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Zita Bereuter

Gestalten und Gestaltung. Büchereien und andere Sammelsurien.

23. 9. 2015 - 21:15

"Sprache ist mir sehr wichtig"

Michaela Davin gewinnt mit "Schokoladeleben" den zweiten Platz bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.

FM4 Wortlaut 15 -
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DER STANDARD

Der Standard

Der Gewinnertext wird im Standard abgedruckt.

Das fetteste Schwein nahm ein Schlammbad, ein anderes zerrte die Rinde von einem Baum und Phi musste dringend aufs Klo.
Pinselohrschweine blasen einander Atem ins Gesicht, wenn sie sich begrüßen.
Sie betrachtete die Tafel nachdenklich und trat von einem Bein auf das andere, die weißen Stutzen rutschten hinab. In der Nachbaranlage tobten zwei junge Bären. "Do isch er jo!" rief ein Mann mit Tirolerhut und hob einen Jungen hoch.
Zelda hatte nur schnell ein Eis besorgen wollen, jetzt war sicher schon eine halbe Stunde vergangen. "Nöff, nöff", machte es laut, das Schlammbad war beendet, Nüsse und Weintrauben wurden vom Boden aufgesaugt und die langen weißen Fäden an den Ohren wackelten im Wind.
Die Pinselohrschweine hatten Untermieter. Meerkatzen begannen auf den Scheuerbäumen herumzuturnen, Phi hielt es nicht länger aus und rannte zum WC. Als sie zurückkam, war der Mann mit Tirolerhut weg und Zelda immer noch nicht da.

FM4 Wortlaut

    Der zweite Platz bekommt:

    • Euro 750
    • Veröffentlichung im Wortlaut-Buch, das im Herbst im Luftschacht Verlag erscheinen wird
    • DER STANDARD Goodie Bag
    • Ein Jahresabo der Literaturzeitung Volltext
    • Ein Jahresabo des Magazins Datum
    • FM4 Goodies der Saison
    • Ein Notizbuch von Paperblanks
    logo paperblanks

    Alle drei Preisgelder werden von Paperblanks zur Verfügung gestellt.

    Das Leben der 8-jährigen Phi ist von den Launen ihrer manisch-depressiven Mutter geprägt. Einzig der Stoffhund Fridolin und Alice im Wunderland scheinen Phi Hilfe und Rettung zu bieten vor den Wutausbrüchen und Schlägen der Mutter. Dieses wilde und unberechenbare, enthemmte Verhalten, der Kontrollverlust war es, was Michaela Davin interessierte. Die Idee lag schon länger in ihrer Schreibtischlade. Als sie vom Wettbewerb erfahren hat, war ihr schnell klar, worüber sie schreiben wollte.

    Sie recherchierte einiges über manisch-depressives Verhalten. Kurz davor hatte sie über das exzentrische und extrovertierte Leben von Zelda Fitzgerald, der Frau von F. Scott Fitzgerald, gelesen. Diese war dann Namengebend für die Mutter.

    In der Früh wachte Phi auf, Zeldas Geruch in der Nase, Zeldas Körper dicht an ihrem. So blieb sie liegen, hörte den regelmäßigen Atemzügen zu und inhalierte das Gemisch aus Schweiß, Bier und Maracujashampoo.
    "Käferchen, mein kleines", Zelda drehte sich um, ihr Haar kitzelte Phis Wange. "Wir machen uns einen schönen Tag. Steh auf, es ist Palatschinkenzeit."
    Nach dem Frühstück spielten sie Domino, Halma, aßen Popcorn, bis sie sich verschluckten, und als Zelda das Uno-Paket aus der Lade holte, wurde Phi ganz kribbelig zumute, so viel Freude konnte nicht gut sein, denn Fridolin musste ja wieder die nächste Nacht überstehen. Später gingen sie am Fluss spazieren, Zelda sagte: "Ich sehe was, was du nicht siehst", und Phi lachte und lachte solange, bis ihr der Bauch weh tat.

    Michaela Davin

    M. Wanderer

    Michaela Davin lebt und arbeitet in Wien. Einen erstern Erzählband sowie einen Roman hat sie gerade fertiggestellt.

    Die in Wien lebende Michaela Davin liebt Sprachen – sie hat Englisch, Französisch und Spanisch studiert. Sie beschäftige sich einfach gern mit Worten, lese, schreibe und übersetze gern. "Sprache war in meinem Leben immer sehr wichtig."

    Üblicherweise schreibt sie auf Deutsch – in der Früh oder am Abend. Vorzugsweise am Wochenende. Einen großen Teil ihrer Freizeit widmet sie dem Schreiben.

    Praktischerweise hat sie immer einen kleinen Block in der Tasche - für ihre häufigen Notizen. Ob Gedanken, Ideen, Beobachtungen. "Ich hab dann immer viele Kaßzetteln herumliegen."

    Der Mann, der in der Küche saß, als Phi von der Schule heimkam, bleckte seine Zähne und sie dachte an den Mops der Großmutter. Am Tisch standen eine Flasche Wodka und zwei Biergläser. "Philomena", sagte Zelda mit glänzenden Augen, als sie Phis Haar zu einem Zopf flocht, "ist recht groß für ihr Alter." Phi entwand sich, ging in ihr Zimmer, drehte das Radio laut und ihre Wut leise. Ein paar Minuten später steckte Zelda ihren Kopf zur Tür rein. "Wir gehen jetzt Billard spielen, Süße. Habdichlieb …"
    Irgendwann in der Nacht wurde Phi wach von Türenschlagen und Zeldas Kichern. Eine Männerstimme mischte sich in das Kichern, das sich überschlug und gickste, und Phi wusste, dass die Zeit der grünen Pillen nicht weit war, genauso wie sie wusste, wann es nach erstem Schnee roch und genauso wie sie jetzt wusste, dass sie den Mann noch zum Frühstück, da-nach aber nie wieder sehen würde.

    Die Jury

    Die Jury war sowohl vom Inhalt als auch von Stil und Sprache beeindruckt: Minimal, lakonisch und dabei genau auf den Punkt. Eine recht unaufgeregte Sprache, die aber einfach auch sitzt. Es sei ein Text, der an keiner Stelle zu viel aber auch nicht zu wenig mache.
    "Es ist die Geschichte tragisch natürlich erzählt, aber heischt nicht um Mitleid, sondern erzählt, wie es ist, und das hat etwas sehr sehr Glaubwürdiges." Also eine Geschichte, "die durchaus rührend ist, dabei aber nicht rührselig wird."

    In den nächsten Nächten wurde Phi gegen drei Uhr von Schreibmaschinengeklapper wach. Die alte Urania hatte Zelda auf einem Flohmarkt gefunden und ihr historischer Charme faszinierte auch Phi. Zelda tippte mit der rechten Hand und rauchte mit der linken. Donnerstagnacht ein rote Zigarette, Freitag eine grüne und Samstag sprang sie auf, als Phi ins Zimmer schlich. "Ein Roman wird das, Süße, was sagst du dazu?" Sie hustete, Staubflocken flogen vom Tisch hoch. "Nora hat gemeint, Biographien verfilmen sie oft, und du kannst mich dann spielen, Käferchen, wäre das nicht toll? Nora kennt einen Mann, der ist der Schwager eines Verlegers, ganz großen Verlag hat der, bestimmt lässt sich da was machen, berühmt werden wir dann, du und ich, ach, ich freue mich so, komm her, mein süßes Käferchen und gib mir einen Kuss!" Phi kratzte sich mit den Zehen des linken Fußes an der rechten Wade, tapste verschlafen zu ihr und versuchte der glimmenden Zigarette auszuweichen.

    Auf Zuruf schreiben

    2014/2015 hat Michaela die Leondinger Akademie für Literatur besucht. An einem Wochenende pro Monat wird da geschrieben. Man analysiert eigene und fremde Texte, lernt verschiedene literarische Techniken, den idealen Romanaufbau, Figurenentwicklung und Szenendramaturgie. Und auf Zuruf zu schreiben, erklärt Michaela.
    Dass man zu einem Thema und in einer begrenzten Zeit etwas schreibt. Für Wortlaut habe ihr das sicher geholfen.
    Und auch, dass sie gelernt habe, den Außenlärm nicht durchzulassen und sich auf die innere Welt, die beim Schreiben entsteht, zu konzentrieren.
    Mittlerweile könne sie auch im Kaffeehaustrubel schreiben.

    Alles rund um den FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut 15 findest du unter fm4.orf.at/wortlaut.

    Dennoch - zum Nachdenken hört sie gern Musik, zum Schreiben versucht sie Ruhe zu finden.
    Im Vorfeld zu "Schokoladeleben" lief des Öfteren "So this is good-bye" von W. Fitzsimmons. "Da geht es um Abschied, Tod, Liebe – all die Themen, um die es in meiner Kurzgeschichte auch geht."

    Während des Schreibens hat Michaela dann mehrfach "Night Moves" von Roosevelt gehört. Es geht für sie dabei um die Geräusche der Nacht, die ein Kind teilweise verunsichern. Das habe sie stark mit ihrer Geschichte assoziiert. "Die Geräusche der Nacht, die wachhalten. Die möglicherweise nicht gewollt sind."
    Im Song "Holding on" von Disclosure geht es darum stark zu sein, auch wenn man sich nicht stark fühlt. "Einfach weiterzumachen, auch wenn eine Situation schwierig ist. Auch darum geht es letztendlich in meiner Geschichte."

    einladung zur wortlautparty

    Radio FM4

    "Was ist das für ein blauer Fleck, Kind?"
    "Bin beim Turnen hingefallen", murmelte Phi, bevor sie die Stufen hinabsauste, und "Bin am Spielplatz vom Kletterbaum gefallen", sagte sie zur Lehrerin, noch bevor diese etwas fragen konnte, und "Meine Mutter war froh, so froh war sie, dass ich mir nichts gebrochen habe" sagte sie zu Lilli, ihrer Sitznachbarin. Sie atmete erst wieder tief durch, als die Lehrerin "Aufsatz schreiben" sagte. Ihrer war so gut, dass er nach der Pause vorgelesen wurde. Sie schrieb über einen Tag im Zoo mit ihren Eltern, viel Zuckerwatte und die Sicht auf die Tiere von den Schultern des Vaters und wie glücklich Fridolin war, dass er hatte mit dürfen. Die Lehrerin lächelte ihr zu, als Phi die Klasse verließ, was seltsam war, denn sonst lächelte sie nie, nur verstand Phi nicht, warum die Augen der Frau so traurig waren.

    Michaela Davin liest ihre ausgezeichnete Geschichte "Schokoladeleben" am Freitag, 25. September, bei der FM4 Wortlaut Party im Phil in Wien um 20 Uhr.