Erstellt am: 24. 9. 2015 - 16:26 Uhr
Workshops für Flüchtlingshelferinnen und -helfer
Tausende Menschen fliehen weiterhin aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten über die Balkan-Route nach Europa. Auch allen Grenzzäunen und Abschottungsversuchen zum Trotz: Allein gestern sind 10.000 neue Flüchtlinge in Ungarn angekommen - jetzt eben über Kroatien statt Serbien.
Weil die Flüchtlingskrise uns noch lange beschäftigen wird und die Helferinnen und Helfer teilweise an ihre psychischen und körperlichen Grenzen gehen, haben sich einige von ihnen zusammengeschlossen um anderen Frewilligen zu helfen, sich selbst vor dem Burnout zu schützen.
Die erste größere Veranstaltung dafür findet Donnerstag und Freitag in der Arena Wien statt. Die Initiative Office for Urgent Actions - Mission for Refugees hat die zwei Tage lange Reihe von Workshops und Vorträgen organisiert. Zwar vernetzen sich die Helferinnen und Helfer schon seit Beginn der Krise über Facebook, Twitter und anderen sozialen Internetplattformen. In der Arena aber lernen einander viele von Angesicht zu Angesicht kennen.
"Ich habe zehn Jahre lang für Greenpeace International gearbeitet", erzählt Gabriela Markovic, "und ich weiß, wie Menschen, die sich für ein Thema wirklich engagieren und einsetzen, auf sich selbst vergessen. Das heißt, man gibt wirklich alles und setzt sich selbst an die letzte Stelle. Das halte ich mit meiner Erfahrung einfach für total falsch. Das heißt, es geht wirklich darum, mit seiner Energie sinnvoll umzugehen."
Im Workshop, den sie mitorganisiert hat, geht es darum, wie weit man beim freiwilligen Einsatz für Flüchtlinge geht und wann man anfangen muss, sich selbst zu schützen. "Es hilft nichts, wenn man sich für eine gute Sache einsetzt, sich dabei aber verausgabt und krank wird."
Christoph Weiss, FM4
Mit dem Einsatz bis an die eigenen Grenzen gehen - damit hat auch Jürgen Bischof eigene Erfahrungen gemacht. Der Sprecher der Initiative Mission for Refugees hat ab Mitte der neunziger Jahre bei zahlreichen Hilfsaktionen und Organisationen mitgewirkt, darunter etwa SOS Mitmensch und Helping Hands. "Ich hatte einen Burnout", sagt Bischof. "Ich musste nach zehn Jahren – ohne abgeschlossenes Studium, ohne irgendwas – raus. Ich weiß genau, in welcher Situation die jungen Menschen hier sind." Nach zwanzig Jahren, sagt Jürgen Bischof, wisse er nun, dass er sich wieder engagieren muss - indem er Hilfe für die Helfer ermöglicht.
Wie intensiv und kräftezehrend der Einsatz für Flüchtlinge sein kann, hat auch Simone Daibler erfahren. Die Sozialpädagogin hat aufgrund der Medienberichte über die Zustände an den Grenzen zuerst Hilfsgüter nach Nickelsdorf gebracht. Darauf folgte der Entschluss, mit anderen Helfern gemeinsam auch in das Lager an der serbisch-ungarischen Grenze nach Röszke zu fahren. Aus dem geplanten Kurzbesuch zur Lieferung von Hilfsgütern wurde ein siebentägiger Aufenthalt. "Die Lage dort war so katastrophal, es hat an allen Ecken und Enden an Hilfe gefehlt. Die Menschen waren sehr, sehr schwach. Was mich am meisten schockiert hat, war die große Zahl an Kindern. Die Kinder hatten Hunger, waren unterernährt, gesundheitlich in einem sehr schlechten Zustand."
In einer solchen Krisensituation, sagt Daibler, müsse man trotz der schockierenden Umstände ruhig bleiben und einen klaren Kopf bewahren: "Ich habe geschaut, wie wir die Menschen mit Essen, Getränken und Medikamenten versorgen können. Ich habe im Erste-Hilfe-Zelt assistiert. Ich habe Decken an die Menschen verteilt. Ich habe Kindern Hauben aufgesetzt. Es gab Tage, da hat es in Strömen geregnet und die Menschen waren alle komplett durchnässt. In der Nacht ging es darum, Zelte aufzustellen – und die Menschen dazu zu bringen, in den Zelten zu schlafen – denn viele haben auf die Busse gewartet, die sie an andere Orte oder Registrierungscamps gebracht haben."
Christoph Weiss, FM4
Nach einigen Tagen in Röszke beschloss die Pädagogin Simone Deibler, den Kindern die Zeit des Wartens in dem tristen Lager schöner zu machen, zum Beispiel mit einem Kinderzelt. "Ich habe mir einen leerstehenden Pavillon geschnappt und begonnen, eine Ruhezone und Spielzone für Kinder und Familien mit Kindern einzurichten. Es hat sich dann sehr schnell herumgesprochen, dass es jetzt einen eigenen Kinderbereich gibt. Das Zelt war immer voll. Wir haben das Zelt mit Decken ausgelegt und Stofftiere organisert sowie Stifte, mit denen die Kinder malen können."
Die ungarischen Behörden hätten bei all dem wenig geholfen. "Es gab Tage, an denen hat die Polizei die Flüchtlinge mitten in der Nacht aufgeweckt und mit Schlagstöcken aus den Zelten in die Busse getrieben – auch Familien mit Kindern." Die Flüchtlinge hätten sehr große Angst vor der Polizei gehabt, die auch kaum Informationen an sie weitergegeben habe. "Den Flüchtlingen wurde gesagt: 'Ihr müsst in die Busse einsteigen', aber niemand hat ihnen gesagt, wohin die Busse fahren. Ich habe mich in die Lage der Flüchtlinge versetzt und mir gedacht, ich würde da natürlich nicht einsteigen, sondern versuchen wegzulaufen." In weiterer Folge hätten viele Flüchtlinge einen Bogen um das Lager gemacht, das eigentlich zu ihren Gunsten errichtet worden war. Die Helferinnen und Helfer gingen direkt an die Grenze, um den Menschen gut zuzureden und zu versichern, dass sie im Lager versorgt würden.
Das Schlimmste sei für die gewesen, beim Helfen ständig an Grenzen zu stoßen. "Ich habe versucht, so viel zu geben, wie ich kann. Aber mich hat immer beschäftigt, wo die Flüchtlinge danach hinkommen. Der Zutritt in die Registrierungscamps, wo viele Flüchtlinge hingebracht wurden, war ja für Journalisten und Helfer komplett gesperrt. Ich wurde aber ständig von den Menschen gefragt, wohin sie kommen. Ich wollte ihnen alle Informationen weitergeben, die ich habe, aber auf viele Fragen wusste ich keine Antwort." Dazu sei die körperliche Belastung gekommen, die schlechten Hygienebedingungen, starker Regen, danach brütende Hitze und Berge von Müll. "Ich habe versucht, ein bisschen zu schlafen, weil ich gewusst habe, ich brauche die Kraft, denn es geht am nächsten Tag genauso weiter."
Professionelle Hilfe für die Helfer habe es in Röszke nicht gegeben, sagt Deibler: "Die Helfer haben sich gegenseitig geholfen. Man hat sich fünf Minuten Auszeit genommen und Psychohygiene betrieben, indem man darüber gesprochen hat, was passiert ist und wie es einem selbst damit geht." Viele ihrer Freunde und Mithelfer seien dann schon gesundheitlich angeschlagen und schwer übermüdet gewesen. "Wenn jemand gesagt hat 'Ich kann nicht mehr', habe ich nicht geantwortet, 'du musst weitermachen', sondern 'fahr zurück nach Wien.' Das Problem ist ja: Es hört nicht auf. Die Krise wird weitergehen, die Hilfe wird weiter benötigt werden, und das ist auch der Grund, warum wir jetzt diesen Workshop hier machen."
Neben Workshops über das Haushalten mit der eigenen Energie, das Erkennen von Burnout-Symptomen und Erste-Hilfe-Maßnahmen geht es in der Arena auch um die Beantragung von professioneller Hilfe, um Supervision und Strategien für die Zukunft der Flüchtlingshilfe. Simone Deibler selbst hält einen Workshop mit dem Thema "Kinderbetreuung und Kreativität unter Extrembedingungen."