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Simon Welebil

Abenteuer im Kopf, drinnen, draußen und im Netz

14. 9. 2015 - 16:25

Hölle ist für immer

In Richard Flanagans ausgezeichneten Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland" wird eine besonders dunkle Episode des Zweiten Weltkriegs zum Scheidepunkt im Leben junger Männer.

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Was ist ein glückliches Leben? Wenn man Familie hat, im Beruf erfolgreich ist, die Menschen zu einem aufschauen? Dorrigo Evans hat alles davon. Er ist erfolgreicher Chirurg, verheiratet, hat zwei Kinder und ist in Australien gefeierter Kriegsheld, aber glücklich ist er nicht. Dafür hat eine Episode des Zweiten Weltkriegs eine zu tiefe Schneise in seine Biographie gezogen, die nicht mehr zu füllen war.

Dorrigo Evans ist der Protagonist von Richard Flanagans Roman "Der schmale Pfad durchs Hinterland". Evans ist in bitterer Armut in Tasmanien aufgewachsen, mit Hilfe eines Stipendiums aufs College gekommen, als Arzt schließlich zum Militär und nach der Kapitulation seiner Einheit in Singapur in japanische Kriegsgefangenschaft geraten.

Buchcover: Richard Flanagan - "Der schmale Pfad durchs Hinterland"

Piper Verlag

"Der schmale Pfad durchs Hinterland" von Richard Flanagan ist von Eva Bonné übersetzt worden und im Piper Verlag erschienen.

Von den Japanern werden er und seine australischen Kameraden anschließend gezwungen, eine Eisenbahnstrecke zu bauen, vom Norden Bangkoks bis nach Burma (das heutige Myanmar), mehr als 1.400 Kilometer, großteils durch den Dschungel. Als "Death Railway" wird sie in die Geschichte eingehen, denn Japan hat für den Bau der Strecke weder die finanziellen Mittel, noch die nötigen Maschinen. Etwa 60.000 alliierte Kriegsgefangene und eine Viertelmillion Zwangsarbeiter aus den von Japan besetzten Gebieten sollen den Wunsch des japanischen Tennos umsetzen, mit primitivsten Werkzeugen oder bloßen Händen. Ein Drittel der alliierten Kriegsgefangenen überlebt das Unternehmen nicht. Die geschätzte Zahl der Toten unter den Zwangsarbeitern geht in die Zehntausende.

Menschliches im Lager

Richard Flanagan hat eine ganz persönliche Beziehung zu diesem historischen Stoff. Sein Vater war selbst einer der Überlebenden der "Death Railway". In einem Interview erzählt der Autor, dass sie dessen Geschichten aus der Kriegsgefangenschaft, die freundlich, manchmal auch lustig gewesen seien und stets etwas zutiefst Humanes gehabt hätten, wie mit der Muttermilch aufgesogen hätten.

Das Humane der Geschichten hat er auch in "Der schmale Pfad durchs Hinterland" beibehalten. Neben den ganzen schrecklichen Details aus dem Lager, wenn die zu Skeletten abgemagerten Gefangenen mit einer Handvoll Reis durch den Tag kommen müssen, wenn der Verlust der Schuhe im Dschungel einem Todesurteil gleichkommt, eine Amputation zur Metzgerarbeit wird oder japanische Aufseher einen Gefangenen zu Tode prügeln, schildert er die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Gefangenen in unglaublichen Details.

Doch Flanagan bleibt nicht bei den Schilderungen seines Vater stehen. Er versetzt sich auch in die Köpfe der japanischen Offiziere hinein, deren Weltbild von einem halben Jahrhundert nationalistisch-imperialistischer Indoktrination geprägt ist. So versucht er, die Motivationen aller verständlich zu machen und die Aufseher etwa nicht nur als Monster zu sehen, wie es seine australischen Protagonisten tun.

Schrecken ohne Ende

Dorrigo, der als Kommandant seiner Truppe jeden Tag mit den Japanern feilschen muss, wie viele seiner Leute er in den Tod schickt, kann nach dem Krieg seinen Peinigern nicht verzeihen. Trotz Aussöhnung und Dialog sieht er selbst im hohen Alter die beiden Atombomben, die auf Japan abgeworfen wurden, immer noch als gerechte Strafe an. Er kann nicht abschließen, mit dem, was ihm der Krieg geraubt hat, doch das können auch die anderen nicht.

Richard Flanagan folgt all seinen Protagonisten in die Zeit nach dem Krieg, in der ihre Gefühle nicht mehr mit ihren Leben übereinstimmen. Sie leben ihre Leben mehr schlecht als recht. Der Alltag gibt ihnen den Rest und aus der Sinnlosigkeit ihrer Leben flüchten sie sich in Alkohol, Suizid, Familie oder wie Dorrigo, in Tugend, Pflichterfüllung und Anpassung. Trotz einiger Chancen bekommt niemand mehr von ihnen ein glückliches Leben zu fassen. Für sie herrscht Hölle für immer. In der Schilderung ihrer Schicksale scheint für uns die Schönheit des Lebens durch.