Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Das Ende der Comfort Zone"

Martin Pieper

radio FM4

Martin Pieper

Ist Moderator und Chefredakteur von seinem Lieblingssender. Hat sein Hobby zum Beruf gemacht.

18. 9. 2015 - 16:14

Das Ende der Comfort Zone

Die Wienwoche macht Schluss mit falscher Harmonie. Ein Festival sucht den Konflikt. Spaß kann man trotzdem haben.

Am Freitag Abend wird eine Geisterbahn im Wiener Prater zum gruseligen Museum österreichischer Zeitgeschichte. Die Zeitschrift Malmö hat die verstaubten Originalskelette und Zombies gegen ganz andere Monster ausgetauscht. Dieses Wochenende kann man sich abends von Jörg Haider oder Kurt Waldheims Pferd erschrecken lassen. "Graus der Geschichte" - so nennt sich die Installation in Anspielung an das heißdiskutierte "Haus der Geschichte", das möglicherweise in der etwas prestige-trächtigeren Hofburg ein staatstragendes Geschichtsbild präsentieren will.

Waldheims Pferd

Drago Palavra

Das Pferd von Waldheim in der Geisterbahn

Für die Wienwoche, ein Festival für künstlerisch-politische Interventionen, ist das ein mehr als passender Auftakt. Statt konsensualer Wohlfühl-Politik geht das Festival unter dem General-Motto "Haromonija, naja…" auf Konfrontationskurs. Die KuratorInnen Can Gülcü und Radostina Patulova haben noch bis zum 3. Oktober ein Reihe von heimischen und internationalen Gästen eingeladen, Projekte zu verwirklichen, die zwischen Performance und Intervention, Entertainment und Symposium so flink und smart pendeln, dass man mit dem Buchstabieren von "Interdisziplinarität" gar nicht erst nachkommt.

Jörg Haider in der Geisterbahn

Drago Palavra

Wien am Arsch

Nach der Geisterbahn könnte man am Freitag Abend, (18.9.) gleich ins nahegelegene fluc weiterwandern. Dort nähert sich eine Revue unter dem Titel "Beym Arsch ist’s finster" einem Wien von unten, oder von hinten. Moderatorin Denice Bourbon wird Wiener Klassiker präsentieren, die von Acts wie 5/8erl in Ehr'n, Ana Threat, Catch-Pop String-Strong, ESRAP, Fatima Spar Quintett oder First Fatal Kiss neu interpretiert werden. Dazu nur so viel: Wer sich noch an die rauschenden Eröffnungspartys der Wienwochen in den letzten Jahren erinnern kann, der war nicht dabei.

Gemma Richard

Der Richard Wagner Park in Wien Ottakring wird am Samstag (19.9.) ab 19 Uhr einerseits zur fetten Partyzone, anderseits zum Schauplatz von allerhand Rap-, Grill- und Videoperformances. "Das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut" haben Tocotronic einst gesungen. Die Tocos sind als popkulturelle Referenz für diesen Abend der Wienwoche nur bedingt brauchbar. "Gemma Richard" begreift den Park als Lebensraum für junge Wienerinnen und Wiener, die das Wort "Migrationshintergrund" nicht mehr hören können. Ihr Alltag, ihre Erfahrungen mit der Polizei, der sogenannten Mehrheitsbevölkerung und dem aktuellen Wiener Wahlkampf fließen in die Gestaltung der Party ein.

Black Her*Stories und andere queere Aktivitäten

Gegen den hetero- und homonormativen weißen Mainstream ist das Filmfestival im Festival "The Black Her*Stories Project" positioniert. Drei Tage lang werden im Top Kino Filme gezeigt, die einem queeren feministischen schwarzen filmischen Blick auf die Welt eröffnen. Kurz-, Spiel- und Experimentalfilme samt Workshop-Programm und internationalen Gästen wie der Filmemacherin Katina Parker.

Frauen, gemalt, im Kino

Cecilia Tasso, Bild: Annie Gonzaga, Konzept: Black_Women*_Space

Die Wienwoche hat auch schon in den letzten Jahren neben postkolonialen Diskursen den queeren Subkulturen der Stadt Raum gegeben. The Jewish Renaissance Boxing Club - Vienna ist so ein Raum. Gemeinsam begibt man sich in Performances, Workshops und Boxtrainings auf die Suche nach verschwundener jüdisch-queerer Geschichte. Ein Schwerpunkt im derzeit eigentlich geschlossenen "Weltmuseum" (einst Völkerkundemuseum) in der Hofburg wird sich weiteren Aspekten der Musealisierung postkolonialer Blicke widmen.

Die Wienwoche hat auch das umstrittenen Kunst/Politikkollektiv "Zentrum für Politische Schönheit" eingeladen, eine Aktion namens "Operation Elmsfeuer" zu gestalten. Was da genau passieren soll, ist derzeit noch geheim. Dass das (Über-) Leben von Flüchtlingen im Mittelmehr Thema sein wird, steht einigermaßen fest. Die Aktionen des Zentrums für Politische Schönheiten nützen die Grenzen des Legalen Raums bis zum Zerreißen aus. Kein Wunder also, dass man sich da noch in Schweigen über die Details ihrer Wienaktion hüllt. Mit dekorativer Wohlfühlkunst hat die Operation Elmsfeuer aber sicher nicht viel zu tun.

Alle Details zum Programm der Wienwoche findest du hier.