Erstellt am: 10. 9. 2015 - 12:36 Uhr
"Im Kino ist selten was zuviel!"
Bitte am Anfang bloß keine trostlosen Bilder aus der knochenharten Kindheit des Protagonisten, denke ich mir, bevor dieser Film beginnt. Bitte keine chronologische Biopic-Struktur, die alle wichtigen Phasen der Titelfigur der Reihe nach abhakt. Bitte aber auch keinen zwanghaften Sozialrealismus, der eitlerweise mit der Aura der Wahrhaftigkeit kokettiert.
Meine Bedenken erweisen sich allesamt als unbegründet. "Jack" startet überfallsartig, im wahrsten Sinn des Wortes, mit einem Tankstellenraub, der die beiden jungen Täter in eine rauschartige Stimmung versetzt und auch den Zuseher mitreißt. Der Strudel aus Neongeflacker, Adrenalin, gehetzten Blicken und dem euphorischen Score von Naked Lunch stellt klar: Hier haben wir es nicht mit einem Film zu tun, der sich an die stillen Gebote des streng subtilen Austrokinos hält. Diese Eröffnungssequenz nimmt keine Gefangenen.
Was auch für Jack himself gilt, der nach dem Überfall mit seiner Freundin eine junge Mitwisserin in einen dunklen Wald fährt. Dort verübt er dann einen grausamen Mord, für den der echte Jack Unterweger 16 Jahre Haft verbüßte. Man muss diese Unterscheidung zwischen der Leinwandfigur und dem Vorbild aus der Wirklichkeit bis zum Ende des Films im Kopf behalten, denn "Jack" ist ein Stück Fiktion, kein pingeliges True-Crime-Dokument.
epo-film
Ambivalenz und Überhöhung
Dieser Ansatz, der im angloamerikanischen Raum gängig ist und auch hinter irrlichternden Meisterwerken wie "Badlands" oder "Henry – Portrait of a Serial Killer" steht, ist es, der einige Kritiker nachhaltig zu verwirren scheint. Dabei wirkt gerade die Künstlichkeit vieler Szenen erfrischend, in einem akribisch auf Realismus getrimmten Film wäre die theatralische Performance von Johannes Krisch als "Jack" auch fehl am Platz.
Aber 2015 hat sich das Kino eben längst freigespielt von den Zwängen klassischer Logik und Dramaturgie, von ehernen Genregesetzen einerseits und feinsinnigen Kunstregeln auf der anderen Seite. Elisabeth Scharang knüpft auf ihre eigene Weise hier an, schnappt sich den Fall des berüchtigten Jack Unterweger, und man muss gar nicht alles an diesem Film mögen, um zu sagen: Hier fügt jemand dem österreichischen Kino, nach "Das Finstere Tal" und "Ich seh, Ich seh", ein weiteres Werk an, das sich für Plakativität im besten Sinn nicht geniert.
Dabei, das zeigt die Geschichte mörderischer Verfilmungen (der Autor dieser Zeilen durfte darüber einmal ein Buch verfassen) sind es oft gerade die abgehobensten, stilisiertesten Streifen, die am nächsten an kriminellen Energien dran sind. Und wie die zentralen dieser Filme liefert auch "Jack" keine Antworten. Elisabeth Scharang versucht sich dem Phänomen Jack Unterweger einfach nur von allen Seiten anzunähern, blitzlichtartig, impulsiv, abwechselnd entfesselt und zurückhaltend, inklusive all der Widersprüche, die zur Figur und dem Fall gehören.
Interview mit Elisabeth Scharang
Der wahre Fall
Geboren am 16. August 1950 in Judenburg in der Steiermark, hatte Jack Unterweger seinen Vater, einen US-Besatzungssoldaten, nie kennengelernt. Als Kleinkind kommt er im Februar 1952 zu seinem Großvater nach Kärnten, wo er eine Kindheit inmitten von Prostituierten, Prügeln und Alkoholdunst verlebt. 1958 wird Unterweger zu Pflegeeltern gegeben, 1962 in einem Jugendheim untergebracht.
Es folgt eine kriminelle Adoleszenz voller Gewalt, Frauenhass und Zuhälterei, mit der ersten Verurteilung Jacks 1966 wegen Diebstahls, was ihm eine Einweisung in eine Erziehungsanstalt einbringt. Nach seiner Entlassung ein Jahr später arbeitet er in den verschiedensten Jobs. Im Dezember 1974 tötet Jack Unterweger ein 18-jähriges Mädchen und er wird zu lebenslanger Haft verurteilt.
In der Zelle schreibt er sich die Jahre der Isolation und Einsamkeit von der Seele, er knüpft Kontakte nach draußen, zu den Autoren rund um das Grazer "Forum Stadtpark" und sein autobiographischer Roman "Fegefeuer" wird mit großem Erfolg publiziert. Der Autor Unterweger gibt nicht auf, in Briefen seine Rückführbarkeit in die Gesellschaft zu betonen, und tatsächlich wird er 1990 bedingt aus der Haft entlassen. Das Musterbeispiel für Resozialisierung schreibt und inszeniert nun Theaterstücke, arbeitet als Journalist für Presse und Hörfunk.
Am 15. Februar 1992 erfolgt ein drastischer Einbruch in diese beinahe heile Freiheitswelt - ein Haftbefehl wegen Mordverdachts reißt den Mediendarling von seinem Erfolgsweg. Unterweger flüchtet in die USA, wo man ihn aber stellt und ihm dann, zurück in Österreich, eine ganze Mordserie an Prostituierten zu Lasten legt. Die Indizien gelten jedoch als mangelhaft und der vom Gefängnis gezeichnete Autor beteuert bis zuletzt seine Unschuld.
Im Juni 1994 wird Jack Unterweger jedenfalls des neunfachen Mordes schuldig gesprochen, aber knapp sechs Stunden nach der Urteilsverkündung erhängt sich Österreichs "berühmtester" vermutlicher Serienkiller in seiner Zelle. Das endgültige Geheimnis um seine Taten nimmt er mit ins Grab.
Einen typisch österreichischen Film zum Thema Jack Unterweger, den stellt man sich klischeehaft als Sozialdrama vor: in strengen, eisigen Bildern, ohne Musik, ganz puristisch. Dein Film ist aber das Gegenteil. Er ist pulsierend, plakativ im besten Sinne, teilweise fast schon ein Genre-Thriller. Packend gefilmt und voller Musik von Naked Lunch. Wie kam es zu dieser Herangehensweise?
Elisabeth Scharang: Ich sehe mich eher im amerikanischen Independent-Kino sozialisiert, das ist das, womit ich aufgewachsen bin. Ich bin keine akademische Filmemacherin, sondern habe alles learning by doing gemacht. Beim Independent-Kino fühle ich mich, was die Bilder betrifft, sehr viel mehr zu Hause. Außerdem hatte ich einen Kameramann, der sehr viel in Amerika arbeitet und eine große Bilderwelt mitgebracht hat, sehr beeinflusst von Terrence Malick. Und ich erzähle die Geschichte von Jack Unterweger, der ja schon von der Figur her so eine große Sehnsucht nach Amerika hatte, was man an seinen Kleidern gesehen hat, an der Musik, die er gehört hat - er hatte ein großes Faible für amerikanische Oldies. All das ist zusammengekommen, sodass ich mir gedacht habe, da muss man von den Bildern, vom Licht und von den Farben her in die Vollen gehen. Und ich wollte einen Film machen, wo österreichische SchauspielerInnen mal so richtig gut ausschauen.
Meine zweite Frage nach Vorbildern ist damit eigentlich schon fast beantwortet. Vorbild ist also das amerikanische Genrekino, das noch irgendwie mit dem Kunstkino flirtet – oder?
Es waren eigentlich zwei Filme, die ich mir herausgenommen habe. Der eine ist einer meiner Lieblingsfilme: "Biutiful". Wenn du dich erinnerst, da kommt diese Schneeszene im Wald vor, diese Sterbegeschichten, Natur in das harte Leben hineingezogen. Das zweite lag ein bisschen auf der Hand: "Drive". Obwohl er nicht einer meiner Lieblingsfilme ist, hat er einfach unglaublich gute Szenen, wie den Anfang zum Beispiel. Wir haben – ganz simpel eigentlich – diese eine Jacke nachgebaut. Wir haben so lange über Klamotten nachgedacht. Kleider erzählen so viel. Zuerst denkt man sich: So ein glänzender Blazer, das ist zu viel. Aber im Kino ist selten etwas zu viel! Man spielt meistens viel zu viel runter und geht nicht in die Vollen.
In Amerika ist ja auch diese Zuspitzung oder Überhöhung sehr gängig. Da gibt's Filme wie "Badlands" oder "Henry – Portrait of a Serial Killer", die greifen einen wahren Fall auf, überhöhen ihn aber total oder schieben ihn in eine andere Richtung. Bei uns ist das sehr ungewöhnlich. Bist du da schon vorbereitet auf negative Reaktionen? So in die Richtung "Der echte Jack Unterweger taucht in dem Film ja gar nicht auf"?
Was ich besonders lustig finde, ist: Du hast einen Stoff, und dann machen dir Menschen, die viele Filme schauen, Vorschläge: Das und das müsste man so und so machen. Wenn du dich anders entscheidest, dann nehmen sie es dir a) übel und b) heißt es dann, du hast dich nicht entschieden. Weil ich habe eine sehr klare Haltung in dem Film, aber es ist nicht die, die manche Leute wollen. Damit kommen sie nicht so gut zurecht, etwas aufzumachen, eine Fiktion draus zu machen. Gerade in Österreich. Ich habe heute von einem Kanadier eine Kritik bekommen, und die ist richtig toll. Weil der sagt: Lesen sie bloß nichts vorher über den Film! Es ist völlig egal, ob das eine wahre Geschichte hat oder nicht, schauen Sie sich nur den Film an!
Kommen wir aber trotzdem kurz zur realen Person: Woher kommt diese Faszination für Jack Unterweger, noch immer, lange nach seinem Tod? Und woher kommt deine persönliche Faszination?
Ich persönlich habe keine Faszination für die Person Jack Unterweger! Bevor es FM4 gab, gab es ja ZickZack und Music Box auf Ö3. In dieser Zeit habe ich angefangen beim Radio zu arbeiten und habe Jack Unterweger für drei Sendungen ZickZack kennengelernt. Das war fürs Drehbuch-Schreiben sehr wichtig! Weil ich dadurch nicht ständig in ein Superklischee abgedriftet bin. Er war einfach viel biederer, als man sich das vorstellt! Was mich viel mehr als seine Person fasziniert oder interessiert hat, vielleicht aufgeregt hat, waren die vielen Fragen, der Umgang mit dem Prozess. Also der Fall Jack Unterweger. Dass ich da am Schluss, als Nicht-Juristin, so viele offene Fragen habe, das fand ich komisch. Und offene Fragen sind immer ein sehr guter Ausgangspunkt für Recherche. Das war eigentlich das, was mich angetrieben hat. Was die Faszination betrifft: Wenn du dir die Medienberichterstattung in den letzten Wochen anschaust, auch in den großen Magazinen und Zeitungen, die ist fast ein zu eins wie vor zwanzig Jahren. Dieses Spiel mit dem Bösen, was auch immer das heißt. Man will es nicht in sich selber suchen, man lagert es aus, man gibt ihm ein Gesicht, man entmenschlicht es auch. Das ist ja schon etwas, was mir auch im Vorfeld immer wieder vorgeworfen wurde: Wie kannst du über so jemanden - ich sage bewusst nicht Menschen, weil das wird rausgenommen – einen Film machen? Wieso greifst du das an, dieses Arschloch, der so viele Frauen umgebracht hat. Was ein grotesker Zugang ist, bei einem fiktionalen Film!
Jack ist nicht nur ein Film über Jack Unterweger, sondern vor allem über die Frauen in seinem Umfeld, die sich für ihn interessiert haben, mit ihm zusammen waren. Diese Frauen waren die für dich das zentrale Thema?
Die Frauen waren die Figuren, die mich am meisten interessiert haben. Jack habe ich sehr lange nicht zu fassen gekriegt. Vielleicht auch aus verständlichen Gründen – es ist nicht so einfach, in eine männliche Figur hineinzuschlüpfen. Diese unterschiedlichen Frauenfiguren waren zuerst da und greifbar. Über die habe ich dann eigentlich nach und nach diese Figur Jack zu fassen gekriegt. Und den letzten offenen Teil habe ich dann einfach an Johannes Krisch übergeben und gesagt: Diese leeren Flächen, die interpretierst du jetzt so, wie du das siehst.
Es kristallisiert sich im Gegenstück zu den Frauen so ein typisches Siebziger-/Frühe-Achtziger-Männerbild heraus – ich meine nicht bloß den Mörder, ich meine diese Macho-Figuren grundsätzlich: Glaubst du, dass es diese Jack-Figuren, abseits des ganzen Kriminellen, in der Form noch gibt? Oder sind die am Aussterben?
Schwer zu sagen. Ich glaube schon, dass es sie noch gibt, aber mehr im Spiel. Ich glaube, Männer haben das heutzutage sehr viel mehr gelernt, mit diesen Rollen zu spielen.
Aber was macht die Faszination für Frauen aus? Warum schreiben die einem Jack Unterweger oder in Amerika einem Ted Bundy Briefe in die Todeszelle? Was ist deine persönliche Erklärung dafür?
Ich weiß es nicht genau. Warum Frauen, glaube ich, an Männer im Gefängnis Briefe schreiben, hat schon auch damit zu tun, dass die nicht wegkönnen. Und dass das meistens Beziehungen sind, die nicht eingelöst werden müssen. Das ist ziemlich sicheres Terrain, auf dem man sich da bewegt. Und warum Frauen oft Groupies oder Fans von Männern sind – das kann man sich auch in der Musik fragen – das ist sehr oft nicht zu verstehen. Aber auch das sollte man nicht so ernst nehmen. Ich glaube, auch da geht es oft um ein Spiel. Das sind ja nicht die Männer, mit denen man dann eine Familie gründen möchte. Sondern das ist ein Spielplatz, wo man manches darf, was man sonst im Alltag nie tun würde.