Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Backe, backe Kuchen"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

12. 9. 2015 - 12:56

Backe, backe Kuchen

Wieso reden, wenn emotionale Leere auch mit Torten und Cremes gefüllt werden kann? In ihrem Debütroman "Das Tortenprotokoll" widmet sich die 30-jährige Linzerin Marianne Jungmaier einer allzu österreichischen Familientradition.

„Das Tortenprotokoll“ ist ein Roman über die Eigenschaft, Zuneigung in Form von Aufforderungen zum Essen auszudrücken. „In dieser Familie liebt man sich mit Süßspeisen“, heißt es gleich zu Beginn. „Mit Eiscreme und Desserts, aufgespießt auf Kuchengabeln, aufgefangen in Löffeln.“ Eine Art von Liebe, die allerdings nicht jedem bekommt, schon gar nicht der Protagonistin im Buch.

Marianne Jungmaier, 1985 in Linz geboren, studierte Digitales Fernsehen, Filmwissenschaften und Journalismus. Seit 2011 ist sie freischaffende Autorin und hat schon Kurzgeschichten und Lyrik veröffentlicht. Sie bloggt in mehreren Sprachen und wenn sie nicht auf Reisen ist, lebt sie in Berlin. „Das Tortenprotokoll“ ist ihr erster Roman.

Autorin Marianne Jungmaier

www.detailsinn.at

Friederike ist Anfang Zwanzig und erst vor Kurzem aus der österreichischen Provinz zum Studieren nach Berlin gezogen. Als ihre heißgeliebte Großmutter stirbt, kehrt sie in ihren Heimatort zurück. Das Begräbnis steht an, das Haus muss geräumt werden. Während die Verwandten ausmisten, versucht Friederike Erinnerungen an ihre Kindheit zu retten. Dabei entdeckt sie das große Geheimnis ihrer Großmutter. Zwischen den abgegriffenen Seiten ihres Rezeptbuchs, das ehrfurchtsvoll nur Tortenprotokoll genannt wird, sind schwülstige Liebesbriefe versteckt.

Wenn Torte ausgekühlt ist, Schlagobers steif schlagen, steht da. Und: Du, im Licht der Frühlingssonne, zwischen den weißen Laken im Garten, die sich sanft im Wind bewegen, wie die Segel der Schiffe im Hafen von Dubrovnik.

Gefangen in der Hausfrauenrolle

Die Großmutter hatte also eine Affäre, denn vom Großvater stammen diese Worte bestimmt nicht. Friederike muss die Biographie der Verstorbenen komplett neu denken. Jene Frau, die sie bisher nur mit dem Duft ofenwarmer Kuchen, Rätselheften und Einmachgläsern im Keller verbunden hat, hatte Sehnsüchte, die ihren eigenen nicht unähnlich sind. Seite für Seite gibt die Autorin Marianne Jungmaier immer persönlichere Details über diese Großmutter preis und zeichnet damit indirekt das Porträt einer Hausfrau der Kriegsgeneration, die es nie wagte aus ihrer Rolle auszubrechen.

Buchcover "Das Tortenprotokoll"; Altes abgegriffenes blaues Heft auf blumenbedrucktem Papier

Verlag Kremayr-Scheriau

Die offizielle Buchpräsentation findet am 21. Oktober in der Tabakfabrik Linz statt.

Außerdem geht es im Roman stark um die Identitätssuche der Enkelin selbst: Wie Friederike versucht, ihrer Jugendliebe Tobias klarzumachen, warum sie die Rohheit und Provinzialität im Dorf nicht ertragen kann und vor allem wie sie sich stets aufs Neue von ihrer Familie emanzipieren muss. Der Vater ist wortkarg und gewalttätig, die Schwester eingeschüchtert und die Mutter versucht vergebens die emotionale Kälte durch oberflächliches Ordnungschaffen zu kompensieren:

Warum sie immer alles säubern muss, Schränke und Keller und Dachböden, immer backen, etwas tun, vor allem, wenn etwas Unerwartetes geschehen ist. Dann wäscht man Bettwäsche in dieser Familie, sortiert man Schuhe, schrubbt man Keller- oder Waschräume, säubert man Küchenregale, entstaubt den Dachboden.

„Das Tortenprotokoll“ ist ein flüssig geschriebener Roman, der stellenweise vielleicht etwas zu detailverliebt geraten ist, aber die dysfunktionalen Familienbande gut beschreibt. Man darf gespannt sein, was von der 30-jährigen Linzerin noch folgen wird.