Erstellt am: 11. 9. 2015 - 14:03 Uhr
Ein bisschen Privatsphäre
* Name geändert
"In Somalia war ich Journalistin. Ich habe für ein Lokalradio und für internationale Medien gearbeitet. Mein Leben war gut, ich hatte ein gutes Gehalt, ein schönes Haus", erzählt Farhia*. "Aber ich war nicht sicher. Viele meine KollegInnen wurden getötet. Auch mich haben die Islamisten bedroht: Sie rufen an oder schicken SMS und sagen: Wenn du nicht aufhörst mit diesem Job, dann bringen wir dich um!"
Irmi Wutscher
Vergangenen März hat sie Somalia verlassen, seit zwei Monaten ist sie jetzt in Österreich. Europa, das merkt man, hat sie sich anders vorgestellt: "Ich dachte, ich bekomme hier einen Pass und dann kann ich mich frei bewegen!" Mit überfüllten Flüchtlingslagern und schlechten Bedingungen hat sie nicht gerechnet. "Ich war nur drei Tage in Traiskirchen, aber ich bin Journalistin, ich habe alles genau beobachtet", sagt sie. "Es waren viel zu viele Menschen dort, teilweise haben sie draußen geschlafen. Zehn Leute haben sich ein Bad geteilt."
Getrennte Duschen: Fehlanzeige
- "Frauen und Kinder zuletzt" - der Spiegel geht der Frage nach, warum mehr Männer zu uns flüchten.
Weltweit sind die Hälfte aller Flüchtlinge Frauen. In Europa kommen aber mehr Männer an. Von Jänner bis Juli 2015 war laut Asylstatistik des BMI nur jeder fünfte Flüchtling, der nach Österreich gekommen ist, eine Frau, im gesamten Jahr 2014 waren ein Viertel aller in Österreich ankommenden Flüchtlinge Frauen.
Frauen, vor allem wenn sie alleine reisen, sind auf der Flucht noch mehr Gefahren - etwa sexuellen Übergriffen - ausgesetzt als Männer und müssen zusätzliche Hürden überwinden. Bevor Ungarn mit seiner skandalösen Behandlung von Flüchtlingen in die Schlagzeilen gekommen ist, stand ja auch Traiskirchen stark in der Kritik. Ein Team von Amnesty International, das das Lager besuchte, kritisierte ja unter anderem, dass Frauen im Lager nicht ausreichend geschützt seien. Zum Beispiel gab es dort keine getrennten Duschen für Frauen und Männer und nicht einmal Duschvorhänge für ein wenig Privatsphäre.
Irmi Wutscher
Kein Schutz für Frauen in Massenunterkünften
- "Der tägliche Kampf" - sehr gute SZ-Reportage über Frauen in deutschen Flüchtlingsunterkünften.
Vor kurzem hat das Deutsche Institut für Menschenrechte eine Studie über Frauen in deutschen Asylunterkünften herausgegeben: Auch hier ist die Rede davon, dass Frauen in überfüllten Massenunterkünften, in Containern und Zelten nicht vor Übergriffen und sexueller Gewalt geschützt werden können. Und dass das Thema angesichts der Menge an Neuankommenden und der Frage der Qualität der Unterkünfte untergehe.
0800 222 555 ist die Nummer der Frauenhelpline
Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser sagt, dass sich immer wieder MitarbeiterInnen aus Flüchtlingsunterkünften an sie wenden, um zu fragen, wie sie Schutz und Hilfe bieten können. Mittlerweile gibt es in Hollabrunn ein eigenes Frauenhaus für Flüchtlingsfrauen, die Gewalt erlebt haben. Die Frauenhelpline bietet Beratung in mehreren Sprachen.
Irmi Wutscher
Haus Ottakring
Zumindest für ein paar allein reisende Frauen und Mädchen, aber auch Familien, ist das Problem gelöst. Anfang August hat die Stadt Wien einige unbegleitete Frauen und Mädchen aus Traiskirchen aufgenommen. Sie sind jetzt im Haus Ottakring, einem ehemaligen Seniorenheim in Wien, untergebracht.
"Jeder, der hier ankommt, und aus dem Lager Traiskirchen raus ist, ist heilfroh", sagt Daniela Krois vom Samariterbund, der das Haus betreibt. "Hier sind sie in Zweibettzimmern mit Dusche und WC untergebracht. Das gibt ihnen natürlich eine ganz andere Form der Privatsphäre."
Irmi Wutscher
Im Haus Ottakring wohnen derzeit 24 Mädchen, 20 Frauen, 5 Familien (mit insgesamt 16 Kindern) und 20 unbegleitete Burschen. Die Frauen und Mädchen hier kommen vor allem aus Somalia und Syrien. Bei Frauen aus Somalia wären vor allem gynäkologische Fragen ein Thema, Beschneidungen etc. Und bei allein reisenden syrischen Frauen müsse auch abgeklärt werden, ob sie ihre Familie verloren hätten oder selbst vor familiärer Gewalt geflüchtet seien, um die richtigen Schritte zur Hilfe zu setzen. Das passiere derzeit hauptsächlich, das Haus ist ja erst mit Anfang August eingerichtet worden, noch ist alles im Werden und Sich-Einspielen.
Fehlende Kurse
Der Tagesablauf ist für Erwachsene und Minderjährige unterschiedlich. Für die Kinder und Jugendlichen haben schon Deutsch- und Alphabetisierungskurse begonnen. Denn sie müssen neben dem arabischen Alphabet, das sie schon beherrschen, noch das lateinische lernen. Sobald es geht, sollen die Kinder im Pflichtschulalter dann auch regulär die Schule besuchen.
Irmi Wutscher
Der Samariterbund freut sich über Geld-, aber auch über Zeitspenden. Für Sachspenden und Willkommenspakete gibt es auch eine Zusammenarbeit mit der Post.
Die erwachsenen Frauen sind neben Arztbesuchen und Behördengängen zur Untätigkeit gezwungen. Es wird dreimal am Tag für sie gekocht, wodurch ihnen zwar Arbeit, aber auch Selbständigkeit abgenommen wird. Mithelfen können sie in Form von Abwaschdiensten. Manche Frauen helfen freiwillig im Lager mit und sortieren Spenden. Rechtsanspruch auf einen Deutschkurs haben Erwachsene erst mit positivem Asyl-Bescheid. Natürlich ist man bemüht, auch für sie Kurse zu organisieren, aber weil derzeit so viele Refugees neu kommen, fehlen die finanziellen Mittel. Derzeit werden Freiwillige gesucht, die Deutschkurse geben. Und natürlich sind auch Geldspenden willkommen.
Für Farhia ist die Untätigkeit das Schlimmste. "Das hier ist kein Haus, das ich selbst organisieren kann", sagt sie. "Ich habe nichts zum Lesen, nichts zu tun, keine Bewegung. Jetzt wird es kalt, ich habe keine Kleidung für solches Wetter - ich kann nicht hinausgehen."
Sie hofft, dass sie wenigstens bald Deutsch lernen kann, denn hier fällt ihr die Decke auf den Kopf: "Wenn ich in Österreich bleiben kann, kann ich mich selbst versorgen. Ich kann arbeiten, ich kann anderen Menschen helfen, wie ich es auch in Somalia getan habe. Ich kann für mich aufkommen, wenn ich nur eine Chance bekomme."