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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

24. 9. 2015 - 21:07

"Wild campen"

Marcus Fischer gewinnt den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut - "Ausnahmen sicher nicht, nicht in der Nachsaison."

FM4 Wortlaut 15 -
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Der Gewinnertext wird im Standard abgedruckt.

Drei Stunden Vollgas und ein Scheppern im Kleinwagen, dass man eh lieber nicht redet, dann ist man drin in der Trachtenlandschaft. Gipfel, dass es einem den Hals verdreht im Auto, unten grasen Kühe an den Bergen und in den Seen ein Glitzern als wären da Sternspritzer reingefallen. Das Wetter hat nämlich auch mitgespielt: Ein Kaiserhimmel war das über den Köpfen, den zerzausten. Denn kaum waren sie auf der Landstraße, die Anna am Steuer und der Christoph daneben, Schiebedach auf und hallo Salzkammergutluft!
Kein schlechter Start für ein Beziehungswochenende. In einem haben sie sich dann aber doch geschnitten. Ende September winken einem keine Campingplätze mehr entgegen vom Straßenrand. Sterbensgrau liegen die am See und menschenleer und wenn einer offen hat, steht da: Nur Dauercamper.

Marcus Fischer

Radio FM4

Marcus Fischer kennt sich aus mit dem Campen. Mit seiner Freundin hat er einen alten Camping-Bus ausgebaut. "Es ist wunderschön. Du bist draußen, sofort am See und im Wasser und man hat diese ganze umständliche Hotel- oder Pensionsgeschichte nicht mehr. Sondern man ist einfach draußen in der Natur und das ist wunderschön."
Gitarre, Bücher und was zum Schreiben hat er immer dabei.

Er kennt auch alle Seiten vom Campingplatz: Von den nächtlichen Spaziergängen zu den Waschräumen über die Empfangsleute. "Gerade in Österreich sind die teils sehr skurril und haben so eine ganz eigene Logik."

Beim Mann an der Rezeption hat dann aber selbst das Zuckerbäckerlächeln von der Anna keine Chance gehabt. Ausnahmen sicher nicht, nicht in der Nachsaison, hat der Mensch mit den alten Mundwinkeln gesagt. Landlogik, ist es ihr da durch den Kopf gegangen, aber mit dem Stimmungshoch wars vorbei.

Drei Dinge hat Marcus Fischer beim Campen immer dabei: Die Gitarre, was zu Lesen und was zum Schreiben. Letzteres macht er auch beruflich. Nach einem Germanistikstudium in Berlin und einem Intermezzo als Lehrer für Deutsch als Fremdsprache gelangte er mehr oder weniger zufällig als Texter in eine Berliner Agentur. Aus dme Job wird ein Beruf: 15 Jahre arbeitet er als Texter und Kreativdirektor in Agenturen in Berlin und (seit 2001 wieder) in Wien.

Das "private" Schreiben trennt er stark vom "beruflichen".
Privates auf dem kleinen weißen mit den schiefen Tasten. Berufliches auf dem schicken großen schwarzen mit dem Bildschirm.

Jahrelang hat er nur für die Schublade geschrieben - weil die Ansprüche während und nach seinem Studium viel zu hoch war. "Ich hab mir das Schreiben damals verleidet."
Wortlaut ist der erste Text, den er bei einem Wettbewerb eingereicht hat.

Der erste Platz bekommt:

  • Euro 1000
  • Veröffentlichung im Wortlaut-Buch, das im Herbst im Luftschacht Verlag erscheinen wird
  • Veröffentlichung im Album von Der Standard und in Volltext
  • DER STANDARD Goodie Bag
  • Ein Jahresabo der Literaturzeitung Volltext
  • Ein Jahresabo des Magazins Datum
  • FM4 Goodies der Saison
  • Ein Notizbuch von Paperblanks
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Alle drei Preisgelder werden von Paperblanks zur Verfügung gestellt.

Reihe zwei also. Glücklich waren sie mit dem Stellplatz, obwohl der Campingplatz praktisch leer und sie mittendrin: rechts von ihnen der alte Hymer-Campingbus mit den Panoramascheiben, links das Familienzelt mit rostigem Kombi davor. Aber keine 20 Meter dahinter: der See. Und ein Steg, der direkt hineinführt in den Bilderbuchblick.

Einziger Tick beim Schreiben - es muss ein bestimmter Kulgelschreiber sein. Das sei jetzt nicht hochneurotisch, aber der Stift müsse auch im Liegen funktionieren. Denn Marcus schreibt auch oft im Bett in der Früh oder in der Nacht. "Es gibt nichts Ärgerlicheres als wenn man schreibt, und plötzlich gibt der Kuli den Geist auf."

Kaum im Zelt, waren sie auch schon weg, Blähbauch und Übelkeit hin oder her. Weil das Bier ja einen kräftigen Anschubschlaf gibt. Das Blöde ist nur, dass es den nur einmal spendiert. Und wenn der aufgebraucht ist, reicht eine Kleinigkeit, und man ist wach. Wie die Schritte auf dem Kiesweg vor dem Zelt. Erst hat der Christoph nur gelauscht. Aber dann hats ihn gejuckt. Also rein in die feuchten Wanderschuhe, Regenjacke übergeworfen und raus in den Regen.
Kaum hat er den Kopf durch die Luke gesteckt, ist es ihm schon aufgefallen, das rote Licht wieder. Und so ist er um den Bus geschlichen, von wegen Lücke irgendwo zwischen den Vorhängen. Wenn so ein Jungdetektiv aber ein bissl was in der Birne hat, promillemäßig nämlich, ist er so fixiert von seiner Mission, dass er anderswo nicht hindenkt, wie zum Beispiel an die Ruder, die hinten an der Stoßstange aufgelegen sind und über die er jetzt stolpert wie im Trickfilm. Da fliegt die Tür auf und – warum schaut der Stiernacken raus und nicht der Alte? –, aber der Christoph gut in Deckung. Kurz geht der Vorhang auf die Seite, wieder das schwarze Nachbarsgesicht, und gleich wieder Ruhe im Regen.

Die Jury und Wolf Haas

"Wo kann Gut und Böse, Liebe und Hass so nah und beinahe vermischt miteinander sein? Natürlich nur auf einem Campingplatz!" fasste Juror Vladimir Kaminer zusammen. "In dieser Enge werden dann plötzlich kleine Ängste oder auch große Gefühle sichtbar."
Und diese Gefühle seien spannend in einer Kurzgeschichte verdichtet, die auch in einem Roman Platz gefunden hätte, fand die Jury und lobte unter anderem die Ambivalenz der Figuren.
"Sehr bildhaft und lebhaft erzählt" hieß es da und die Sprache habe einen Sound und einen guten Rhythmus, ein gutes Tempo. Das komme so umgangssprachlich daher, aber man merke dann recht schnell, dass da sehr viel Arbeit investiert worden sei, um diese Art von Kunstsprache zu entwickeln.

Und dann kam - wie schon in der Vorjury - der Vergleich mit Wolf Haas. Der sei ihm beim Schreiben nicht bewusst gewesen – wohl aber bei den Reaktionen seiner Freunde, die das gelesen hatten. An manchen Stellen würde das so klingen, als würde der Brenner im nächsten Moment um die Ecke kommen, meinten die.
"Das habe ich am Anfang überhaupt nicht gut gefunden," lacht Marcus Fischer. Er habe von Wolf Haas mal vor Jahren ein Buch gelesen und fand das sehr mühsam und anstrengend. Aber der "Haassche Sprachgestus" sei, wohl auch über die Filme, eh schon ins allgemeine Bewusstsein gesickert. Vielleicht komme es daher. Und "vielleicht liegt das schon auch ein bisschen am Werbemetier, das man gewohnt ist, die Sprache zu verwursten. Also sehr spielerisch mit der Sprache umzugehen."

Die Idee kam aus der düsteren Atmosphäre eines verlassenen Campingplatzes. "Wenn man da in der Nebensaison ist – die haben etwas sehr Unheimliches." Das sei schon ein Tatort per se. Die wenigen Leute würden sich misstrauisch beäugen.

Schnurstracks zwischen den Wohnwagen durch Richtung Bus, der leuchtet jetzt schon durch die Zweige, er auf die Tannenreihe zu, da fliegt die Tür auf und bitte, hat ers nicht gewusst, da rennt sie im Nachthemd vom Bus weg Richtung Bäume und ist schon über den Kiesweg, jetzt wackelt der Alte im Unterhemd raus aus dem Bus, schaut links, schaut rechts, schießt den Kiesweg entlang, und da läuft sie praktisch rein in den Christoph und was macht man da anders als die Arme auf, schon ist sie drin und er spürt ihren schmalen Körper und hört ein Schluchzen und hält sie ein klein bisschen fester. Wieso er dann sagt "Alles ist gut", weiß er auch nicht, aber es kommt ihm vor wie aus einem Film, nur dem falschen vielleicht, weil gleich hat sie sich losgemacht und ihn angeschaut wie wild, vielleicht hat er sie zu fest gehalten und er schickt ein "Was ist passiert?" nach, aber sie schaut ihn erst an und dann weg, schüttelte den Kopf und dreht sich um und wieso hat er das nicht schon längst gesehen: Ganz langsam kommt da der Vater unter den Tannen hervor und bleibt hinter ihr stehen.

einladung zur wortlautparty

Radio FM4

Und wie sie endlich zu ihrem Zelt kommen, war daneben ein Stück Boden, ein Stück Busch und ein Stück See, das sie noch nie gesehen hatten. Weil Kombi und Familienzelt davorgestanden hatten. Und die waren jetzt weg.
"Du feiges Oaschloch!", hat der Christoph gebrüllt, dass es jeder gehört hat am Platz. Und sie leise, aber ohne Wenn und Aber: "Lass uns hier abhauen. Jetzt."

Die Kurzgeschichte "wild campen" lesen

Die ganze Geschichte "wild campen" gibts hier zum Nachlesen.
Marcus Fischer liest den Gewinnertext am Freitag, 25. September, bei der FM4 Wortlaut Party im Phil in Wien um 20 Uhr.