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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

10. 9. 2015 - 18:09

Destroyer - "Alles ist Fleisch"

Flausen in der Tröte: Ein Interview mit dem Mann, der das Saxophon wieder hip machte, damit auch noch große Erfolge feierte und auf seinem neuen Album doch wieder ganz andere Töne anschlägt.

Destroyer bei Merge Records

Jahrelang war Dan Bejar der Schattenmann der kandischen Indie-Szene. Als Destroyer schlug er über neun Alben musikalische Haken, war loses Mitglied bei den New Pornographers und spielte in Superduper-Groups wie Swan Lake. Dann packte er die Tröten aus, dudelte sich auf dem Meisterwerk Kaputt durch den Softrock der 80s und wurde plötzlich zum gefeierten Kritikerliebling.

Dan Bejar aka Destroyer beim FM4-Interview in Berlin

Christian Lehner

Dan Bejar aka Destroyer beim FM4-Interview in Berlin

Die Käse-Keyboards von "Kaputt" hat er mittlerweile wieder ins Pfandhaus zurückgetragen und für sein neues Album "Poison Season" gegen Streicher aus Fleisch und Blut eingetauscht. Geblieben ist ein gewisser Missmut gegen die Konventionen des irdischen und professiollen Daseins, wie zum Beispiel an einem herrlichen Sonnentag in Berlin Interviews zu geben (siehe Gesichtsausruck im Bild oben). Aber es wurde dann nach Darreichung von Kaffee doch noch interessantistisch:

Christian Lehner: Ich bin sicher nicht der erste, der das fragt, aber warum plötzlich das Saxophon in deiner Musik?

Dan Bejar: Weißt du was mich wundert?

Was?

Alle reden vom Saxophon, aber in Wahrheit war die Trompete viel präsenter auf "Kaputt". Aber heute kann das wohl niemand mehr so genau unterscheiden.

Vielleicht liegt es daran, dass das Saxophon im Rock'n'Roll prägender war?

Ich mag die Musik der 70er, Glam, David Bowie, Roxy Music, Lou Reed, Van Morrison. Ich mag die Rolling Stones und ihren Saxophonisten Bobby Keys. Bevor ich "Kaputt" angegangen bin, habe ich außerdem viel Jazz gehört. Das war wohl ausschlaggebend. So genau weiß ich das allerdings auch nicht, denn ich treffe solche Entscheidungen aus dem Bauch heraus.

Im Indie-Rock wurde das Saxophon bisher eher stiefmütterlich behandelt. Es gilt als cheesy.

Indie-Rock ist mir egal. Ich bewege mich zwar in dieser Welt, denke aber nicht sehr viel darüber nach. Möglicherweise liegt es an der Werbe- und Jingle-Musik der 80er. Sie war voller Tröten. Vielleicht war es das, wogegen meine Generation rebellierte. Was Musik betrifft, bin ich aber kein Moralist. Für mich gibt es keine bösen oder guten Instrumente, Sounds und Genres. Alles ist Fleisch.

Als Kid der 80er lernte ich das Saxophon über MTV-Musikvideos kennen. Sade, Corey Hart und diesen Typen namens Tim Capello aus Tina Turners Comeback-Band.

Der Bodybilder, der eingeölt mit nacktem Oberkörper und erhöht auf irgendwelchen Bühnen Unzucht mit seinem Instrument trieb? Dieses Bild wird man nie wieder los! Ich bin mir nicht sicher, ob er tatsächlich spielen konnte oder bloß ein angeheuerter Wrestler war. Tinas Album "Private Dancer" ist jedenfalls sehr powerful.

Der Song "Dream Lover" vom neuen Album wird vom Sound her stets mit "Born to Run" von Bruce Springsteen verglichen. Ist Clarence Clemons ein Einfluss?

Ich mag ihn überhaupt nicht, na gut, ein bisschen schon. Clarence Clemons war ein wichtiger Bestandteil der E Street Band, aber Bruce hat alle Solos für ihn geschrieben. So soll das Saxophon nicht sein.

Wie soll es denn sein?

Frei von Bruce Springsteen.

Wie machst du das mit deinen Leuten und dem Saxophon?

Na, ich lass sie erstmal selbst machen. Bei "Kaputt" kannten die Bläser vor der Aufnahme nicht einmal die Songs. Sie kamen ins Studio, setzten die Kopfhörer auf und legten los. Das neue Album "Poison Season" ist allerdings etwas geplanter, weil sich auch wesentlich mehr tut. Für die Arrangements war Joseph Shabason zuständig. Ich gebe ihm eine kleine Melodie. Die übernimmt dann entweder die Trompete oder die Flöte.

Kommt so die ganze Musik zusammen?

Ja, alles geht schnell. Ich gebe vor und die Jungs reagieren. Ich schreibe zwar stets auf einem Instrument, aber ich bin ein schlechter Instrumentalist. Deshalb greife ich auf Leute zurück, die das können. Ich muss mich nicht "ausdrücken" oder "verwirklichen" in meiner Musik. Das interessiert mich überhaupt nicht. Meine Aufgabe besteht darin, zu wissen, wer was kann.

Die Titel "Kaputt" und "Poison Season" verweisen auf Verfall, Degeneration, vielleicht sogar Tod. Haben die Alben etwas gemein?

Möglicherweise. Der Tod ist jedenfalls ein ständiger Begleiter. Auf "Kaputt" ist er leise und melancholisch, auf dem neuen Album ist er deutlicher zu spüren. Er ist realer, nicht so schemenhaft.

Eingefasst ist das Album von dem Stück "Times Square", das in verschiedenen Variationen am Anfang, in der Mitte und am Ende steht. Ein Triptychon auf dem Altar New York?

Nein, ich denke nicht. Das wäre ja ein Konzept und so etwas kriege ich überhaupt nicht auf die Reihe. Es ist nur so: Irgendwann kommt der Zeitpunkt, wo du für das Album eine Abfolge festlegen musst, eine Dramaturgie. Interessanterweise liest man darüber kaum etwas, obwohl es eine der schwierigsten und wichtigsten Aufgaben ist. Man hat ja in der Regel immer einen größeren Pool, als das, was schulssendlich am Album landet. "Times Square" ist das zentrale Stück der Platte. Allerdings ist es mit seiner Streicher-Orchestrierung viel zu lange geworden. Also habe ich es auseinandergenommen und den klassischen Teil zerlegt und das Herz in die Mitte genommen und dafür andere Songs überhaupt weggelassen. Beim Album "Streethawk: A Seduction" (2001, Anm.) habe ich das ähnlich gelöst. Und dann hatte ich diesen Konflikt.

Welchen Konflikt?

Na ja, der Mittelteil, diese easy going Version, das war, was ich mir erträumte für das Album. Das ist eine Repräsentation unserer Band, so wie wir auf der Bühne spielen. Da stellt sich eine organische Sorglosigkeit ein. Aber die Gravität hatte mich schnell wieder. Die verschiedenen Versionen gehen also auf große Distanz zueinander. Aber dieser Widerspruch gehört bei mir scheinbar dazu.

Destroyer - Cover Poison Season

Merge Rec

Destroyer - Cover Poison Season

Der Pressetext stellt "Poison Season" in eine Tradition mit "Sophisti-Pop", wie dort zu lesen ist, mit Bands wie Aztec Camera, Prefab Sprout oder Orange Juice. Sorry, aber für mich hört sich das überhaupt nicht so an.

Ja, das geht es mir genau so. Ich habe ein gewisses Faible für The Style Council, Bowie, Soul mit englischen Grooves und so weiter. Wenn man mich kennt, dann kennt man das mittlerweile, aber "Poison Season" hat ganz andere musikalische Ansätze.

Destroyer gastieren am 12. November in der Szene Wien.

Nicht nur, aber auch wegen der Times-Square-Triologie ist es in meinen Ohren eher ein New-York-Album ca. 1975 geworden, also bevor Punk da war.

Auch nicht unbedingt, aber ich hatte schon eine gewisse Vorstellung und die war im Gangster-Movie der 70er-Jahre zuhause - also im Film und der romantischen Vorstellung von einer Stadt aus dieser Zeit. Und ja, das könnte dann schon auch New York sein mit seinen zwilichtigen Gestalten und schwülen Nächten.

"Midnight Meet The Rain" ist so ein Song, dessen Instrumental direkt aus einem Blaxploitation-Movie gefallen sein könnte.

Mir schwebte nach "Kaputt" ein Salsa-Album vor. Aber daraus ist nichts geworden.

Warum?

Feigheit. Und ich hab's nicht so mit Konzepten, das hab ich dir ja bereits erzählt. Meine Songs sträuben sich gegen eine übergeordnete Idee. Das ist nun mal so. "Voices from Above" und "Midnight Meet The Rain" sind somit Überbleibsel eines gescheiterten Konzepts. Sie sind ja auch mehr Chase-Music als Salsa. Ich wollte diese wirbelden Percussions mit Filmmusik und Streichern kreuzen und dann ist man schnell bei "Superfly" (lacht). Aber eine Hommage oder ein Pastiche wollte ich nicht machen. Ich glaube, das habe ich auch nicht.

Für mich klingt es aber nicht nur wegen dieser Score-Bezüge nach New York. Da ist zum Beispiel der Song "Girl in a Sling". Der könnte auf "Songs for Drella" von Lou Reed und John Cale drauf sein. Eben auch wegen der Streicher und dem Feeling der Balladen.

Das ist cool, tolles Album, hab mich allerdings noch nicht so intensiv damit beschäftigt. Ich mag "Girl in a Sling" aber gar nicht so gern. Der Mix ist allerdings der beste der ganzen Platte.

In der Songtriologie "Times Square" begleiten wir Jesus, Judy, Jacob and Jack durch die Stadt. Das sind ja auch fast Archetypen der Lou-Reed’schen Songwriter-Kunst.

Ich dachte an biblische Figuren, die zu amerikanischen Allerweltsnamen geworden sind – bis auf Jesus natürlich. Aber Namen und Personen verwende ich, wie so viele Songschreiber, schon lange. Man kann durch sie sehr Spezifisches sagen. Das hilft ungemein. Und ja, ich habe bei "Times Square" tatsächlich ein wenig an die Street-Dramen von Lou Reed gedacht.

Was ich dich schon immer fragen wollte zu deiner Live-Performance: Ich habe bei der "Kaputt"-Tour das Konzert in der Webster Hall in New York gesehen. Du bist damals minutenlang am Bühnenrand gesessen, hast Alk getrunken und der Band beim Spielen zugesehen. Warum?

"Kaputt" war der bisher größte Einschnitt bei Destroyer. Viele Leute haben das vermutlich gar nicht bemerkt, weil sie mich erst seit diesem Album kennen, aber ich habe mehr oder weniger aufgehört zu singen. Wenn du "Kaputt" bewusst durchhörst, wirst du schnell feststellen, dass da kaum Gesangs-Parts drin sind. Klingt irgendwie nach Niederlage: Kaum höre ich zu singen auf, hören die Menschen zu. Und genau so halte ich es auf der Bühne. Ich werde jetzt nichts faken oder blöd herumtanzen. Also schweige ich. Außerdem beobachte ich die Band gerne dabei, wie sie sich so wegspielt. Das ist für mich der beste Teil der Show. Und das Publikum kann sehen, dass es bei einer Band nicht nur um den Frontmann geht.

Seit "Kaputt" hat man bei dir tatsächlich das Gefühl, dass du einem ins Ohr flüsterst.

Ja, so singe ich gerade. Vielleicht erinnert es dich deshalb ein bisschen an Lou Reed. Ich weigere mich derzeit anders zu singen. Deshalb mag ich die schnelleren Songs wie "Dream Lover" oder "Midnight Meet the Rain" auch gar nicht so gerne wie die ruhigeren Stücke.

Am 12. November gastierst du mit deiner Band in Wien. Gibt es einen Bezug zu Österreich?

Vor zehn Jahren war ich schon einmal mit Destroyer und Frog Eyes da. Und sonst beschäftige ich mich gerade ziemlich obsessiv mit dieser Schriftstellerin namens Ingeborg Bachmann. Sie war doch Österreicherin?

Ja, es gibt sogar einen nach ihr benannten Literaturwettbewerb im Land.

Und dann ist da noch Thomas Bernhard, der so ein konfliktbeladener Mensch war. Er lag doch im Dauer-Clinch mit seiner Heimat? Den mag ich auch, sein Stil, seine Reden. Du lachst? Das überrascht dich jetzt wohl gar nicht?