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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

14. 9. 2015 - 11:05

Camus und Sartre in Bevery Hills

Einer der großen, unterschätzten Filme des Jahres: Mit „Knight of Cups“ gelingt Terrence Malick ein Kinogedicht über die existentielle Rast- und Ruhelosigkeit.

Er hat wieder einen Film gedreht. Ohne Drehbuch, ohne Psychologie, ohne erlösendes Finale oder klassische Dialoge, aber mit Stars und Sternchen, die in einem audiovisuellem Strudel dahintreiben. Prompt wimmelt es in den Holzmedien wie im Internet vor negativen Stimmen zu „Knight Of Cups“, Terrence Malicks neuestem Streifen. Kontroversen sind für den einsiedlerischen US-Regisseur aber nichts Neues.

Seit „Tree Of Life“ (2011), seinem überambitioniertem Versuch, die Schlüsselthemen des Daseins allesamt in ein einziges assoziatives Filmepos zu verpacken, spaltet Malick weite Teile der Kritik und des Publikums. Galt sein bis dahin spärliches Schaffen, aus dem vor allem der Debütstreifen „Badlands“ als gleißendes Meisterwerk heraussticht, zuvor als unantastbar, hat der mittlerweile 71-jährige Autorenfilmer bei Cineasten den Heiligenschein eingebüßt.

Spätestens seit „To The Wonder“ (2013), der gänzlich fernab konventioneller Strukturen daherkam, setzte auch bei manchen eingeschworenen Fans die Ernüchterung ein. Was will uns Meister Malick mit seiner zerrissenen Machart sagen, jammerten sie in Webforen, warum müssen wir den Darstellern gefühlte Ewigkeiten zusehen, wie sie durch sonnendurchflutete Landschaften taumeln, begleitet von verquastem Voiceover?

Für mich ist dieser Frust in keinster Weise nachvollziehbar, auch und schon gar nicht bei „Knight Of Cups“, dem Film, in dem Terrence Malick seinen aktuellen Stil auf die Spitze treibt. Nicht nur weil ich sofort in den Sog der berauschenden Bilder, Klänge und Sprachfetzen eintauchte wie in ein warmes Meer. In den Fluten dieses Ozeans, in dem man nur zu gerne verloren geht, finden sich auch etliche inhaltliche Momente, die Malicks Ausnahmesstellung im Weltkino untermauern.

Knight Of Cups

Constantin

Im Feindesland des Hier und Jetzt

Die atemberaubende Kamera von Emmanuel Lubezki ist, wie schon in den beiden Vorgängerfilmen von Terrence Malick, ständig in fließender Bewegung in „Knight Of Cups“, die Unruhe und Getriebenheit des Protagonisten (Christian Bale) spiegelnd. Rick, ein Mann mittleren Alters, der sich durch das hedonistische Leben in Los Angeles treiben lässt, lebt von gut bezahlten Drehbuchaufträgen. Ein Vasall im Hollywood-Getriebe, der seine künstlerischen Ambitionen scheinbar ebenso aufgegeben hat wie den Versuch eine funktionierende Beziehung zu führen.

Diverse Frauen landen in seinem Designerschlafzimmer oder er wälzt sich in den Wohnungen überdrehter Starlets in den Matrazen. Rick grinst dabei, lacht oft lauthals, wirft Kissen, übertüncht den Nullpunkt, an dem er sich bewegt, mit überdrehter Euphorie. „All those years living the life of someone I didn’t even know“ flüstert seine Stimme aus dem Off, den Mund bewegen sehen wir Christian Bale kaum in diesem Film.

Mit dem Kunstgriff, dass Ricks Gedanken zwar omnipräsent sind, er aber kaum einen Satz mit den anderen Figuren wechselt, verdeutlicht Malick die innere Abgeschottenheit seiner Hauptfigur. Somnambul durchwandert er geisterhafte Partyszenarien und Tinseltown-Meetings, als ob eine Figur aus den existentialistischen Romanklassikern von Camus oder Sartre in Beverly Hills enden würde. Antonio Banderos preist dazwischen als Event-Impressario die Promiskuität als einzige Lebensform, Models tänzeln unentwegt vor der Kamera, überhaupt scheint jede Bewegung wie für die Theaterbühne choreografiert.

Knight Of Cups

Constantin

Wenn es in „To The Wonder“ schon fremdartig anmutete, dass der Naturmystiker Terrence Malick eine schlichte Skype-Session ins Bild rückte, begibt er sich nun ganz tief ins modische und technokratische Feindesland des Hier und Jetzt. Platte Zivilisationskritik, die etwa als Schwachpunkt im einzigartigen „Tree of Life“ störte, sucht man in „Knight Of Cups“ aber glücklicherweise trotzdem vergeblich. Dafür ist dieser Film den geilen Oberflächen der Stadt der Engel viel zu sehr mit Haut und Haaren verfallen.

Überhaupt, was für eine irrwitzige Schönheit rollt da auf einen zu. Selten hat eine Existenzkrise besser ausgesehen als in dieser Malick-Lubezki-Version, vom kalten Prunk urbaner Glaspaläste über die Weiten der Mojave-Wüste bis zu fiebrigen Strip-Clubs in Las Vegas und sinnentleerten Rave-Spektakeln. Die überwältigenden Frauen, denen der Zeitgeist-Odysseus Rick auf seiner ziellosen Irrfahrt begegnet, überstrahlen aber sämtlichen berückenden Landschaften und vereinnahmen die Kamera.

Knight Of Cups

Constantin

Sehnsucht als zentrale Triebkraft

Ob Imogen Poots, Teresa Palmer, Cate Blanchett oder Natalie Portman: Vor jeder dieser und anderer Darstellerinnen kniet der Film nieder, oft nur für kurze, aber unvergessliche Momente. Es sind keine leeren Affairen, die Ricks Figur mit den weiblichen Charakteren verbringt, aber der Austausch ist durchaus diffizil. Wie ein Schwamm saugt er alles auf, was ihn umgibt, vor allem das Charisma, die Energie, die Lebensgier der Protagonistinnen. Im Gegenzug gibt er gute Laune, baut mit Blödeleien auf, hört zu. „You’re not looking for love, you want the love experience“, sagt Poots zu Bale. Der Schwindel fliegt natürlich auf, Tränen, Enttäuschung, ungeborene Kinder bleiben zurück.

Berührend im Sinn klassischer Kinodramaturgie, die emotionale Knöpfe drückt, sind diese flüchtigen Begegnungen aber kaum. Gefühlsaufwallungen sind selten das Thema von Terrence Malick, auch das Pärchen in „Badlands“ mordet seltsam unberührt und in „Thin Red Line“ ist der Krieg in meditative Ruhe eingebettet. Höchstens wenn Rick auf seinen zornigen Bruder (Wes Bentley) trifft oder mit ihm zusammen den verbitterten Vater (Brian Dennehy) besucht, flackert Dringlichkeit auf.

Ein Fazit? Man könnte etliche Szenen in diesem mäandernden Bilderstrom belächeln, irgendwas von spirituellen Kitsch oder schwülstiger Esoterik faseln, ich wünsche viel Vergnügen damit. Für mich macht Terrence Malick die inspirierendsten Filme über die Fremdheit als zentrale Befindlichkeit, die Fremdheit des Menschen in der Welt, in der Natur, im Sein. Und über eine undefinierbare Sehnsucht als zentrale Triebkraft.

Knight Of Cups

Constantin

Von der erotischen Liebe als Rettungsanker mag sich der Philosophiedozent Malick in „To The Wonder“ beinahe verabschiedet haben, Rick gibt die Suche aber nicht auf. Beim Verlassen des Kinosaals fällt mir „The Wanderer“ ein, einer der glühendsten Songs von Johnny Cash. „I went out walking through the streets paved with gold, lifted some stones, saw the skin and bones of a city without a soul.“ Die Reise hat erst begonnen, das Ziel bleibt unbekannt.