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21. 9. 2015 - 12:57

Wir alle sind Palantir

Vor zwei Wochen hat Ex-SPÖ-Politikerin Laura Rudas verkündet, wo sie ihre neue berufliche Heimat gefunden hat, nämlich bei einem US-Unternehmen namens Palantir. Man muss sich nicht grämen, wenn man von der Firma bis dato noch nicht gehört hat.

von Sarah Kriesche

Werbung liegt nicht so sehr im Interesse des Unternehmens, respektive - wir sind nicht Palantirs Zielgruppe, vielmehr das Ziel und die Zulieferer, also auch der Grund, weshalb es diese Firma überhaupt geben kann. Denn Palantir hat sich darauf spezialisiert, die berühmt berüchtigte Nadel im Big Data-Heuhaufen zu finden. Und darin sind sie gut. Sehr gut.

Lord of the Data

Irgendwie klingt der Name ja, als wäre er direkt aus Tolkiens "Herr der Ringe" entlehnt. "Boromir, Faramir, Palantir" - würde gut passen und wäre auch gar nicht so weit daneben. Palantírí sind im Tolkien-Universum die "sehenden Steine", oder auch "die, die von Weitem sehen". Saruman hatte zum Beispiel diese schöne schwarze Kugel, um mit Sauron, dem Oberschurken, zu reden (quasi Skype 4.0), Aragorn konnte darüber sogar die Schlachtpläne Saurons erfahren. Ok, mit möglichst vielen Orks ganz Mittelerde möglichst breitflächig angreifen, das hätte er sich auch ohne Stein denken können. Aber als unbeteiligter Zuseher oder Leser ist man immer gerne ein bisschen schlauer. Und, Hand aufs Herz: Wer würde nicht reinschauen wollen, wenn er so einen Stein besäße, auch wenn man schon ahnen könnte, was man zu sehen bekommt? Wer würde der Macht der Datenfülle widerstehen können, wenn sie einem genau sagen könnten, wo eine bestimmte Person wann war, mit wem sie telefoniert hat, wie sie zu den anderen Personen steht und an welchen Orten sie zum Beispiel schon gewohnt hat? Regierungen wohl eher nicht.

Laura Rudas

Ingo Pertramer / SPÖ / CC BY-SA 2.0

Datenkampf gegen das Böse

Obwohl das Unternehmen bereits 2004 gegründet wurde, ist Palantir ein Startup. Und zwar das dritt-wertvollste in den USA. In Zahlen bedeutet das: Nach einer 500 Millionen Finanzierungsrunde im Juni ist das Unternehmen jetzt mit 20 Milliarden USD bewertet. Früher Investor der ersten Stunden ist zum Beispiel die CIA. Bei Govcons, also Regierungskonferenzen, zeigt die Big Data-Bude eindrucksvoll, wie man die Datenmassen nutzen kann, um sämtliche Informationen und Verflechtungen, die es über die jeweilige Zielperson gibt, zu finden. Terrorismusbekämpfung, Geldwäsche, Datenschmuggel - die Liste der Anwendungsgebiete ist klarerweise ewig lang und der Fantasie, je nach Land und den dort herrschenden Gesetzen, sind kaum Grenzen gesetzt.

NSA oder nicht NSA, das ist hier die Frage

Wer "die Bösen" sind, ist natürlich Ansichtssache. Aufsehen erregte das Unternehmen auf jeden Fall schon öfter. Zum Beispiel mit ihrer Lösung "Prism", die - wie der Zufall so will - genau gleich heißt, wie das NSA-Programm zur Überwachung und Auswertung elektronischer Medien und ihrer Daten. "Dummer Zufall" behauptete das Unternehmen: "Palantir’s Prism platform is completely unrelated to any US government program of the same name. Prism is Palantir’s name for a data integration technology used in the Palantir Metropolis platform (formerly branded as Palantir Finance). This software has been licensed to banks and hedge funds for quantitative analysis and research. You can read more about Palantir Metropolis on our website and explore the platform here".

Dass ihre Produkte, Name hin, Name her, dennoch auch zu fragwürdigem Einsatz kommen, zeigte sich bereits 2010. Da war das Startup eines von drei Firmen, die helfen sollten, der Whistleblower-Plattform "Wikileaks" das Veröffentlichen geheimer staatlicher Dokumente zu vermiesen. Blöd, dass die Hacktivisten von "Anonymous" draufkamen und die Geschichte publik machten. Palantir entschuldigte sich daraufhin und stieg aus dem Projekt aus.

Utopie oder Dystopie?

In den letzten Jahren hat sich Palantir vermehrt darauf fokussiert, neben öffentlichen Institutionen auch im privaten Sektor Fuß zu fassen. Denn Diebstahl, Bedrohung, Erpressung, Spionage machen auch vor Banken, Versicherungen, Pharmakonzernen oder Film- und Fernsehgesellschaften wie Sony nicht Halt. Doch ob Regierung, Exekutive oder Privatunternehmen: Die Downside liegt auf der Hand: Zu viel Datenmacht kann verführen. Plötzlich gibt es keine Versicherung mehr, weil die Daten verraten, dass man zu oft im Krankenstand war, oder, um die Dystopie ein wenig drastischer zu illustrieren: Weil Algorithmen aufgrund der vorhandenen Daten für Unternehmen unsere Lebensdauer, Arbeitsfähigkeit und Anfälligkeit für Krankheiten "vorhersagen" und die Polizze entsprechend den Vorhersagen anpassen.

Dark Side of the Data

Für Viktor Mayer-Schönberger, Autor des Buches "Big Data" sind nicht nur die Datenzusammenführungen per se oftmals fragwürdig, sondern auch, wie die Zusammenhänge in Folge interpretiert werden: "Das ist sehr problematisch, wenn Behörden diese Big Data Analysen zum Einsatz bringen, weil sie dann im Kern die Daten missbrauchen. Indem den Daten mehr Sinn gegeben wird, als sie tatsächlich haben. Und in dem Maße, in dem die Ergebnisse der Big Data-Analyse dann verwendet werden, um einzelne Menschen herauszufiltern und die dann entsprechend anders zu behandeln, zum Beispiel schuldig zu erklären, missbrauche ich die Big Data-Analyse für Kausale Zwecke. Also für Zwecke des "Warums" und genau das kann aber die Big Data-Analyse nicht leisten. Und ich habe, in die Zukunft gedacht, weniger Sorge, dass unsere Gesellschaft zu einer Überwachungsgesellschaft à la Orwell 1984 wird, sondern mich erfüllt mit großer Sorge, dass wir mit Riesenschritten auf eine Welt à la Minority Report hinzugehen."

Apropos "Minority Report": In Österreich wird bei der Polizei bereits ein Tool zur Verbrechensvorhersage getestet. CRIPA steht für "Criminal Predictive Analytics" und soll Beamte unterstützen, zum Beispiel herauszufinden, wo künftige Verbrechen geschehen werden.