Erstellt am: 28. 9. 2015 - 13:18 Uhr
Die stärkste Kraft in Wien vor 70 Jahren
Okay, ich kann nicht oft genug betonen, dass ich zuwenig über die politische Realität meiner Geburtsheimat weiß, um hier aus der Ferne Diagnosen abzugeben.
Wenn ich aber höre, der Parteichef der FPÖ habe gestern gesagt, "dass spätestens heute sichtbar geworden ist, dass wir dort [in Wien, Anm.] erstmals seit 70 Jahren stärkste Kraft werden können" (zu sehen bei 0:52), dann mach ich mir als Auslandsösterreicher schon Gedanken darüber, was das heißen kann.
Falls es irgendwelche Zweifel geben sollte: Hier sind zwei Bilder aus den letzten Tagen vor dem Machtwechsel in Wien vor 70 Jahren: Die öffentliche Hinrichtung der drei Wehrmachtsoffiziere Karl Biedermann, Alfred Huth und Rudolf Raschke durch die SS am Floridsdorfer Spitz am 8. April 1945.
„Ich habe mit den Bolschewiken paktiert“, ist auf den Pappschildern an der Brust der Gehenkten zu lesen.
Die drei hatten versucht, zur Vermeidung von Blutvergießen eine Kapitulation der Wehrmacht vor den herannahenden Sowjettruppen zu organisieren.

DÖW
Quelle: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands.
Rudolf Mildner, der letzte Wiener Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiensts des Reichsführers SS (das Wort Sicherheit als Euphemismus für Repression damals schon beliebt), ein Ex-Burschenschafter, Veteran der K.u.K. Armee, seit 1931 Mitglied der NSDAP, also der bis zum Machtwechsel vor 70 Jahren stärksten Kraft in Wien, übernahm bei diesem Anlass persönlich die Leitung des Standgerichts.
Mildner war in Dänemark führend an Verfolgungen und Deportierungen von Juden und Widerstandskämpfer_innen nach Auschwitz beteiligt gewesen, wo er zuvor als Gestapo-Chef von Katovice schon rund 2000 Polen hinrichten hatte lassen.
Nach Kriegsende wurde er von den Amerikanern beim „Bergwandern“ in den Alpen verhaftet, sagte bei den Nürnberger Prozessen gegen seinen Chef, den aus Oberösterreich stammenden Leiter des Reichssicherheitshauptamtes Ernst Kaltenbrunner aus und entkam wegen seiner kooperativen Einstellung einem von Polen geforderten Kriegsverbrecherprozess.
1949 wurde er freigelassen (laut einem dem Kongress 2010 vorgelegten Report der National Archives vermutlich, weil seine Kenntnisse der Kommunisten den USA im kalten Krieg nützlich waren) und floh, wahrscheinlich nach Argentinien.
Die 1967 zum Gedenken an die Hingerichteten in Biedermann-Huth-Raschke-Kaserne umbenannte Kaserne in Wien 14 wurde übrigens voriges Jahr verkauft.
Nicht dass viele Wiener_innen gewusst haben werden, warum sie so hieß.
Ist ja schon über 70 Jahre her, dass die damals stärkste Kraft in Wien in ihren letzten Zügen lag.
Aber wenn sich einer nun vor den Wiener Wahlen darauf beruft, dann fallen einem eben all die alten Geschichten wieder ein. Darüber, wie das so war, damals vor 70 Jahren.