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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

18. 9. 2015 - 15:23

The daily Blumenau. Friday Edition, 18-09-15.

#Asylkrise: Verlassen sich die eigentlich zuständigen Institutionen zu sehr auf privat geleistete Hilfe? Was muss Politik leisten?

#zivilgesellschaft #demokratiepolitik

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

Mehr zum Thema hier bei fm4.orf.at/refugeeswelcome.

Siehe auch Edition 08-09-15: Willkommene Flüchtlinge, periodische Politik und das Ende der Ohnmacht. Und drängende Fragen und Edition 02-09-15: Die Vertriebenen und das Erbe und Edition 26-08-15: Die radikale Intervention des Til Schweiger und die Rückkehr des Verfassungs-Patriotismus

Die Sachlage: Organisation/Logistik/Arbeit an den Hotspots der aktuellen Flüchtlingskrise wird vorwiegend von NGOs und Privatpersonen geleistet. Bund/Land/Gemeinde begnügen sich zu oft mit Zurverfügungstellung.
Frage 1: Ist das okay? Ist das Absicht oder ein versehentlich prolongiertes Provisorium?
Frage 2: Wird dieser Aspekt medial ausreichend dargestellt?

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Mittwoch Abend ruft mich eine Bekannte an, Ärztin mit Krisenerfahrung. Sie hat sich Urlaub genommen, um an Wiener Hotspots helfen zu können, und hat den Tag am jüngsten, an diesem Tag neu eröffneten Ort verbracht. Und sie sagt: alles, was hier passiert, wird von Privatpersonen und NGOs (also auch wieder Privatpersonen), also der Zivilgesellschaft geleistet. Die zuständigen Verantwortungsträger haben eine Halle aufgesperrt, sonst genau nichts getan. Die politischen Vertreter lassen sich dann direkt vor diesen Plätzen interviewen und vermitteln so den Eindruck, als wären sie es, die diese Krise stemmen. Sind sie aber nicht, das tun wir ganz allein; sagt sie. Dabei würden wir Logistiker, wie es sie z.B. beim Bundesheer (und wohl auch im Innenministerium - Stichwort: Katastrophenhilfe - gibt) dringend brauchen. Und: wie ist es möglich, dass die Lage diesbezüglich in den Medien so falsch geschildert wird?

2

Donnerstag Vormittag, Westbahnhof. Alles ist ruhig, ein Caritas-Mitarbeiter erzählt mir, wer aller vor Ort reibungslos zusammenhilft, Bahn, Polizei, Rotes Kreuz, Rettung, NGOs, Privatpersonen etc. Vertreter von Gemeinde oder Ministerium seien nicht vor Ort, sondern in einem zentralen Krisenstab, der ein paar mal täglich zusammentrifft. Die Menschen, an denen die Arbeit hängenbleibt, das sind Leute wie er. Im Hintergrund stressen sich gerade ein Mann, der einen Aufkleber hat, auf dem Dolmetscher steht, und einer, der offensichtlich für die Leitung zuständig ist, wegen eines akut auftretenden Problems.

Am Nachmittag höre ich, dass von Seiten diverser NGOs auch via Facebook aktuell dringend Menschen gesucht werden, die Leitungs-Erfahrung haben und am besten aus nicht allzu großer Betroffenheit heraus agieren. Also Profis, Checker, Manager, Logistiker, die die jeweiligen Hot Spots ohne Reibungsverluste organisieren können. Und es stellt sich die Frage, warum nicht die Institutionen, die über genau solche Profis verfügen (Heer, Polizei, Ministerium, Gemeinde Wien), diese auch abstellen (und warum das nicht schon vor zwei Wochen passiert ist).

3

Die Auskenner und Insider, die ich heute durchtelefoniere, sind sich einig: in einer besseren Welt wäre das sicher so. In einer österreichischen Welt, in der sich die zuständigen Institutionen, Politik und Verwaltung bis vor ein paar Wochen völlig totgestellt hatten, um ja nicht in den Geruch zu kommen, sich allzu sehr für Flüchtlinge/Refugees/Asylanten etc. zu kümmern (Stichwort: Wahlkampf, gegenläufige Stimmungslage, Mikado-Politik), wäre das, was ab Anfang September zur Verfügung gestellt wurde, schon außerordentlich. Weil Politik, Verwaltung etc. (zumindest an den Hot Spots, nicht in den Gemeinden, die Leitungen aus Schulwänden reißen lassen, damit die nicht zu Asylheimen umfunktioniert werden können) keine Steine mehr in den Weg, keine Prügel mehr zwischen die Beine werfen würden, weil die Hilfsbereitschaft der Zivilgesellschaft, die die Stimmung langsam kippen ließ, eben auch sie erreicht hatte.

Es hätte alles viel schlimmer kommen können, sagt eine NGO-Vertreterin. Und dass sie froh ist, dass alles vergleichsweise glatt abging, ohne Friktionen. Die Verärgerung der von mir eingangs zitierten Ärztin können alle bestätigen und nachvollziehen. Aber: dass die selbstorganisierte Zivilgesellschaft, sagt so ein Organisierer, so gut mit sonst kommunikationsuntüchtigen Behörden wie der Polizei oder der eher starren ÖBB zusammenwirken kann, war im Vorfeld nicht zu erwarten. Keiner spricht es aus, aber viele sind auch froh, so wenig wie möglich mit womöglich wenig kompetenten, zwangsverpflichteten Beamten zu tun gehabt zu haben. Auch wenn das bedeutet extra Urlaub genommen zu haben oder ein halbes Semester zu opfern und sich aufzureiben; anstelle derer, die das eigentlich in ihrer Job Description stehen hätten.

Und: ob es so überaus sinnvoll wäre, die halbwegs anständige Zulieferungs/Bereitsstellungs-Haltung der politisch Verantwortlichen in einer Situation an den Pranger zu stellen, die man als Patt zwischen zupackenden Hilfsbereiten und xenophoben Abschotterern beschreiben kann, stellen sie dahin, alle. Die befürchtete, eben nicht eingetretene Alternative wäre eine Art Ungarn light gewesen, ein flächendeckendes Wegschauen, ein Dienst nach Vorschrift.

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Das alles wirft eine Menge Fragen auf.

Ist ein weiteres, öffentlich-mediales Eindreschen auf die Verantwortungsträger angesichts des relativen Erfolges also kontraproduktiv? Trägt es in der reichlich undifferenziert geführten Asyl-Debatte nur zur Erweiterung des offensichtlichen Risses/Spalts der österreichischen Gesellschaft bei?

Ist die Haltung schon mit sehr wenig (im Fall der politisch verantwortlichen Hilfeleister eben mit klar weniger als im Normalfall Geleisteten) zufrieden zu sein, nicht schon eine Einladung dazu, künftig noch weniger zu leisten?

Oder überlassen Politik und Verwaltung die außerordentliche Anstrengung in Krisenzeiten auch deswegen der Zivilgesellschaft, um sich nach einem weiteren Stimmungsschwenk nach/mit den Wahlen abputzen und wieder auf die Hardliner-Seite stellen zu können?

Was ist/soll/kann/darf die Rolle der Medien in diesem filigranen Spiel sein? Wie stark muss der Hinweis sein, dass letztlich alle Bürger und Bürgerinnen durch Steuern und Teilnahme am demokratischen Leben die notwendigen Spezialisten bereitgestellt hatten und auch deren Einsatz erwarten dürfen, bevor es an die nur im äußersten Notfall zu beanspruchenden persönlichen Ressourcen geht?

Wie stark soll der Staat sein, in dem wir leben wollen, wie wichtig ist ihm/uns seine Verfassung? Das sind die Fragen, die es zu klären gilt, ehe man sich in Richtung Europa soll das lösen abputzt.