Erstellt am: 20. 9. 2015 - 14:46 Uhr
Zurück in die Zukunft
- steirischer herbst, 25. September bis 18. Oktober, Graz, Hart bei Graz, Vordernberg, Leoben
Die Rakete wird noch mit dem Sattelschlepper angeliefert, dann ist der steirische herbst startklar. Das Festivalzentrum ist diesmal im GrazMuseum in der Sackstraße und das Architekturkollektiv orizzontale aus Italien baut dem herbst eine Raumstation aus dem Palais. Mit "Back to the future" geben Intendantin Veronica Kaup-Hasler und ihr Team ein Motto vor. Der Begriff des "Erbes" verbindet die künstlerischen Arbeiten: "Unsere Gegenwart ist die Zukunft von gestern", so die Überlegung des herbst.
"Wenn wir das in Bezug auf die jetzige politische Situation lesen, glaube ich, dass ein Rückblick in diesen Tagen auf Dinge, die unsere Verfassungen und Staaten auch beeinhalten – das Commitment zu einer Genfer Flüchtlingskonvention, das Commitment zu Solidarität, das Commitment zu einer Wertegemeinschaft -, gute Handlungsanweisungen für die Zukunft und für das Jetzt wären", schickt Veronica Kaup-Hasler bei der Programmpräsentation voraus.
1968 gegründet, ist der steirische herbst ein alteingesessenes Festival für neue Kunst. Dass dies kein Widerspruch ist, tritt der steirische herbst an, in drei Wochen zu zeigen: Mit internationalen und nationalen Premieren von Theaterstücken und Performances, mit Konzerten und Ausstellungen.
orizzontale
Das Festivalzentrum in Graz
Die herbst-Ausstellung hat den Titel "Hall of Half-Life", also eine Halle der Halbwertszeit, wird kuratiert von Tessa Giblin und verfolgt den Ansatz, einen Blick aus der fernen Zukunft auf unsere Gegenwart zu simulieren. Wie das aussehen wird, zeigt sich schon beim inzwischen traditionellen Ausstellungsrundgang am Samstag, wo Kunstaffine und Neugierige von einer Galerie zum nächsten Kunstproduktionsort in der Stadt spazieren und stündlich eine Ausstellung nach der anderen eröffnet wird. An einem Tag kann man sich einen Ein- und Überblick über die Grazer Kunstinstitituionen verschaffen. Wer von der herbst-Eröffnung am Freitag noch müde sein wird: Um 13.30 öffnet das Festivalzentrum erstmals seine silbern verkleideten Pforten. Im Festivalzentrum gibt es auch ein feministisches Nagelstudio der Britin Phoebe Davies, die "Nail Wraps" mit den Bildern von Role Models für BesucherInnen-Nägel anfertigt.
Marc Coudrais
Pures Vergnügen
Mit Nacktheit erregt man noch immer Aufmerksamkeit. Die dänische Choreografin Mette Ingvartsen tritt mit zwölf TänzerInnen zu "7 Pleasures" an, um Klischeebilder rund um Nacktheit und Sexualität mit der Kraft des Vergnügens aufzubrechen. Ingvartsen hat recherchiert, was in den sechziger Jahren und der damaligen sexuellen Befreiung bei Performances abging und die damalige Verknüpfung mit politischen Forderungen festgestellt. Heute werde unser Körper ständig stimuliert durch Werbung, Pornografie, etc. Ingvartsen würde soweit gehen, das Manipulation zu nennen. Nacktheit einzusetzen, um zu provozieren – das lehnen Die Rabtaldirndln ab. Die steirische Theatergruppe setzt ihre turbulenten Performances jedes Mal an besonderes Orte. Für "Luise 37" haben sich Die Rabtaldirndln mit dem Grazer Umland und dem vermeintlichen Dilemma Jungmutter-sein-und-ins-Grüne-verzogen beschäftigt.
JJ Kucek
Ausgezeichnete Choreografinnen
Während Mette Ingvartsen zukünftig dem Team der Berliner Volksbühne angehören wird, gilt Anne Teresa De Keersmaeker seit Jahren als eine der prägendsten Choreografinnen. Dieses Jahr erhielt die Belgierin, die auch bei den Wiener Festwochen viele Arbeiten realisiert hat, das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst. Ihre Tanzkompanie gründete sie 1983, mit Rosas gastiert sie auch beim herbst und zeigt in Graz mit "Golden Hours - As you like it" eine Hommage an einen Song von Brian Eno und ihre Auseinandersetzung mit Shakespeares Komödie "Wie es euch gefällt". Keersmaeker will wissen, ob man mit zeitgenössischem Tanz eine Erzählung erstellen kann. Und was hat Brian Eno in den 1980ern gemacht? Unter anderem Alben von U2 produziert. Abgesehen davon muss man den Mitbegründer von Roxy Music nicht kennen, um diese eine seiner Kompositionen zig hunderte Male gehört zu haben.
Anne Van Aerschot
Nur keine faden Partys / All tomorrow's Parties
Und da drängt sich schon die nächste Referenz auf: Molly Nilsson hat ein neues Album mit dem Titel "Zenith" und darauf ist das Stück "1995": "they call the year the future was to arrive". Die skandinavische Künstlerin Molly Nilsson macht betörende Musik nach bestem DIY-Prinzip und zwar alleine, und sie hat einen schönen Gedanken, was Tiere und Zukunft angeht: "We can’t remember the future and our only references are the past. We’re very nostalgic people, human beings. I don’t know how animals see it though. I don’t know if animals can remember the future. I’d like to think so."
Molly Nilsson wird wie die Young Fathers, Liima u.a. für die Konzertreihe "Soundtracks" nach Graz kommen. Erst hat Soap & Skin Velvet Underground gecovert, jetzt machen das Die Buben im Pelz und für den Samstag des Eröffnungswochenendes kommen sie mit vielen befreundeten MusikerInnen nach Graz für ein Konzert. Nur keine faden Partys. Und beim musikprotokoll hat u.a. ein Stück Premiere, das Fennesz für das ORF Radiosymphonieorchester Wien geschrieben hat. Es basiert auf seinem Album "Black Sea".
Chris Filippini
Außerdem kommen noch Jörg Albrecht und sein Kollektiv Copy&Waste und eröffnen den RuckZuck-Store in der Mariahilfer Straße und das Nature Theater of Oklahoma zeigt neue Episoden von "Life And Times".
Das AutorInnen-Regie-Team Rimini Protokoll zeigt nach der Uraufführung in Weimar in Graz die Auseinandersetzung mit Adolfs Hitlers Buch "Mein Kampf", für das die Rechte mit 2016 auslaufen. In Österreich ist die Schrift verboten. Bei "Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2" treten ExpertInnen und Laien auf die Bühne.
Landpartie zum Festivalzentrum in Leoben
In Vordernberg, einem Ort von tausend EinwohnerInnen mit seinem selbstorganisierten Supermarkt und dem Schubhaftzentrum, gastiert diesmal der steirische herbst ebenso wie in Leoben. Die deutsche Künstlerin Ulla von Brandenburg gestaltet die Porubsky Halle in Leoben, wo zukünftig ein neues Stadtviertel tatsächlich gebaut wird. "Leoben baut sich gerade eine neue Zukunft", sagt der leitende Dramaturg Martin Baasch. "Ulla von Brandenburg arbeitet mit Theatermetaphern, mit Vorhängen und Bühnen, die keine Bühnen sind. Sie hat eine 400 Quadratmeter große Raumarbeit geschaffen, die sie den Menschen in Leoben und den KünstlerInnen übergibt". Inklusive Modezirkus, Filmnacht mit dem Retrokino und: Der Nino aus Wien kommt auch und singt mit Natalie Ofenböck.
Ein Ausflug nach Vordernberg könnte ebenso lohnen, dort kann man mitspielen. Denn Nesterval, die MacherInnen der FM4 Street Games, geben ein Rätsel auf: In Gruppen zu je sechs Personen will das dunkle Geheimnis einer Eleonore Nesterval gelöst werden - oder auch nicht. Von Vordernberg selbst erzählt das Theater im Bahnhof in seiner herbst-Produktion "Black Moonshine".
Nesterval
Und noch ein Tipp: Gerätschaften der Vergangenheit wird der Medienkünstler und Musiker Winfried Ritsch für ein Konzert auf die Bühne hieven. Das Institut für elektronische Musik und Akustik IEM in Graz feiert sein 50jähriges Bestehen, Anlass genug für ein Vintage Konzerte. Digital war einst analog sehr groß!