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Christian Pausch

Irrsinn, Island, Ingwer.

28. 9. 2015 - 14:03

Irgendetwas stimmt nicht

"Der Dieb in der Nacht" heißt Katharina Hartwells zweiter Roman, der sich nach und nach zu einem grandiosen Psychothriller entwickelt.

Rezension zu Katharina Hartwells erstem Roman "Das Fremde Meer"

Vielleicht ist die Bezeichnung Psychothriller zu viel, aber vielleicht ist sie auch noch nicht genug. Der Roman "Der Dieb in der Nacht" von Katharina Hartwell zieht uns in den Bann einer Geschichte, die ganz unaufgeregt erzählt wird - doch genau diese gespenstische Gelassenheit von Hartwells Worten stellt uns die Nackenhaare auf.

Irgendetwas stimmt nicht.

Dieses Gefühl wird man als Leser_in von Anfang bis Ende des Romans nicht los, selbst wenn Protagonist Paul es erst sehr spät in der Geschichte zur Sprache bringen will - und es dann doch nicht schafft. Irgendetwas stimmt nicht. Und zwar seit zehn Jahren, oder schon lange davor. Pauls bester Freund Felix ist verschwunden. Er ging an einem unbeschwerten Sommernachmittag Cola kaufen und kam nicht zurück. Doch war dieser Nachmittag tatsächlich so unbeschwert, wie er sich in der Erinnerung von Paul festgesetzt hat?

In einer Bar in Prag, wo Paul ein Praktikum macht, geschieht es dann: Neben Paul sitzt Felix. Oder ist er es doch nicht? Der Mann nennt sich Ira Blixen, er bewegt sich wie Felix und hat das gleiche Muttermal am Arm. Aber irgenwie sieht er ihm doch gar nicht ähnlich, aber doch: er muss es sein.

prag

Christian Pausch | FM4

Žižkovská televizní věž. | Der Prager Fernsehturm.

Blixen kommt mit nach Berlin, wo Paul eigentlich lebt, und lernt dort auch Louise, Felix' Schwester, kennen. Zu dritt beginnen die drei eine Art WG-Leben und es entwickeln sich seltsame und oft auch gruselige Dynamiken. Blixen baut nächtelang an einem Kunstwerk, dem "Spinnenbaum" und schleicht durch die Wohnung, während Paul an Schlafstörungen leidet und Louise immer mehr an sich und auch an Blixen zu zweifeln beginnt.

Ich habe meinen Bruder gefunden, will Louise (...) sagen. Sie will die ganze unglaubliche Geschichte nicht bloß erzählen, sie will sie sich erzählen hören; womöglich werden sie sich dann zusammenfügen, die beiden Versionen der Wirklichkeit, die bei jedem Gedanken aneinanderreiben, mit rauen Kanten und lautem Knirschen: Ihr Bruder ist zurückgekehrt/Ein Fremder hat sich in ihr Leben geschoben.

hartwell

Berlin Verlag

"Der Dieb in der Nacht" von Katharina Hartwell ist im Berlin Verlag erschienen. (Man beachte das wirklich wunderschöne Buchcover.)

Das ist keine tatsächliche Person.

Blixen wird nach und nach zur Metapher für alles, was jahrelang nicht ausgesprochen wurde. Er bricht ein in die Familie, die es sich mit Felix' Verschwinden so gut eingerichtet hatte. Aber nun wird alles aufgebrochen. Am Ende steht eine Moral: das Böse, das Unerwartete, das Schreckliche - es kommt immer wieder in unser Leben, auch wenn wir uns noch so sehr wehren. Manchmal kann man es selbst beenden, manchmal muss man es einfach überstehen, und manchmal (ganz selten) geht man daraus gestärkt hervor.

Paul starrt Blixen an. Sein Gesicht ist unbewegt. (...) Das ist keine tatsächliche Person, denkt Paul plötzlich über Blixen. Das, was dort sitzt, ist keine tatsächliche Person, sondern etwas, das tut, als sei es eine Person. Es tut so, als würde es sprechen, es tut so, als ob es uns kennt, als ob es hierhergehört, aber nichts davon stimmt, es hat uns hereingelegt.

Irgendetwas stimmt nicht.

Im Roman von Katharina Hartwell stimmt allerdings alles.