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Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

21. 9. 2015 - 09:51

Peaches still teaches

Sie kann es immer noch: "Rub", das neue Album unserer Artist of the week Peaches, ist laut und provokant, aber auch auf den Punkt produziert, reduziert, ernst und lustig.

Peaches mit Lack-Kostüm

Daria Marchik

Artist of the Week

Alle auf einen Blick unter fm4.orf.at/artistoftheweek

In den beinahe zwanzig Jahren ihrer bisherigen Karriere hat Merill Nisker schon so einiges gemacht. Sie hat unzählige Songs geschrieben, auf der ganzen Welt performt und Sätze wie "Fuck the pain away" geprägt. Sie hat einen Vollbart getragen, einen hautfarbenen Brust-Anzug mit Barbie-Nippeln oder Strickoveralls mit Penissen, hat in einer klassischen Oper gesungen, in einem Musical gespielt, eine Electro-Rock-Oper inszeniert und mit Menschen wie Iggy Pop, Yoko Ono, R.E.M. oder Major Lazer zusammengearbeitet.

Vor allem aber ist sie sich selbst so treu geblieben wie nur wenige KünstlerInnen ihres Formats. Ihre Vorreiterinnen-Rolle in Sachen Gender-Diskurs und female empowerment, welche gerade in den letzten Jahren durch Acts wie Mykki Blanco, Nicki Minaj, Miley Cyrus, oder auch: Lady Gaga stark in den Fokus der Pop-Öffentlichkeit gerückt sind, ist unbestritten. Die Zunge herausstrecken, ein Album produzieren, sich in den Schritt greifen, einen Song für Pussy Riot schreiben, das alles sind für Peaches seit jeher selbstverständliche Seiten derselben Medaille. What else is in the teaches of Peaches? Am kommenden Freitag wird sie ihren fünften Longplayer "Rub" veröffentlichen.

Bitch, rub

Peaches Cover "Rub"

Peaches / I U She Music / Indigo

"Rub" von Peaches erscheint am 25.September 2015 bei I U She Music/Indigo.

"Rub", das ist natürlich ein Albumtitel genau nach Peaches' Geschmack, und folgerichtig ist der gleichnamige Song auch einer ihrer, sogar für Peaches-Verhältnisse, explizitesten Kompositionen: "Tell on my pussy, whistleblow my clit, watch it open up, 'cause it can't keep a secret", und das ist nur die erste Strophe. Die anderen Tracks der Platte befassen sich mit Sexismus im Pop ("Dick in the air"), der Auflösung von Klassenunterschieden ("Light in places") oder dem offenbar steigenden Trend zu vaginalen Schönheitsoperationen ("Vaginoplasty"), was Peaches nur ein verächtliches Schnauben entlockt: "I was blessed with big, big, big lips."

Dass man mit derartigen Zeilen heute keinen Skandal mehr verursacht, weiß Peaches genau, aber Provokation um ihrer selbst Willen stand sowieso nie auf ihrer Agenda. Freizügiger Humor und unverblümtes Ansprechen gesellschaftspolitischer Schweinereien hingegen schon. Erstmals verarbeitet Peaches auf ihrem neuen Album allerdings auch persönliche Gefühle und Erfahrungen, und schreibt so mit etwa "Free Drink Ticket" einen ihrer besten Songs über einen Moment, in dem sich übergroße Liebe nach dem Ende einer Beziehung in blinden Hass verwandelt. Es brummt eine Art elektronisches Cello als Bassline, es klopft ein einsamer Beat, Peaches spricht ihre Worte bedacht und unaffektiert und scheint doch Todesblitze aus dem Mund zu schießen: "Congratulations on being such a fucking good liar. Congratulations on not getting caught for so many years. (...) I'm in so much fucking pain right now."

Peaches mit buntem Kostüm

Daria Marchik

Say what? Oh entschuldigung, "can't talk right now, this chicks' dick is in my mouth."

Gemeinsam mit ihrem alten Freund Vice Cooler, einem amerikanischen Musiker, Fotografen und Videoclip-Regisseur, hat Peaches "Rub" in L.A. aufgenommen. Die monatelange Detailarbeit hat sich ausgezahlt, die Produktion des Albums ist die ausgeklügeltste ihrer Karriere. Statt ständiger Knalleffekte traut sich "Rub" auch an Mittel von Reduktion und Zurückhaltung heran.

Es ist eine Platte, die um aktuelle Ästhetiken zwischen Bass Music, R'n'B und Pop weiß, ohne sich in irgendeiner Form anzubiedern. Im Gegenteil: Beim ersten Hinhören ist "Rub" so sehr Peaches, dass es Menschen, die von ihrer Musik genervt sich, auch diesmal nicht auf ihre Seite ziehen wird. In Wahrheit aber zementiert diese Platte ihren Status als sowohl Feminismus-Leitfigur als auch versierte Musikerin und schafft es wie seine Vorgänger mit Leichtigkeit, politische Anliegen mit Spaß zu verbinden.