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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

26. 9. 2015 - 12:15

Schrecken der Tiefsee

"Soma" ist das beste Horrorspiel des Jahres - und wartet auch mit philosophischem Tiefgang auf.

Frictional Games

So richtig still ist es nie, hier am Meeresgrund. Die Tiefseestation ächzt und stöhnt unter dem Gewicht der Wassermassen, unter uns rumpeln Maschinen, und irgendwo flackern leise elektrische Beleuchtungen. Doch es gibt Schlimmeres als das Gefühl absoluten Verlassenseins. Denn im dunklen Labyrinth aus Stahl vor mir höre ich stumpfe, schwere Schritte, die sich immer weiter auf mich zubewegen. Ein dumpfes Stöhnen. Feuchtes Tropfen.

Jetzt nur keine falsche Bewegung machen.

“Soma” ist ein Meisterwerk der Atmosphäre. Das war eigentlich zu erwarten, denn seine Schöpfer, die schwedischen Entwickler Frictional Games, sind wahre Legenden: Mit dem Horror-Meisterwerk "Amnesia: The Dark Descent" haben sie bereits 2010 jene Blaupause fürs Fürchten geliefert, der vom Indie-Phänomen "Slender" bis zu "Alien: Isolation" eine große Zahl neuer Horrorspiele gefolgt ist.

The horror, the horror

Der eigentlich einleuchtende Grundgedanke: Nur wer sich versteckt, vorsichtig schleicht oder im Notfall auch wegrennt, überlebt die Begegnung mit den unheimlichen Monstern. Wehren können wir uns nämlich gegen die Horrorgestalten nicht. Das sorgt für ein Gefühl der Angst und Unsicherheit - ein Konzept, das besonders in Verbindung mit meisterhaftem Storytelling und außergewöhnlicher Atmosphäre beeindruckt.

War "Amnesia" noch solide - und mäßig originell - im Gothic Horror angesiedelt, entführt uns "Soma" in die Tiefsee. Die menschenleere und halbverfallene Forschungsstation "Pathos II" ist ein Hightech-Spukschloss am Meeresgrund, und allein die Antwort auf die Frage, wie wir hierher gekommen sind, beschäftigt uns die ersten Spielstunden. Von der weiteren Story sei an dieser Stelle möglichst wenig verraten, denn "Soma" lebt nicht von seinen - raren - Schockeffekten, sondern von einer Spannung, die sich auch durch sein Storytelling bis zum Finale steigert. Acht Stunden lang hält "Soma" mit wenigen Leerläufen seine Spielerinnen und Spieler in Bann und schreckt auch vor philosophischen, tragischen oder schlicht berührenden Momenten nicht zurück.

Frictional Games

Horror mit Hirn

Wer Schreckmomente am laufenden Band erwartet, wird also enttäuscht werden: Statt auf billige Schockeffekte setzt "Soma" auf eine bedrückende Atmosphäre der Bedrohung. Den tatsächlich furchterregenden Monstern auszuweichen, beschäftigt uns dabei im Spielverlauf weniger als das Lösen von logischen und abwechslungsreichen Umgebungsrätseln und Puzzles. Wie Frictional seine Welt für narratives Storytelling verwendet, ist dabei beeindruckend: Audio-Logs, Emails, Fotos und sorgfältig inszenierte Szenen füllen die leere Welt und lassen sie glaubwürdig und dadurch beklemmend werden - eine Leistung, wie sie zu Recht bei großen Titeln wie "Bioshock" oder dem rein narrativen "Gone Home" gelobt wurde.

"Soma" verbindet gewissermaßen die Stärken dieser beiden Vorbilder: Es spielt durch sein außergewöhnliches Setdesign seine narrativen Stärken aus, ohne wie "Gone Home" auf Gameplay zu verzichten - dieses steht aber, anders als in "Bioshock", der Entfaltung der Story und Atmosphäre niemals durch sein Übergewicht im Weg.

“Soma” ist für Windows, Mac, Linux und PS4 erschienen

"Soma" ist clever, in Grafik und vor allem Sound umwerfend atmosphärisch und abwechslungsreich - ein außergewöhnliches Spiel, nicht nur für Horrorfreunde. Es ist nichts weniger als die neue Referenz im narrativen Storytelling für First-Person-Spiele.