Erstellt am: 27. 9. 2015 - 11:58 Uhr
FM4 Gästezimmer mit Viv Albertine
FM4 Gästezimmer
Das Gästezimmer mit Viv Andrew gibt es für 7 Tage zum Nachhören:
- 7 Tage FM4, ab 16 Uhr
Als ich sie diese Woche in ihrem Reihenhaus in Hackney besuche, um mit ihr das FM4 Gästezimmer aufzunehmen, bietet mir Viv Albertine – ganz wie es sich gehört, wenn in England jemand deine Türschwelle überschritten hat – eine Tasse Tee an.
Sie mag ihre Jugend in Punk-WGs verbracht haben, wo es nichts gab außer einer feuchten Matratze auf dem Boden und einer Gitarre im Eck, aber Formen sind Formen, und manche davon gehören ausnahmsweise tatsächlich bewahrt.
„Builders, black“, sage ich („builder's“ ist Volksmund für die gewöhnliche, für Ösi-Verhältnisse starke Breakfast-Mischung, wie sie eben auch die Bauarbeiter trinken).
„Builders, black? That's hardcore“, sagt sie (Bauarbeiter und andere trinken diesen Tee gewöhnlich mit Milch, nicht schwarz.)
Wer auch nur ein paar Seiten aus Viv Albertines letztes Jahr erschienener Autobiographie „Clothes clothes clothes. Music music music. Boys boys boys.“ gelesen hat, wird verstehen, warum ich das witzig finde.
Robert Rotifer
So vieles an Viv Albertines Leben war wirklich Hardcore, und ich spreche da gar nicht von Getränken und Ernährung (obwohl, davon eh auch), nicht einmal von der schelmischen Bettnässerei des Sid Vicious oder den Heroin-Experimenten mit Johnny Thunders, die in einem schwarzen Unterarm endeten, sondern zum Beispiel davon, wie sie und ihre Band-Kolleginnen von den Slits damals als furchtlose Punk-Pionierinnen auf den Straßen Londons von Passanten bespuckt oder mit Messern angestochen wurden.
Weil sie offenbar eine Bedrohung darstellten.
Nicht genug damit, dass zu jener Zeit nur sehr wenige Frauen in London elektrische Gitarren spielten. Die Slits begnügten sich nicht damit, sich das männlich definierte Rock-Instrumentarium anzueignen (das hatten andere wie zum Beispiel die Runways oder Suzi Quatro schon getan), sie machten sich daran, dessen Verwendung völlig neu zu deuten, unter bewusster Vermeidung maskuliner Stereotypen, überdachten jedes Riff, jedes Wort, jede Geste, jede überlieferte Selbstverständlichkeit.
Da ging es nicht nur darum, sich als Frauen einen Platz in einer Männerwelt zu verschaffen, sondern konsequent eine feministische Gegenwelt zu formulieren.
Robert Rotifer
Wir erfahren auch noch ein paar scheinbar banalere, aber gleichermaßen faszinierende Details aus Viv Albertines Buch. Zum Beispiel, wie sie als Kundin von Vivienne Westwood und Malcolm McLarens Punk-Designer-Boutique „Sex“ (auch damals schon teuer) in oben beschriebenem, täglichem Straßenkampf von ihren Stöckelschuhen in Verlegenheit gebracht wurde.
Nachdem sie in Gesellschaft von Sid Vicious wieder einmal nicht schnell genug von einer der Schlägereien weglaufen kann, die jener magnetisch anzuziehen scheint, beschließt sie, bei ihren Treffen mit Sid künftig zur Sicherheit besser Doc Marten's Boots zu tragen, auch zu Kleidern und Röcken – eine Kombination, die – wie Albertine schreibt – davor nur Skinhead-Mädchen „mit ihren langweiligen grauen Röcken“ getragen hätten.
Es sieht zwar absurd aus, aber nachdem sie es ein paarmal durchgezogen hat, machen andere es ihr nach, und niemand denkt sich mehr was dabei.
Was man nicht alles lernt. Jener Standard-Festival-Look, den wir alle kennen, war also einst eine pure Überlebensstrategie.
Der Anlass, warum Viv Albertine diese Woche das FM4 Gästezimmer beschallt, ist übrigens, dass sie am 1. Oktober nach Wien ins Film Casino kommen, dort aus ihrem Buch vorlesen und Publikumsfragen dazu beantworten wird. Danach wird der Joanna Hogg-Film „Exhibition“ vorgeführt, in dem sie die Hauptrolle spielt.
Hier ein paar Ausschnitte aus dem Gästezimmer:
“I stumbled across this song by Scout Niblett called 'Kidnapped by Neptune' when I used to sit in my car outside my house all day because I didn't want to go home, my marriage was so unhappy. And actually, this song really empowered me. It's very simple, Scout Niblett, she plays drums and guitar, it's very very empty. It's mixed by Steve Albini, it's got a real heavy raw feel to it, cause he doesn't like to produce, he just likes to mix what's there. And you listen to this girls, and tell me if it doesn't make you feel like somebody.”
“St. Vincent, she's something really special, I think she's a great role model for young women. My daughter is sixteen, absolutely adores her. She is serious, but she's playful, she's very talented, and she's unusual, original. Now that is a big thing in 2015. The song that she's playing is not her own. It's a cover version of The Pop Group's 'She' Beyond Good and Evil'. Now when I was in my band The Slits we used to play with and hang out with and tour with The Pop Group all of the time, they were an extraordinary band, they turned me on to jazz, they turned me on to funk when punk was quite narrow-minded back then, so The Pop Group were a massive influence on me, and here's their great song 'She's Beyond Good and Evil' by St. Vincent.”
”This is a young woman who really really influenced me. The best thing about England is the kind of eccentrics we occasionally produce, and Kate Bush is one of those eccentrics who has transcended her middle-class background because, frankly, I am a [working class, ed.] snob, and I am anti middle-class, but Kate Bush has managed to transcend her class and become just an extraordinary person, songwriter, producer, all on her own, listening to her own voice. This is 'Hounds of Love'.”
FM4 Gästezimmer mit Viv Albertine
Razzy Bailey | I Hate Hate |
Scout Niblett | Kidnapped by Neptune |
Marlena Shaw | Woman of the Ghetto |
St. Vincent | She's Beyond Good and Evil |
Devendra Banhart | Heard Somebody Say |
Kate Bush | Hounds of Love |
The Beatles | The Ballad of John & Yoko |