Erstellt am: 18. 9. 2015 - 15:39 Uhr
Wild Combination
In dem Stück "Endless Rhythm", dem vorletzten Song auf seinem gerade erschienenen, ersten Solo-Album, besingt Chris Baio das gleichnamige Gemälde des französischen Malers Robert Delaunay aus dem Jahr 1934. "Endless Rhythm": ein fließendes Ineinandergreifen verschiedenfarbiger Scheiben - fast schon könnten es Schallplatten sein - und einer bunten Schlangenlinie.
Ein Gemälde, das eine gleitende, harmonische Dynamik ausstrahlt, eine Verbildlichung eines niemals enden wollenden Loops. Das Bild habe ihn, so singt Baio in dem Song, zu eindringlicher Reflexion über Kunst - die anderer, die eigene - und ihre Wirkung bewegt.
Baio
Wenn Chris Baio nicht gerade bei den New Yorker Indiepop-Giganten Vampire Weekend den Bass spielt, dann bereist er als DJ für elektronische Tanzmusik den Planeten und produziert Tracks für den Dancefloor, die sich nicht selten im besten Sinne in der Nachbarschaft der Neo-Disco/Boogie-Stücke von Metro Area aus den frühen Nullerjahren aufhalten. Auf seinem Debütalbum führt er unter dem schlichten Projektnamen Baio seine Vorlieben zueinander, arbeitet dabei auch bewusst Oppositionen zwischen unterschiedlichen Sphären heraus.
"The Names" nennt sich die Platte weitläufig und ominös, Baio hat hier einen geschmeidigen Strom geformt, zärtlich sich wendend, einen Sog entwickelt, der eben genau nicht ausschließlich aus konstanter Gleichschaltung und ewiger Einheitstaktung erwächst, sondern in gleichem Maße auch von den Brüchen und den scharfen Schnitten lebt - innerhalb der Songs und in den Räumen dazwischen.
Entstanden ist "The Names" in Baios Heimstudio, kurz nach seinem Umzug von New York nach London vor gut zwei Jahren hat er mit dem Ideensammeln und Aufnehmen begonnen. Aus der Platte quillt das Parfum der frischen, willkommenen Ort- und Orientierungslosigkeit, das Gefühl, bloß ein schwebender Besucher in unbekannter, aufregender Kulisse zu sein.
Ein paar Synthesizer, Gitarre, ab und zu auch der echte Bass, vornehmlich ein Haufen schöne Software, eine aus Glas gebaute Stimme, die in knappen Bildern privat-impressionistische Lyrik vertont oder unaufdringlich Liebesdinge besingt - abgesehen vom Mixing und Engineering hat Baio diese wunderliche Welt komplett alleine zusammengedoktert.
Ganz klar und ohne falsche Scham ist Baios Album - und in diesem Falle ausdrücklich und nicht bloß als leere Behauptung - von wegweisendem Art-Pop der 70er beeinflusst - Musiken, bei denen nicht selten, wieder einmal, der gute alte Brian Eno seine Finger im Spiel gehabt hat.
Der David Bowie der Berlin-Ära mit seinen Alben "Low", ""Heroes"" und "Lodger", frühe Roxy Music und insbesondere auch die Pop-Soloplatten von Eno himself, allen voran sein Meisterwerk "Another Green World".
Auch wenn Baios "The Names" nur selten tatsächlich so klingt, so ist sein Album hinsichtlich der Strukturierung und Organisation vielen dieser Platten engverwandt: Platten, auf denen lange Instrumental-Passagen, von Krautrock beeinflusste Soundcollagen, frühe Ambient-Definitionen oder auch Proto-Elektronica, und zuckersüße Popmomente sowie echte, kleine Liedchen mühelos nebeneinander stehen können. Oder einander freundschaftlich überlagern.
Dieses Design reichert Baio um das Wissen von Techno und Clubkultur an. Leitet funkelnden Glam-Pop in Disco und schrottigen Drummachine-House über, kommt vom psychedelischen Lagerfeuer-Folk-Songwriting zum Großraum-Rave. Sampelt hundert einzelne Klarinetten-Töne zu einem surrenden Bienenschwarm, schneidet von zehn unterschiedlichen Platten gezogene Vocal-Fetzen zu einem kurzen, vokabellosen R'n'B-Chor.
Dabei ist die Platte nicht überladen und zugekleistert wie beispielsweise die wunderbaren Schichtungen des Animal Collective, sondern bleibt bei allem angekarrten Klangmaterial luftig, leicht, transparent. Die Stücke vollführen Wendungen, versanden und werden nicht selten: etwas Neues.
Glassnote
Auch wenn Chris Baio nun sicherlich nicht der größte Sänger ist, gelingen ihm auch stimmlich abenteuerliche Nuancierungen - man höre den Hit "Sister of Pearl" - wieder, schon im Titel, eine überdeutliche Verbeugung vor Roxy Music - hier gibt Baio einen pompösen, besoffenen Elvis-Impersonator, der versucht, einen besonders schmierigen Bryan Ferry zu geben.
Vieles geschieht auf "The Names" von Baio, und dabei ist Platte nach schlanken vierzig Minuten auch schon wieder vorbei. Genau die richtige Länge für ein Album - bei allem Ideenreichtum und aller gewieften Seltsamkeit atmet die Platte Bescheidenheit. Prächtige Musik und bisweilen gar kecke Arroganz-Posen im Vortrag, dargebracht mit der Schüchternheit eines Lo-Fi-Bastlers und der Hängeschultrigkeit des Indie-Typen, dem einfach ein paar feine Melodien und ein paar gute Beats aus dem Ärmel geflutscht sind. Pop auf der Höhe der Zeit und der Geschichte. Klein, groß.