Erstellt am: 19. 9. 2015 - 15:54 Uhr
Schmelzende Eisblöcke und subversive Witze
Auch die "Neue Gesellschaft für bildende Kunst" (NGBK) beteiligt sich mit der Ausstellung "Redemption Jokes" (Erlösende Witze) an der Kunstwoche. Seit der Gründung vor 46 Jahren beschäftigt man sich in der NGBK mit eher schweren Themen wie Kolonialismus, Neoliberalismus, Aids und Migration.
"Redemption Jokes" hingegen untersucht die Verbindungen von Humor und Kritik in der zeitgenössischen Kunst. "Mit Blick auf ihre ästhetischen Grammatiken und gesellschaftlichen Kontexte präsentiert das Projekt künstlerische Formen des subversiven Witzes," informiert ein Faltblatt.
Am Dienstag sah man aber zunächst nur eine schwarze Gipskatze, die eine Sammlung aus Einmachgläsern anmiaute. Es ist wohl ein Witz mit dem Begriff "Soziale Plastik", und hat angeblich mit den Hinterlassenschaften der DDR zu tun. In den den üblichen Ausstellungskabuffen werden verschiedene Videos gezeigt, recht lustig ist eines, in dem ein vierbeiniger Mensch versucht einen Raum zu durchschreiten. Ein echter Mensch, ein Mann in lächerlichen weißen langen Feinripp-Unterhosen - sein esoterisches Lächeln unterstreicht das guruhafte Aussehen - misst mit einem langen Nylonfaden die Raumdiagonale aus und bewegt sich dabei auf sendungsbewusst-graziöse Weise, beobachtet von vielen ernsthaft dreinblickenden Ausstellungsbesuchern. Das ist immerhin recht absurd. Der Rest scheint furchtbar sinnlos und langweilig.

© Courtesy of the artist and Metro Pictures, New York
Aber es reicht eben nicht, einmal im Jahr auf eine Ausstellung beim Kunstherbst zu gehen. Wer das alles wirklich verstehen und genießen will, muss sich das ganze Jahr bemühen, Theorie lesen, die Codes verstehen, die Diskurse verfolgen. Für die Unterhaltung der schlichteren Charaktere ist auf der Art Week natürlich auch gesorgt. Es gibt jede Menge an durchaus zugänglichen Ausstellungen, deren Exponate aus sich heraus, ohne theoretischen Hintergrund wirken.
So ist eine Retrospektive der Fotokünstlerin Cindy Sherman im "me Collectors Room" zu sehen. Der Stargast der diesjährigen Artweek dekonstruiert mit ihren Arbeiten Werbeklischees und Rollenbilder. Die Porträts, in denen die Künstlerin sowohl vor als auch hinter der Kamera zu sehen ist, zeigen den Horror der Vorstadt, gruselige Clowns und unter der Schminke erstarrte, depressive Hausfrauen.
Für die wenig kunstaffine Art-Week - Besucherin eignen sich auch die richtig großen Sachen gut. Sie fallen ins Auge und man muss nicht so viel dazu lesen. In der Berlinischen Galerie baute der Architekt Arno Brandlhuber mit seinem Team unter dem Titel "The Dialogue City – Berlin wird Berlin" eine Architektur in eine 40 Meter lange und zehn Meter hohe Halle hinein. Das Team möchte mit ihrer Intervention die Institution "Museum" kritisch reflektieren.

Nationalgalerie, staatliche Museen zu Berlin
Ein weiteres großes Kunstwerk kann man praktischerweise auch beim Vorbeifahren vom Bus oder Auto aus betrachten. Vor der Neuen Nationalgalerie wird ein Happening von Allan Koprow (1927 -2006), einem der Pioniere der Konzeptkunst wiederholt. Sein berühmtes Happening "Fluid" entstand erstmals 1967 in Kalifornien. Mit Hilfe von Freiwilligen hatte er damals an drei Tagen große Skulpturen aus Eisblöcken errichtet und sie nach der Erbauung sich selbst überlassen.
Im Herbst 2015 vergleicht die Neue Nationalgalerie mit der Performance "Fluids" die schmelzenden Eisblöcke mit sozialen Prozessen. In Berlin lebende Künstlerinnen wurden eingeladen, auf Kaprows Aktion zu reagieren, und nun entstehen an verschiedenen Orten im Stadtraum ihre Versionen von "Fluids". Zusätzlich organisiert die Nationalgalerie eine historische Rekonstruktion der Arbeit auf dem Platz vor der Nationalgalerie.
Wer nicht jeden Tag zur Nationalgalerie will, wird vom Regionalfernsehen "Berliner Abendschau" jeden Abend informiert, wie viel von dem Eisblock-Bau noch steht, und wie viel, bei Berücksichtigung der aktuellen Temperaturen, am nächsten Tag wohl noch zu sehen sein wird.

Nationalgalerie, staatliche Museen zu Berlin
Eine der zentralen Fragen der Zeit und der Artweek ist ja, was eine Stadt eigentlich ausmacht und wie die Zukunft großer Metropolen aussieht. Deshalb hat sich die Berlinische Galerie mit drei weiteren Institutionen zu einem Kooperationsprojekt mit dem Titel "Stadt/Bild" zusammengetan. Die Deutsche Bank Kunsthalle zeigt in "Xenopolis" die Hauptstädte dieser Welt als den Ursprung von Nationen. Und spätestens hier kommt auch das alles beherrschende Thema der Zeit, die sogenannte "Flüchtlingskrise" vor. "Polis", das ist die Stadt freier Bürger, "Xenos" bedeutet "der Fremde". Xenopolis ist die fremde Stadt, wie sich auch Berlin den Neuankömmlingen als fremde Stadt präsentiert.
Laurence Bonvins große Fotoinstallation zu "Xenopolis" zeigt die Hütten von Blikkiesdorp in gleißendem Sonnenlicht. Blikkiesdorp ist eine Retortensiedlung in Südafrika, in der rund 12 000 Menschen leben, teils Flüchtlinge aus Nachbarländern, teils entwurzelte Kapstädter, die den Prestigebauten für die Fußball-WM 2010 weichen mussten. Das Leben dort zeigt Bonvin in einem Film, der im Nachbau einer solchen Hütte gezeigt wird: Auch in Blikkiesdorp beziehen Frauen Betten frisch, spülen Geschirr, kochen und backen. Vor dem Fenster singen Mädchen Abklatschverse.

Laurence Bonvin / Deutsche Bank KunstHalle
Wer statt soviel krasser Realität lieber wieder schöne in Öl gemalte Old-school-Kunst sehen will, der kann immer noch in den Martin-Gropius-Bau gehen. Dort werden 400 Werke aus einer der größten Privatsammlungen Europas, der Sammlung des Schraubenmilliardärs Reinhold Würth, ausgestellt. Von der Moderne bis zur Spätgotik wird hier mit Arbeiten von Max Ernst, Andy Warhol, Pablo Picasso und vielen weiteren großartigen Arbeiten die Kunstgeschichte rückwärts erzählt. Höhepunkt ist Holbeins "Darmstädter Madonna", die 2011 für geschätzte 50 Millionen Euro an Würth verkauft wurde.