Erstellt am: 12. 9. 2015 - 18:11 Uhr
Explosiver Deutschkurs
Den Titel erklärt das Programm so:
"Wer auf Hebräisch oder Arabisch auf die aktuelle politische Lage des Nahen Ostens anspielen will, spricht schlicht von 'The Situation'
In den letzten Jahren hat es viele Menschen mit 'Situation'-Hintergrund für einen Neuanfang ausgerechnet nach Berlin verschlagen."
Ute Langkafel/Maifoto
Besonders in Neukölln treffen nun Israelis und Araber aufeinander und müssen mit "The Situation" klarkommen. Israelis, die es durch Kunstprojekte oder Facebook-Kontakte nach Berlin verschlagen hat, leben nun Tür an Tür mit alteingesessenen deutschen PalästinenserInnen und LibanesInnen und auch mit immer mehr SyrerInnen, die vor dem Krieg geflohen sind. Wo Araber und Israelis in ihren Herkunftsländern durch soziale und echte Mauern getrennt waren, entwickelt sich in Berlin ein neuer "Naher Osten".
Es passt zum "postmigrantischen Theater" mit seinem aus aller Welt zusammengekommenen Ensemble und dem internationalen Publikum, und es passt zur aktuellen Lage in Deutschland und Berlin, dass die israelische Regisseurin Yael Ronen für ihr neues Stück eine Neuköllner Sprachschule als Schauplatz gewählt hat.
Das Bühnenbild besteht aus einer in grellem Duden-Gelb gehaltenen beweglichen Treppe, auf der sechs Menschen unterschiedlichster Herkunft - Israelis, Araber, Palästinenser und Syrer - im Sprachkurs Deutsch aufeinander treffen.
Noa wurde zu Hause stets eingeschärft, sich nicht als Israelin erkennen zu geben, wenn man auf Araber trifft. Ihr Ex-Mann, der Palästinenser Amir stammt aus Haifa, sein Pass ist israelisch, sein Arabisch akzentfrei, also sieht der Syrer Hamoudi in ihm einen Verräter, oder einen Spion.
Der, wie immer bei Ronen, verklemmt um politische Korrektheit bemühte Deutsche, der Sprachlehrer Stefan,versucht Ordnung zu schaffen und heizt mit seinen tolpatschigen Vermittlungsbemühungen die Konflikte zusätzlich an. Denn schon das Reden über "The Situation", die unübersichtliche Lage in Nahost, birgt einigen Sprengstoff. So werden sämtliche kulturellen, nationalen und sexuellen Klischees mit Witz, Galgenhumor in großem Tempo, Schlag auf Schlage, aufgetischt, ausgewalzt, ad absurdum geführt und auch wieder bestätigt.
Die schwarze Palästinenserin Laila macht beim Deutschlehrer Stefan die Ansprüche auf das Gästezimmer geltend, welches gerade der Syrer bewohnt, sie pocht auf ihren höheren Opferstatus: schwarz, Frau, Palästinenserin! Der Deutschlehrer wiederum hat den Syrer nicht aus reiner Willkommenskultur-Euphorie, sondern auch aus sexuellem Interesse aufgenommen...
Ein gelungener dramaturgischer Schachzug war es, das Stück in Deutsch-Lektionen zu unterteilen. Jede Lektion behandelt ein sprachliches Phänomen, mit dem eigentlich nur das Sprechen geübt werden soll, das aber sofort zum Streit führt. Denn wie klärt man Zeitformen mit Menschen, die ihre Vergangenheit noch verarbeiten müssen und keine Zukunft für sich sehen? Und wie kann es eine Gegenwart ohne Aufenthaltsstatus geben? Auch die berühmten W-Fragen "Wer bist du?", "Woher kommst du?" und "Was machst du hier?" – gedacht, um eine erste Kommunikation der Deutschlernenden zu ermöglichen – führen zu heiklen Identitätsfragen der Teilnehmer.
Esra Rotthoff
In diesem explosiven Deutschkurs werden Krieg, Besatzung, Migration, "The Situation" eben - als pointenreicher Schlagabtausch, als screwball comedy zum Nahostkonflikt, als eine Komödie mit schwarzer Humor, in der alle Seiten ihr Fett abkriegen, aufgeführt. In der schwierigen Beziehungsgeschichte zwischen Amir und Noa spiegelt sich auch der politische Konflikt - Paartherapie zwecklos.
Einen Wendepunkt erreicht diese Nahostkomödie, als Deutschlehrer Stefan sich in einem langen Monolog als Sergej outet, ein 1985 in der Kasachischen Sowjetrepublik geborenes "Meisterstück der Integration". Da ändert sich der ganze Tonfall des Stückes, da ist Schluss mit lustig.
Die Figuren (oder die Schauspieler?) erzählen ihre Migrationsgeschichte und die Zuschauer wissen nicht mehr, was Wahrheit und was Fiktion ist, welche Emotion ist brillant geschauspielert oder einfach "authentisch"?
Die Rolle des Sergej, der mit seinen Eltern in den Neunzigern von Kasachstan nach Deutschland kam, wird von einem Schauspieler mit kasachischen Wurzeln gespielt. Die Figur des Noa, der mit einer Israelin verheiratet war, wird dargestellt von einem palästinensischen Schauspieler, der mit der israelischen Regisseurin verheiratet ist. Wenn er auf der Bühne erzählt, wie erleichtert er war in Neukölln, anders als in Tel Aviv, frei arabisch sprechen zu können, aber in die Bredouille kommt, wenn sein Sohn dann im Falafel-Laden eine Orangensaft auf Hebräisch bestellt - dann hört sich das sehr nach echt Erlebtem an.
Schließlich wird im Sprachkurs noch der Konjunktiv behandelt, die Zeitform der Hoffens und Wünschens. Da wird es sogar ein bisschen pathetisch auf der Bühne - mit dem Trost, den einzig die Hoffnung bietet. Denn schließlich, heißt es, passieren doch immer wieder die unglaublichsten Dinge: Die Berliner Mauer ist gefallen, ein Schwarzer wurde Präsident der Vereinigten Staaten und Frauen werden zur Staatsoberhäuptern gewählt. Wenn das alles möglich ist - dann vielleicht auch eines Tages Frieden in Nahost.