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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

28. 9. 2015 - 14:36

Der unendliche Mario

Bei "Super Mario Maker" werden wir alle zu Gestalter/innen. Das bedeutet ein ewiges Füllhorn an neuen Welten, zeigt aber auch, wie schwierig es ist, wirklich gute Levels zu entwerfen.

Mario ist der ultimative Videospielheld, die Vorzeigefigur der Games-Kultur. Starke Ausstrahlungskraft trifft auf einen hohen Interpretationsspielraum. "We are all Mario", wie es in diesem ebenso kuriosen wie philosophisch wertvollen Artikel heißt.

Aufgrund seiner Popularität ist Mario natürlich nicht nur eine immerwährende Games- und Merchandise-Melkkuh von Herstellerfirma Nintendo, sondern auch Zentrum einer umfangreichen Fangemeinde, deren DIY-Energie schier unerschöpflich ist. Seit Jahren, bald Jahrzehnten, sehen wir selbstgemachte Mario-Theaterstücke, -Raps, -Songs, nachgespielte Mario-Soundtracks und natürlich einen stetigen Nachschub an selbstgebastelten Levels, die mit inoffiziellen Editoren wie etwa "Lunar Magic" erstellt werden.

Mit "Super Mario Maker" schafft es Nintendo nun, einen Großteil seiner verstreuten DIY-Fankultur quasi zurück in die Zentrale zu holen. Lange Zeit wurde der japanische Traditionskonzern dafür belächelt, dass er den Online-Trend der Gameskultur verschlafen hätte. In Wahrheit war es ein jahrelanges Beobachten, bis man punktgenau zur Landung ansetzt.

Cover von "Super Mario Maker": Einige Elemente und Figure aus dem Originalspiel aus 1985, dazu ein großer Super Mario, der einen Fragezeichenblock in der Hand hält.

Nintendo

Der Leveleditor, das Kernstück von "Super Mario Maker", besitzt ein dermaßen intuitives Interface, dass man damit sogar den Pizzazusteller kurz nerven kann. Schon hat man ein neues Level! In Kürze kann es die ganze Welt spielen. Denn so, wie es uns die Social-Media-Riesen gelehrt haben, können auch bei "Super Mario Maker" im Handumdrehen eigene Levels hochgeladen und die Werke anderer bewertet und kommentiert werden.

Am Anfang will man aber eher mal herausfinden, was schon alles erstellt wurde, bevor man sich selbst ans Basteln macht. Die von Nintendo mitgelieferten Levels sind eher spartanisch und kinderleicht ausgefallen. Im Gegenteil zu den Kreationen der User: Die sind in den meisten Fällen höllisch schwer und fordern uns blitzschnelle Reaktionen und pixelgenaue Sprünge ab. Das klingt zwar nach einer saftigen, motivierenden Herausforderung, wird aber oft langweilig. Das viele virtuelle Sterben und neu Anfangen ist schon okay; nerviger ist der Umstand, dass man immer wieder die "Leben verloren"- und "Neuer Versuch"-Sequenzen über sich ergehen lassen muss.

Foto aus dem Artbook, das mit dem Spiel mitgeliefert wird. Die aufgeschlagene Seite zeigt zwei Marios mit Schildkrötenhelmen auf den Köpfen.

Nintendo

Zum Spiel dazu gepackt ist ein sehr nettes, kleines Artbook.

Wer nicht im Spiel auf gut Glück Levels finden möchte, sollte beim sehr aktiven Subreddit "Mario Maker" vorbeischauen.

So viele Levels es nach wenigen Wochen "Super Mario Maker" auch gibt: Schon bald wird einem bewusst, dass wir diese Games vor allem wegen des geniale Leveldesigns des Nintendo-Teams so gerne spielen. Natürlich gibt es auch Perlen in der Masse der von Spieler/innen erstellten Levels. Doch das eigenständige Suchen und Kuratieren der besten Kreationen ist weitaus mühseliger als ein dramaturgisch perfekt abgestimmtes "Mario"-Spiel einfach zu kaufen und zu konsumieren. Glücklicherweise gibt es hochmotivierte Fachjournalist/innen, die das bei "Super Mario Maker" für den gewöhnlichen User erledigen - etwa mit entsprechenden Artikeln auf Kotaku oder bei Tiny Cartridge.

It's automatic!

Nicht nur Mario:
Es gibt neben der Hauptfigur auch viele andere spielbare Charaktere aus dem Nintendo-Universum, die sich als Skins freischalten lassen.

Die verblüffendste Erkenntnis beim Tauchen durch die unzähligen DIY-Werke ist der Trend der sogenannten "Automatic"-Levels. Dabei muss man selbst nichts machen. Nur den Level starten, und los geht's: Durch diverse Spielelemente wie Sprungfedern oder Trampolinblöcke kann die Umgebung so gestaltet werden, dass Mario automatisch durch die Gegend gewirbelt wird, selbstständig von Koopa zu Koopa springt und sich auf bewegliche Plattform bugsieren lässt. Dazu gibt es oft die für japanische Popkultur typische audiovisuelle Überreizung: Überall blinkt und klingelt es, es rappelt und rattert, wir kommen mit dem Verarbeiten nicht mehr nach. Irgendwann ist Mario von alleine bei der Zielstange angekommen.

Die "Automatic"-Levels sind bei weitem am populärsten von allen "Super Mario Maker"-Levels - allerdings ist das keine Entwicklung der letzten paar Wochen. Tatsächlich gibt es diese Mischung aus Rube-Goldberg-Maschinen und Musikvideos schon seit rund zehn Jahren, wie eine Recherche der Game Theorists ergeben hat.

Mach' es selbst

Polygon.com hat Game Designer gebeten, Mario Levels zu machen - etwa Derek Yu ("Spelunky").

Weil aber ohnehin "Super Mario Maker" auf der Packung steht und das ewige Wühlen durch die User-Levels mit der Zeit ein mattes Gefühl der Fragmentierung und Zerklüftung aufkommen lässt, wird es Zeit, selbst Hand an Mario anzulegen. Leider wird einem das am Anfang künstlich erschwert: Zwar ist das Levelbauen, wie eingangs schon erwähnt, so leicht wie das Malen in einem Kinderbuch, doch stehen einem zu Beginn nur ein Bruchteil der Funktionen und Elemente zur Verfügung. Um ja niemanden zu überfordern, werden die Gegenstände erst nach und nach freigeschalten. Einerseits, indem man User-Levels spielt, hauptsächlich aber, indem die Zeit vergeht. Heute ist Montag, sieh an, du hast ein paar neue Möglichkeiten ins Spiel geliefert bekommen! Das ist nicht nur bevormundend, sondern zwingt auch zu einem mühsamen Grind durch ein Spiel, das ansonsten so sehr mit Unmittelbarkeit punktet.

Ich will nicht alles machen können

Die intuitive Bedienung des Editors bringt mit sich, dass man keine komplexen Programmierungen erstellen und somit mit Mario-Elementen völlig andere (Spiel)erlebnisse möglich machen kann, wie das etwa bei "Little Big Planet" der Fall ist. Doch innerhalb der verfügbaren Elemente aus vier Mario-Spielen ("Super Mario Bros.", "Super Mario Bros. 3", "Super Mario World", "New Super Mario Bros. U") gibt es nur wenige Einschränkungen: Goombas, Hammer Brothers und Bowsers kommen in allen Mengen und Größen, unzählige Münzen und Bullet Bills schweben durch die Luft, Fragezeichen-Blöcke, Sägeblätter, Röhren, Steine und Sterne drängen sich dicht aneinander. Mario weiß oft nicht mehr, wie ihm geschieht. Das alternative Games-Magazin Offworld nennt dieses Problem beim Namen: "Your Super Mario Maker level has no chill".

Unperfektes Füllhorn

"Super Mario Maker" ist exklusiv für Wii U erschienen und kostet rund 60 Euro.

So sehr das Experimentieren Spaß macht, ist die oftmalige Übertreibung und Überhöhung der bekannten und beliebten Super-Mario-Elemente irgendwann zu viel des Guten. Das Staunen und ausführliche Erkunden geht verloren, was auch daran liegt, dass es nicht möglich ist, eine Kaskade an mehreren Levels hintereinander zu spielen, ohne zwischendurch nicht immer wieder ins Menü zurückgeworfen zu werden.

"Super Mario Maker" ist ein Baukasten, wie man ihn sich wünscht. Ein Geschenk für Nintendo-Fans, die immer mit inoffiziellen Tools arbeiten mussten. Wer allerdings hofft, nie wieder ein neues "Mario"-Spiel kaufen zu müssen, weil man jetzt ein Füllhorn an Levels besitzt, wird enttäuscht sein, dass sich das alles am Ende des Tages nicht so gut anfühlt, wie ein komplettes, von professionellen Game- und Level-Designern erstelles "Mario"-Spiel.