Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Thursday Edition, 10-09-15. "

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

10. 9. 2015 - 15:09

The daily Blumenau. Thursday Edition, 10-09-15.

Kann die österreichische Liga es dem Nationalteam gleichtun? Was fehlt zum Weg in die Topklasse?

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

#fußballjournal15

1

Österreichs Fußball-Nationalmannschaft hat sich mit einer fast makellosen Bilanz vorzeitig (und erstmals) für eine Europameisterschafts-Endrunde qualifiziert und nebenbei die Top Ten der europäischen Nationalteams erreicht. Mit hohen Anstrengungen, die allerdings nur vier Jahre gebraucht haben um zu fruchten; bzw. aus einer mittelmäßigen Basis das Bestmögliche zu erreichen.

Jetzt stellt sich, vor allem bei einem weniger kundigen Mainstream-Publikum, das sich inmitten der aktuellen Euphorie umschaut, recht laut folgende Frage: Kann derlei im anderen Bereich des großen öffentlichen Interessen, in dem des Vereinsfußballs, auch gelingen?

Die Antwort ist recht simpel: yes, but no.

2

Um eine Nationalmannschaft in lichte Höhen zu pimpen bedarf es nur weniger Voraussetzungen, um dann mit fokussierter Konzentration auf ganz wenige Bereiche und, wenn man auf Nachhaltigkeit verzichten mag, auch in gar nicht unendlich viel Zeit, viel zu erreichen.

Der Vereins-Fußball, auch der Erfolg eines einzelnen Vereins, hängt in einer deutlich komplexeren Struktur, befindet sich in viel direkterer Geiselhaft der grundsätzlichen Einstellung einer ganzen nationalen Branche und ihres internationalen Umfelds.

3

Das ÖFB-Team konnte mit einer halbwegs gesunden Basis (verbesserte Nachwuchsarbeit, Akademien, Wille zur Veränderung zumindest in Teilen des Verbands) und einer gelungenen Personalentscheidung (Ruttensteiner holt Koller) deshalb den Turnaround schaffen, weil man sich gegen ungesunde Außeneinflüsse abschottete und danach die fokussierte Arbeit mit/in einer überschaubaren Gruppe zählte. Mit der Zeit und den sich einstellenden Erfolgen holte man nach und nach andere, nicht ganz unwichtige Player an Bord bzw schloss zumindest Stillhalteabkommen.

Das Nationalteam kann in Österreich deshalb autark agieren, weil seine öffentliche Bedeutung so hoch ist, dass offensichtliche Behinderungen nicht möglich sind.

4

Die Vereine hingegen sind in einem Netz der Interdependenz gefangen, aus dem es nur gemeinsames Entrinnen gibt. Es ist ein bisserl wie der Unterschied zwischen "Vertriebene am Bahnhof versorgen und durchwinken" und "Asylanten integrieren". Auf Club-Ebene bedarf es eines Marsches durch die Mühen der gro0en Ebene. Und das will keiner der Player auf sich nehmen. Weil's "eh auch so" geht, weil das Fußball-Biz auch so Profit abwirft, weil die sportliche Hochwertigkeit vielleicht nur zwei, drei Visionären etwas bedeutet. Und die sind unter den hunderten Akteuren dann eben eine Minderheit.

5

Das Nationalteam hat den großen Vorteil, sich nicht auf die Spieler, die die heimische Liga hervorbringt, stützen zu müssen. Moderner Fußball im Post-Bosman-Zeitalter bietet die Möglichkeit, sich früh/rechtzeitig im hochklassigen Fußball-Ausland weiterzubilden. Die erfolgreichen europäischen Nationalteams jenseits der Top 4-Ligen (Spanien, Deutschland, England, Italien) speisen sich in hohem Maß aus dem Können von Legionären in meist genau diesen Ligen. Vereine von Zulieferer- und Ausbildungsligen wie der österreichischen können sich diese Expertise nur über zurückgeholte Ex-Legionäre oder gute ausländische Spieler holen, während sie zeitgleich Spieler ausbilden, die dann ihren Weg im Ausland machen. Diese Mischung zu balancieren ist eine weitaus komplexere Aufgabe als die des Teamchefs aus bereits mit ausreichenden Basis-Wissen/Können versehene Legionäre zu einer Einheit zu formen.

6

Zudem ist auch die hohe Fluktuation ein Problem, wie hier an praktischen Beispielen belegt wird. Nach vier Jahren hat sich ein Verein personell quasi runderneuert, während ein gutes Nationalteam (wie aktuell das österreichische) den Stamm beibehält. Dieses Problem ist wiederum keines der kleinen Ligen, sondern hat seine Ursachen im Turbokapitalismus, also unserem Gesellschaftssystem; da ist nichts, was der Fußball lösen kann.

Unter anderen daran scheitern etwa auch Vereine, deren Konzept zur Qualitätssteigerung dem des ÖFB unter Koller durchaus nahekommen. Red Bull Salzburg etwa, das in punkto Ausbildung, Philosophie, Strategie und modernen Trainertum österreichweit best practice darstellt, verheddert sich seit Jahren in zu hoher Fluktuation und nicht nachvollziehbaren Rücksichtnahmen auf spezielle Konzerninteressen und ähnelt darin eher dem nigerianischen als dem österreichischen Verband.

7

Die halbwegs ausfinanzierten Traditionsklubs (Rapid, Austria, Sturm) versuchen gerade, sich ökonomisch gut aufzustellen um in einer zunehmend der Unterhaltungs-Industrie angeschlossenen Fußball-Welt nicht komplett abgehängt zu werden, weshalb die sportliche Entwicklung (im Vergleich zu Salzburg ist das deutlich sichtbar) zu kurz kommt. Der Rest der Vereine, die unter halbwegs professionellen Bedingungen arbeiten können, leben und denken für/mit der Hand in den Mund. Die wenigen Ausnahmen (etwa in Vorarlberg oder dem Innviertel), die auch Gehirnschmalz in die sportliche Abteilung ihrer Vereine investieren, kämpfen dafür ums wirtschaftliche Auskommen. Dazu kommen gegenseitige Abhängigkeiten, was Medien-Kooperationen, Liga-Entscheidungen und Verflechtungen mit Sponsoren sowie lokaler/regionaler/nationaler Politik betrifft.

8

Der österreichische Vereinsfußball funktioniert also wie vieles in Österreich; wie ein immerwährendes Provisorium. Ein solches Konstrukt ist nicht reformierbar.

Und auch zehn individuell gesetzte Personalentscheidungen der Marke Koller würden keine nachhaltigen Markierungen setzen können.

9

Jetzt zum leicht hoffnungsfrohen Teil: zehn oder auch nur fünf mutige Personen an den Schaltstellen könnten das System jedoch so stabilisieren, dass es sich - wie etwa das Nationalteam in der verpassten WM-Quali - in einem oberen europäischen Mittelfeld festsetzt. Dazu würde es zumindest zwei, eigentlich drei regelmäßige Teilnahmen in den Gruppenphasen der europäischen Bewerbe brauchen; aber auch die Stabilisierung von publikumsträchtigen Traditionsvereinen in der obersten Spielklasse, und eine sinnvolle, von Gemeinden/Ländern/Bund gestützte Infrastruktur-Initiative.

Zudem muss es zu einer Lösung bei den beiden seit Jahren schwelenden Übergangs-Problemzonen kommen. Das ist zum einen der Übergang von Amateur- in den Profi-Bereich: da wird aktuell deutlich zu viel umgangen und gelogen, schlecht geregelt und nicht ausgeglichen. Das ist zum anderen der Übergang von den Junioren in die Kampfmannschaften: auch da ist die aktuelle Lösung mit der Ersten Liga nicht mehr als ein verkrampftes Alibi.

10

Wenn in all diesen Bereichen Fortschritte erzielt werden und wenn dann auch noch die Altinternationalen/Experten-Mafia, die im Verbund mit dem Boulevard Trainer bestimmen und abschießen, Experimente zerstören und Mutiges unterbinden kann, entmachtet wird und sportlicher Fortschritt in die bierschwangeren Platzkantinen einzieht, ist ein Aufschwung im europäischen Ranking, in die Höhen wo aktuell etwa die Schweiz oder Belgien (also rund um Platz 10) sich befinden, durchaus möglich.

Allerdings ist dieser, schwer zu erzielende Aufschwung nicht einmal ansatzweise so spektakulär vermittelbar wie der vergleichsweise leicht zustandegebrachte Einzug des ÖFB-Teams unter die Top 10.

11

Und genau hier schlägt das "but no" hinter dem "yes!" zu. Denn kleinere, am Boulevard oder Stammtisch nicht verkaufbare Erfolge, die noch dazu einer deutlich höheren Anstrengung bedürfen, werden in Österreich erst gar nicht angegangen.

Die Branche genügt sich da selber. Die will weiterhin von Wundern leben, in Mirakeln baden, nicht systematisch aufbauen, sondern himmelhoch jauchzen und dann wieder zu Tode betrübt sein. Auch weil das einer Öffentlichkeit, die nach genau diesen Parametern (also eher im Hättiwari als im "Was könnte alles sein?") lebt, besser zu erzählen ist.