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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

20. 9. 2015 - 19:00

Debatte um Reform von Investorenschutz gestartet

Anlässlich der Reformpläne der EU-Kommission für den umstrittenen Investorenschutz in TTIP sorgt sich Europas Großindustrie öffentlich um Kleinbetriebe.

Die am Mittwoch präsentierten neuen Vorschläge der EU-Kommіssion zur Reform des Investorenschutzes (ISDS) haben die Befürworter des Status Quo offenbar auf dem falschen Fuß erwischt. Weder die US-Handelskammer noch die US-Thinktanks, die ansonsten jede Äußerung aus Brüssel zum Thema sofort kommentiert hatten, haben sich bis jetzt zu Wort gemeldet. In Europa reagierte nur der Dachverband der Industriellenvereinigungen "Business Europe" auf die geplanten, grundlegenden Veränderungen bei den heftig kritisierten Schiedsgerichten.

Die bisherige Praxis privater Schiedsgerichte mit selbstgewählten Schlichtern aus internationalen Anwaltskanzleien soll durch einen Handelsgerichtshof mit echten Richtern abgelöst werden. Für "Business Europe" schießt der Vorschlag deswegen über das Ziel hinaus, weil die Regelung Klagen von Klein- und Mittelbetrieben auf Investorenschutz zu teuer machen würde. Die meistens Kritiker der ISDS-Verfahren wiederum verlangen überhaupt eine ersatzlose Streichung dieser Klauseln, Handelskommissarin Cecilia Malmström tourt derweil bereits durch Europa, um die Reform vorzustellen.

Cecilia Malmström in Polen

EU-Kommission

EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström bei ihrem Auftritt am Freitag in Polen

Großindustrie sorgt sich um Kleinbetriebe

Hintergründe zur Klage der Meinl-Bank gegen Österreich auf Investorenschutz und andere laufende ISDS-Verfahren, deren Anzahl 2015 eskaliert ist

"Business Europe" warnte davor, dass unter einem solchen Handelsgerichtshof Klagen so teuer werden könnten, dass sich vor allem Klein- und Mittelbetriebe (KMUS) nicht mehr gegen "diskriminatorisches" Verhalten des Staates zur Wehr setzen könnten. Fakt ist allerdings, dass eѕ unter dem derzeit üblichen Klageregime bei der Schlichtungsstelle ICSID der Welthandelsorganisation (WTO) unter den bisherigen 540 Verfahren bisher so gut wie keine Klagen von kleinen und mittleren Betrieben gab.

Dass in der ICSID Datenbank aktuell auch einige wenige Fälle von klagenden GmbHs auftauchen ist völlig untypisch. Alle diese neuen Klagen richten sich nämlich gegen Spanien, wie in Deutschland, Österreich und vielen anderen europäischen Ländern wurden dort angesichts sinkender Strompreise die Subventionen für Solarstrom deutlich gekürzt. Vor dem ICSID-Schiedsgericht der WTO wurde aber nur Spanien geklagt, weil man sich offenbar Chancen ausrechnet, dort mit diesen Klagen auch durchzukommen.

Grafik der EU-Kommision mit den Eckpunkten der geplanten neuen Regelung

EU Kommission

"Investorklagen in den USA noch nie Erfolg gehabt"

Unter den mehr als zwanzig Klägern sind Großkonzerne, Investmentfonds, städtische Energiewerke vor allem aus Deutschland und vier GmbHs. Letztere aber sind keineswegs die vielzitierten, innovativen europäischen Mittelständler, sondern reine Geldanlagevehikel, die auf Fortführung der staatlichen Solarbeihilfen in Spanien spekuliert hatten. Ansonsten sind unter den jüngsten dreißig Schiedsgerichtsklagen neben jener der maltesischen Briefkastenfirma, der die Meinl-Bank gehört, nur Holdings, Hedgefonds, Energie - und Bergbaukonzerne. Kein einziger Maschinenbauer oder sonstiger typischer europäischer Mittelstandsbetrieb ist hier vertreten.

Die Mitglieder von Business Europa sind Industriellenverbände und nicht die Wirtschaftskammern, in denen die kleineren und mittleren Betriebe vertreten sind.

Weder die Handelskammer noch die Thinktanks aus den USA haben sich zum Vorhaben der Kommission bis jetzt zu Wort gemeldet. Als die nun präsentierten ISDS-Pläne der Kommission im Frühjahr ansatzweise auf den Tisch kamen, pries das US-Handelsministerium allerdings die derzeitige Praxis und betonte, dass man davon nicht abgehen werde. Das ist insofern wenig verwunderlich, weil unter sämtlichen ICSID-Schlichtungsverfahren bisher verschwindend wenige gegen die Regierung der USA gerichtet waren. "Ausländische Investoren strengen nur selten Schlichtungsverfahren gegen die USA an und haben damit noch nie Erfolg gehabt", hieß es dazu in der Erklärung des US Handelsministeriums. Das Freihandelsabkommen TTIP, für das die neuen Klauseln zum Investorenschutz entwickelt werden, betrifft aber nur Europa und die USA.

Die neuesten ISDS-Klagen bei der WTO

ICSID WTO

Unter den neuesten elf ISDS-Klagen sind zwei aus Österreich. Weder die STRABAG noch die Meinl Bank noch sonst irgendein Kläger ist dem Segment der kleinen oder mittleren Betriebe zuzurechnen.

Malmström auf Tour in Polen

Am Freitag stellte sich Handelskommissarin Cecilia Malmström in Polen den Fragen eines vor allem aus hartgesottenen ISDS-Kritikern bestehenden Publikums und erläuterte die Pläne der Neuregelung in einigen Details. Statt prozentueller Beteiligung von Schlichtungsanwälten am Streitwert sind nun erfahrene Richter vorgesehen, die fix besoldet sind. Während die weltweit wenigen Dutzend Schlichter, die von einschlägig spezialisierten, internationalen Anwaltskanzleien gestellt werden, abwechselnd auf der Seite beklagter Staaten bzw. klagender Konzerne tätig sind, soll für die Richter am Handelgerichtshof ein striktes Verbot gelten, auch andere Rollen in ISDS-Verfahren wahrzunehmen.

Die neuen ISDS-Verfahren sollen auch nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden, zudem müssen alle Unterlagen veröffentlicht werden. Erstmals ist für solche ISDS-Verfahren auch eine Berufungsinstanz vorgesehen. Die Kommission kommt damit den Forderungen der Kritiker weit entgegen. Bei ihrem Auftritt am Freitag in Polen betonte Handelskommissarin Cecilia Malmström zwar, dass es sich nur um einen Vorschlag handle, der erst mit EU-Ministerrat und Parlament abgestimmt werden müsse. Dass es im Vorfeld dazu keine eingehenden Konsultationen Malmströms mit diesen beiden EU-Instanzen gab, ist nicht recht glaubwürdig, denn das würde allen bisherigen Usancen der Union widersprechen. Die USA hatten internationale Gerichtshöfe freilich bis jetzt strikt abgelehnt.

Cecilia Malmstöm

EU-Kommission Videostream

Das geplante Prozedere

Der von der Kommission vorgeschlagene Mechanismus für ISDS-Verfahren, der zuerst protoypisch für TTIP entwickelt wird, soll nach den Aussagen Malmströms nach und nach auch auf bestehende Investorenschutzverträge ausgedehnt werden. Je fünf der Richter werden von Europa und den USA gestellt, fünf weitere werden aus Drittstaaten beigezogen. Aus diesem Pool sollen jedem Verfahren jeweils drei Schlichter paritätisch per Los zugeteilt werden, die seit Jahrzehnten geübte Praxis des "arbitrator shopping" wäre in Rahmen von TTIP daher nicht mehr möglich.

Diese Praxis hatte zuletzt zu immer "frivoleren" Klagen aber auch Urteilen geführt - der Terminus "frivol" wird offiziell auf Klagen angewendet, die an den Haaren herbeigezogen sind. So hatte der Pharmakonzern Eli Lilly Kanada 2013 in einem zwanzig Jahre zurückliegenden Fall auf entgangene Gewinne verklagt, weil Kanadas Behörden nicht auf den in der Pharmabrache gängigen Trick das "Patent Evergreening" hineingefallen waren. Ein ablaufendes Patent wird dabei runderneuert, indem etwa einer der enthaltenen Sekundärwirkstoffe zum Gegenstand eines neuen Patents erklärt wird. Weil Eli Lilly seine Klagen vor kanadischen Gerichten durch alle Instanzen verloren hatte, klagte man 2013 unter dem "North American Free Trade Agreement" (NAFTA), das für solche Klagen besonders gute Hebelwirkung bietet.

CETA wird nicht mehr aufgeschnürt

Bereits vor einem Jahr hatten sich die Indizien dafür gehäuft, dass Änderungen bei den TTIP-Verhandlungen bevorstehen. Der neoliberale US-Thinktank "Cato Institute" hatte plötzlich empfohlen, den Investorenschutz

Auch für die Klage der Eigentümerfirma der Meinl Bank Far East gegen die Republik Österreich wegen angeblicher Wertschädigung der Bank durch das österreichische Justizsystem erscheint der Begriff "frivol" durchaus passend. Der Prozess gegen die Meinl-Bank wegen Anlegerschädigung und Betrug wird da als Rachefeldzug dargestellt, der letztlich auf eine "Enteignung der maltesischen Eigentümerfirma" hinauslaufe. Möglich wurde die Klage der "maltesischen" Firma Far East, die zuvor in Holland ansässig war, durch das 2002 unterzeichnete und seit 2004 gültige Investorenschutzabkommen Österreichs mit der Republik Malta. Während dies eines der wenigen ISDS-Abkommen Österreichs mit einem Drittstaat ist, besteht kein solches Abkommen zwischen den Niederlanden und Österreich.

Das im Rahmen von TTIP entwickelte, neue Verfahren solle in Folge auf bereits abgeschlossene Freihandelsverträge angewendet werden. Das bereits ausverhandelte Freihandelsabkommen CETA der EU und Kanada wird deshalb nicht mehr geöffnet, sagte Malmström am Freitag, auch wenn es noch solche "altmodischen" Klauseln zum Investorenschutz enthalte. Angesichts der juristische Komplexität sei allerdings mit einer entsprechenden Zeitdauer einer solchen Transition in ein neues ISDS-Regime zu rechnen.

Grafik des Prozedere zur Einsicht in die TTIP-Verhandlungen

Campact

Neben den ISDS-Klauseln steht vor allem die Intransparenz der TTIP-Verhandlungen im Fokus der Kritik.

Details zu TTIP-Fortschritten

Am Rande dieser öffentlichen Fragestunde berichtete die Handelskommissarin auch kurz über Fortschritte in den Verhandlungen. Wie es aussehe, werde eine Einigung auf gemeinsame Zulassungsstandards für Kosmetika zunehmend unwahrscheinlich, weil die Ansätze in der Zulassung auf beiden Seiten des Atlantiks zu unterschiedlich seien, sagte Malmström. Im ebenfalls sehr umstrittenen Bereich der gegenseitigen Anerkennung technischer Standards habe es zwar Fortschritte gegeben, Herzeigbares habe man aber noch nicht vorzuweisen.

Anders als in Europa existiert in den USA kein harmonisiertes Standardisierungsmodell, sondern man folgt Industrienormen auf "freiwilliger" Basis. Tatsächlich bestimmen die stärksten Player auf dem Markt die Norm

Die europäischen Normeninstitute CEN und CENELEC hatten erst im Juli vor einer Destabilisierung des europäischen Standardisierungssystems durch TTIP gewarnt. Durch die vorgesehene Anerkennung von US-Normen als gleichwertig mit jenen der EU würde das fundamentale Prinzip eines EU-Standards für alle Mitgliedsstaaten gebrochen und 30 Jahre erfolgreicher Entwicklung europäischer Industriestandards aufs Spiel gesetzt, heißt es im Positionspapier von CEN/CENELEC. US-Firmen würden gegenüber ihren europäischen Konkurrenten zudem begünstigt, weil europäische Firmen an die EU-Vorgaben gebunden seien, während sich Unternehmen aus den USA beim Export nach Europa alleine auf die US-Normen berufen könnten.

Fazit und Ausblick

Deutsche und österreichische KMUs aus der Software-Branche hatten 2005 vor der Einführung von Software-Patenten auf EU-Ebene eindringlich gewarnt. Das trug wesentlich zum Kippen der geplanten Richtlinie durch das EU-Parlament bei

Was die Sorge von Business Europe um kleine und mittlere Unternehmen (KMU) angeht, so folgt die einem von ACTA und bereits davor bekannten, immergleichen Muster. Man behauptet, die Interessen eines anderen Wirtschaftssektors - der in der Öffentlichkeit generell wesentlich angesehener ist als Großkonzerne - zu vertreten, während man die eigenen Interessen vertritt. Am dreistesten war diese Taktik rund um die später gescheiterten Pläne für europäische Softwarepatente angewendet worden. Weil vor allem Autoindustrie und Zulieferkonzerne Patente auf Software durchsetzen wollten wurde so lange und so laut getrommelt, dies sei im Interesse der europäischen Softwarefirmen, dass Wortmeldungen dieser Kleinbetriebe im Wirbel lange untergingen. Im Interesse dieser KMUs war nämlich das nachgerade Gegenteil der Behauptungen der Industrie.

Wie gut die Chancen für die geplante Neuregelung stehen, lässt sich beim derzeitigen Stand nicht sagen, schon gar nicht bevor offizielle Stellungnahmen aus den USA vorliegen. Weitgehend klar ist nur, dass es ohne eine solche oder ähnliche Regelung kaum die für eine Verabschiedung notwendige Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament spielen wird.