Erstellt am: 21. 9. 2015 - 21:31 Uhr
Malen nach Wahlen
Das offizielle Ergebnis
Alexis Tsipras ist wieder Premierminister, an seiner Seite wieder der rechtskonservative Panos Kammenos und seine "Independent Greeks", die 3,7% der Stimmen erhielten. Tsipras' Linksbündnis SYRIZA hat gestern mit etwas geringerem, aber immer noch deutlichem Vorsprung vor den Konservativen der Nea Demokratia (ND, 27,8%) die Parlamentswahlen gewonnen. "Tsipras has won but the turnout was low and the mood sullen", schreibt der Guardian – "This does not look like the sunny future Syriza promised", hält eine Bloggerin trocken fest.
Alexis Tsipras takes his oath of office from President Prokopis Pavlopoulos pic.twitter.com/rDe13IekUJ
— Damian Mac Con Uladh (@damomac) 21. September 2015
Vor nicht einmal drei Monaten hat eine ganz andere Stimmung die Straßen Athens beherrscht: nach monatelangem Ringen mit den EU-Geldgebern stimmen die GriechInnen bei der Volksabstimmung vom 5. Juli mit großer Mehrheit gegen die Sparpolitik (mehr zu den Tagen rund um das "Oxi" hier). Die Folge ist dennoch ein neues Kürzungsprogramm – das dritte "Memorandum of Understanding" seit Ausbruch der Krise. Mehr als die Hälfte des SYRIZA-Parteivorstands hatte sich in einem Brief gegen die neuen Sparpläne ausgesprochen, große Teile seiner Regierungspartei wenden sich schließlich von Alexis Tsipras ab (u.a. Mitglieder der "Left Platform" gründen die Abspaltung "Popular Unity"). Tsipras ruft eilig zu den Urnen. Und gewinnt erneut. Wer hat SYRIZA gewählt und wer sind die Gewinner und Verlierer der zweiten Parlamentswahlen in diesem Jahr?
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Wer hat SYRIZA gewählt?
Junge, Studenten, Bauern, Arbeitslose, privat und öffentlich Beschäftigte. Die Konservativen bekamen ihre meisten Stimmen von der Generation 55+, Hausfrauen und Pensionisten.
Hat SYRIZA wirklich gewonnen?
Nein. Der Wahltermin war zwar machtpolitisch clever gewählt: dem verlangten Parteitag waren die SYRIZA-"Rebellen" mit ihrer Abspaltung "zuvorgekommen" und zu erwartende Steuernachforderungen und Einschnitte sind noch nicht ultimativ spürbar. Dennoch hat SYRIZA – neben unzähligen Abgeordneten, Mitgliedern und Verbündeten – in absoluten Zahlen die meisten Stimmen verloren: ganze 325.000 Stück.
Wer hat diese Wahl wirklich verloren?
Die SYRIZA-Abspaltung "Popular Unity" hat mit 2,86% nicht einmal die Hürde für den Einzug ins Parlament genommen. Zwar waren sie mit dem Anspruch ins Rennen gegangen, einen Großteil der "Oxi"-WählerInnen vom Referendum im Juli hinter sich zu vereinen. Allerdings ist diese Rechnung nicht aufgegangen – manche Beobachter erklären das mit Charme- und Loyalitätsfragen ("Tsipras is the brand, not Marx"), andere mit zu viel Gerede über einen möglichen Euro-Ausstieg, so der Sparpolitik nicht anders beizukommen wäre.
"Popular Unity"-Chef Lafazanis im Auto mit dem "Taxi Driver"
"Popular Unity"-Chef und Ex-Umwelt- und Energieminister Panagiotis Lafazanis ist zudem alles andere als ein telegener Kameradompteur. Auch an Bord waren die stürmische Ex-Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou (sie hatte im vergangenen Jahr einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, der unter Beteiligung zahlreicher Rechts-/Finanz-/UN-ExpertInnen zur Ansicht gelangt war, dass die griechischen Staatsschulden illegitim, unlauter und illegal sind) und der 93-jährige Widerstandskämpfer und Nationalheld Manolis Glezos. Die offenen Bekenntnisse der noch vereinten SYRIZA im Frühjahr, es habe niemals einen klaren "Plan B" oder gar Szenarien für einen "Notausstieg" aus dem Euro gegeben, dürften nicht ausreichend glaubhaft gemacht haben, dass die jetzt zur neuen Formation verschmolzenen MandatarInnen das bewirken können, wonach sich viele GriechInnen nach mehr als fünf Jahren akuter Krise sehnen: Stabilität und Sicherheit.
My take on #Greek #Elections.
(R) pic.twitter.com/cWXMeeqDwK
— Ilias Siakantaris (@iliassiak) 21. September 2015
Verloren hat auch die wirtschaftsliberale Kleinformation "To Potami", jetzt mit 4% und damit 11 von 300 Sitzen im Parlament vertreten: To Potami hat fast zwei Prozent ihrer Stimmen eingebüßt. Der ehemalige Journalist Stavros Theodorakis leitet die Partei. Er war während der Schuldenverhandlungen vor allem mit Widerrede und wenig konkreten Vorstellungen zu einer energisch beschworenen Dringlichkeit, "den Staat zu modernisieren", aufgefallen. Und mit Besuchen in Brüssel. Aua. Auch Verlierer: Die Meinungsforscher. Ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" hatten die Institute bis zuletzt prognostiziert. Schlussendlich gewann Alexis Tsipras' Linkspartei SYRIZA mit einem Vorsprung von 7,5% vor den Konservativen der "Nea Demokratia". Bei der TV-Konfrontation im öffentlich-rechtlichen ERT letzte Woche erlangte die Kopf-an-Kopf-Frage wenigstens wörtliche Bedeutung.
It's official habemus government #Greece #elections pic.twitter.com/J28EVYltOG
— Nektaria Stamouli (@nstamouli) 21. September 2015
Sonst noch wer?
Die ehemalige sozialdemokratische Großpartei Pasok hat sich nur scheinbar von den monumentalen Verlusten der jüngeren Vergangenheit "erholt", ist sie doch diesmal als Wahlbündnis mit der "Demokratischen Linken" (DIMAR) angetreten. Neu im Parlament: die liberale "Enosi Kendroon" (Union der Zentristen), Details hier.
nw
Traurige Details
Fast die Hälfte der Wahlberechtigten blieb diesmal zu Hause (siehe Bild oben). Unter ihnen hunderttausende junge Menschen, die das Land im Zuge der Krise verlassen haben bzw. sich keine kurzfristige Heimreise leisten können (es gibt in Griechenland keine Briefwahl). Allerdings sind nicht alle Nichtwähler noch am Leben. Klingt absurd, ist hier detailliert veranschaulicht. In Stimmen gerechnet verloren (minus 9000) hat auch die Neonazi-Partei "Chrysi Avgi" (Goldene Morgenröte, Hintergrund dazu hier), mit knapp 7% drittstärkste Fraktion. Unter den 18-24jährigen haben Chrysi Avgi dennoch elf Prozent der Stimmen erhalten:
byl
The elections are over
Take the ballot box
by @panosmaragos pic.twitter.com/RNde42oeDS
— George Mitakides (@GMitakides) 21. September 2015
Same procedure
Direkt an die Wahl schließt das gleiche hyperventilierende politmediale Geknüppel an, das die Debatten der letzten Monate so stark geprägt hat. Zum xx-ten Mal sei der Staatsbankrott zwischenzeitig unwahrscheinlicher denn je, wispern die Märkte. EU-Kommissionspräsident Juncker gratuliert Tsipras zum Wahlsieg (Jänner: "I look forward to working with you", September: "There is a lot of work ahead and no time to lose"). EU-Parlaments-Präsident Schulz möchte wieder bei der Regierungsbildung eines zumindest formell (ob auch formaljuristisch, darüber gibt es wohl mittlerweile unterschiedliche Auffassungen) souveränen Staates mitreden. Kennen wir auch schon vom letzten Mal. Auch die berühmten "anonymen Quellen" sprechen wieder mit einer Zunge, die Europäische Zentralbank ist ebenfalls besorgt. Investor Mohamed El-Erian wünscht sich für Griechenland einen Schuldenerlass – wie auch schon 2012, vergangenen Mai oder eben noch im Juli. War das ganze vielleicht gar keine Wahl, sondern nur eine äußerst komplexe Regierungsumbildung, fragen sich demzufolge manche Beobachter.
Hm. Oder: drei dumme Fragen und ebenso viele bedrückende Antworten
- Ist SYRIZA noch SYRIZA(??(?(?)))?
- Ist das berühmte Glas halb voll?
- Sind solche Überlegungen überhaupt von Belang?
- Das Sparen geht weiter.
- Auch: In Spanien geht's weiter.
- Und das Sterben geht weiter.
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