Erstellt am: 27. 9. 2015 - 09:00 Uhr
Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-App
Vor über drei Jahren avancierte meine Bulimie-Version der "Geschichte vom Suppenkaspar" zu einem Triumpf. Die Community und der Generaldirektor waren sich einig - Ganz großes Tennis! Glückwünsche von Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft ließen nicht lange auf sich warten.
Die Geschichte vom Suppenkaspar, 2. Teil
Um dem Schicksal des One-Hit-Wonders zu entkommen, legte ich schnell nach und coverte auch den Zappelphilipp. Erneut überwältigten mich die euphorischen Reaktionen. Das Medienecho war enorm. Vom Heinrich Hoffmann-Institut in Heidelberg wurde mir gar die silberne Verdienstnadel verliehen.
Doch der schnelle Erfolg forderte seinen Tribut.
Ich fiel in ein tiefes Loch.
In diesen Tagen trug ich ob meiner Popularität die Nase derartig hoch, dass ich einen offenen Kanaldeckel übersah, hineinfiel und mir einen komplizierten Schienbeinbruch zuzog.
Diese tragische Karriere-Einbruch bzw. -Beinbruch hatte aber auch sein Gutes. Als ich in der Reha meinem Kurschatten erzählte, wie es zu meinem Unfall gekommen war, fiel mir endlich eine dritte Struwwelpeter-Episode ein, die eine Coverversion lohnen könnte.
Hier ist sie endlich.
Somit ist meine Hoffmann-Trilogie hiermit spät, aber doch vollendet.
marc carnal
Die Geschichte vom Hans Guck-in-die-App
Wenn der Hans zur Schule ging,
stets sein Blick am Smartphone hing.
Nur des Bildschirms helles Glimmen
wusste Hänschen froh zu stimmen.
Seine Kameraden wollten,
wenn sie ausgelassen tollten,
ihn zuweilen überreden,
doch bei jugendlichen Fehden
oder Streichen teilzunehmen,
konnte er sich nicht bequemen.
Lieber starrte er gebannt
auf das Ding in seiner Hand.
Gierig wischte er den Touchscreen,
allzu reizte dieser Quatsch ihn.
Jede App war interessanter
als soziales Miteinander.
Er war permanent im Web
oder süchtelte WhatsApp.
Echter Flirt war ihm zu minder,
vielmehr setzte er auf Tinder.
Doch der Geilspecht reüssierte
punkto Matches nicht, das schürte
seinen jugendlichen Zorn, so
fand er zum mobilen Porno.
marc carnal
Hänschen surfte stets beim Gehen
ohne einmal aufzusehen.
Das verärgerte Passanten,
die ihn manchmal überrannten.
Wenn er Straßen überquerte
und die Autos weder hörte
oder sah, weil er gefangen
von dem brennenden Verlangen
nach dem schlauen Handy war,
wurde Hans bereits ein paar
Mal beinahe überrollt,
denn er hatte wild gescrollt,
was bewirkte, dass er Autos,
die sich dank Hybrid fast lautlos
näherten, meist übersah.
Reines Glück, dass nichts geschah!
Einst ging er an Ufers Rand
mit dem Smartphone in der Hand.
Weil er nicht zur Seite blickte
und stattdessen Apps anklickte,
kam es, dass er kerzengrad
immer mehr zum Flusse trat.
Er tat einen falschen Schritt,
fiel kopfüber rein und mit
ihm das smarte Telefon,
das nach Augenblicken schon
meterweit getrieben war,
während Hänschen laut und klar
um sein junges Leben schrie,
was zwei junge Männer, die
seine Schreie gleich vernahmen,
ungesäumt zum Anlass nahmen,
Hans an seinen Selfie-Stangen
aus dem Wasser aufzufangen.
Als er nass am Ufer stand,
ohne Smartphone in der Hand,
wurd’ ihm der Verlust gewahr
und er weinte unsagbar.
Seine Lebensretter standen
erst betreten da, doch fanden
sie sein Sudern bald schon heiter,
und der Hansi plärrte weiter,
bis er grell und schallend greinte,
drei Oktaven über Heintje.
Schließlich fanden sie bizarr,
dass Klein-Hans nicht dankbar war,
deshalb sagten sie ihm offen:
“Ohne uns wärst du ersoffen!”
Doch er starrte auf den Bach,
weinte seinem Handy nach.
Hans schien auf sein junges Leben
ohne Smartphone nichts zu geben.
Die zwei Lebensretter mussten
ob seiner Verzweiflung prusten,
lachten fort noch lange Zeit.
Und das Smartphone schwamm schon weit.
marc carnal