokratischen Wahlen!" ist nicht ganz korrekt. Genau genommen waren es zwei sehr unterschiedliche Diktaturen, die einander da ablösten, wo Straches Geschichtslektion einen bruchlosen Übergang insinuiert. Nach dem autoritären Regime des Austrofaschismus, der 1934 das Parlament auflöste, ein ständestaatliches Einparteien-System installierte, politische Gefangene (auch Nazis) festsetzte und ermordete und nach italienischem Vorbild (Mussolinis Faschisten standen Pate) agierte, folgte 1938 die NS-Diktatur mit Aushebelung aller Menschenrechte, innerstaatlichem Terror, Massenvernichtung politischer Gegner, Genozid und Entfachen eines globalen Weltenbrandes in bis dorthin unbekanntem und unvorstellbarem Ausmaß. Die eine Diktatur hat mit der anderen also gar nichts zu tun - sie historisch gleichzusetzen oder in eine zeitliche Einheit zu vermantschen gilt unter Historikern als höchst unseriös.

3) Erkennt Strache - etwa im Gegensatz zur ÖVP - damit den Austrofaschismus als Diktatur an?

Ja.
Und das ist die größte Überraschung des Postings.

Während nämlich die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit Österreichs in den letzten Jahren und Jahrzehnten (zwar Jahrzehnte zu spät) auf einem Level angelangt sind, für das man sich nicht mehr (wie bis tief in die 90er hinein) genieren muss, schaut es mit der Aufarbeitung des Austro-Faschismus ganz schlecht aus. Vor allem die ÖVP, Nachfolge-Organisation der CS, die sich 1934 an die Macht putschte, hat ein Problem mit der Benennung dieser Ära. Symbolbild dafür ist das gemalte Portrait des Diktators Engelbert Dollfuß, das immer noch im VP-Parlamentsclub hängt.

In dieser Hinsicht (Aufarbeitung der ersten Diktatur der Zwischenkriegszeiten) ist die Strache-FPÖ also deutlich weiter als ein anderer demokratischer Mitbewerber. Strache setzt sich mit der Wiederholung des Bruch-Jahres '34 (nur vor 1934 wurde auch (demokratisch) gewählt) sogar dezidiert in Szene. Das wiederum lässt die Volkspartei in einer abgrenzungstechnischen Schlusslicht-Position zurück.

4) Sind politische Positionierungen abseits von Polemik lesbar?

In Österreich wohl noch nicht.
In bewusster agierenden Demokratien mit tieferer Erfahrung und erhöhtem Geschichts-Bewusstsein würde der Strache-Post nämlich einen vielschichtigen Diskurs auslösen. Hierzulande bleibt die Rezeption immer noch allzu gerne an der Oberfläche.