Erstellt am: 14. 9. 2015 - 10:55 Uhr
Stationen der Flucht
von Margit Laufer und Michael Fiedler, Mitarbeit: Miriam Beller, Chrissi Wilkens, Sammy Khamis, Jörg Winter
Libanon
Warum bleiben die Flüchtlinge aus Syrien nicht in der Region? Diese Frage hört und liest man unentwegt und sie ist recht einfach zu beantworten: Tun sie doch eh.
Der größte Teil der geflohenen Syrerinnen und Syrer bleibt sogar im Land, mehr als siebeneinhalb Millionen Binnenflüchtlinge gibt es dort - Menschen, die ihr Haus oder ihre Wohnung verlassen mussten, das Land aber (noch) nicht.
Gleich danach kommen die Nachbarländer, am stärksten betroffen ist wohl Libanon, wo bereits Anfang des Jahres 1,2 Millionen registrierte Flüchtlinge gelebt haben. Heute sind es sicher mehr, vermutlich um die 1,5 Millionen.
Bruno Atieh, der Leiter des Caritas Flüchtlingszentrums in Libanon, erzählt uns über die Situation im Land und die Perspektiven der Exil-SyrerInnen:
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Alle verwendeten Karten:
© 2015 • Omniscale, Kartendaten: OpenStreetMap
(Lizenz: ODbL)
Wer die Möglichkeit hat, verlässt das Land so schnell wie möglich wieder. Doch Libanon grenzt im Norden und Osten an Syrien selbst, im Süden an Israel, mit dem es bereits öfter zu kriegerischen Konflikten gekommen ist.
Manche syrischen Flüchtlinge in Libanon versuchen über Land oder über das Meer in die Türkei zu kommen - beide Wege sind gleichermaßen gefährlich.
Türkei
Die Türkei hat momentan mit Abstand die meisten Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, insgesamt mehr als 1,8 Millionen. Für die hauptsächlich kurdischen Flüchtlinge ist der Staat, der gerade Krieg gegen kurdische Truppen, die in Syrien gegen Assad und den sogenannten Islamischen Staat kämpfen, kein sicheres Land. Sie wollen weiter. Wer aber seine Situation verbessern möchte - ausreichend Nahrung, medizinische Versorgung, die Hoffnung auf eine feste Unterkunft und ein faires Asylverfahren - der oder die muss viel weiter.
Jörg Winter, ORF-Korrespontent in Istanbul, erklärt die Situation in der Türkei:
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Griechische Inseln
Momentan werden die der Türkei nächsten griechischen Inseln von noch mehr Flüchtlingen angesteuert, als in den vergangenen Monaten ohenhin schon. 22.500 waren es innerhalb von nur drei Tagen vergangene Woche. Die Überfahrt ist nur mehr bis Ende Oktober halbwegs sicher möglich, danach verhindert das raue Winterwetter zumindest die Fahrt in Schlauch- und kleinen Holzbooten. Wer es bis dahin nicht geschafft hat, sitzt bis zum Fühjahr in der Türkei fest oder muss sich einen Weg über Land suchen.
Constance Theisen ist bei Ärzte ohne Grenzen für humanitäre Fragen zuständig und Expertin für Griechenland und den Balkan. Die meiste Zeit verbringt sie in Athen, ist derzeit aber auch viel an der griechischen Grenze zu Mazedonien oder auf den griechischen Inseln Kos oder Lesbos unterwegs:
Die in sozialen Medien verbreiteten Gerüchte, viele Flüchtlinge würden ansteckende Krankheiten oder Seuchen nach Europa einschleppen, kann Constance Theisen ausräumen: "So etwas haben wir in unseren Kliniken überhaupt nicht festgestellt."
Von Kos oder Lesbos aus geht es nach einer Registrierung mit Fähren und vom griechischen Staat zur Verfügung gestellten Schiffen weiter nach Piräus, dem größten griechischen Hafen in der Nähe von Athen. Alleine von Lesbos haben griechische Behörden vergangene Woche nach einer totalen Überfüllung der Insel mehr als 29.000 Flüchtlinge mit Schiffen evakuiert.
Mazedonien
Auch Griechenland ist für die meisten Flüchtlinge keine Option. Das Land ist von der Wirtschaftskrise angeschlagen, steht unter enormem Druck bei quasi allen Ausgaben zu sparen. Menschen aus Syrien bekommen zwar relativ leicht Asyl, aber was nutzt das in einem Land, in dem es für sie weder ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln oder Medizin, noch die Chance auf Arbeit gibt.
In Athen sich selbst überlassen reisen viele über Thessaloniki weiter in das Dorf Idomeni (Ειδομένη) an der mazedonischen Grenze. Unsere Korrespondentin Chrissi Wilkens beschreibt ihren Weg:
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Serbien
Auch wenn Serbien vor allem dank diverser NGOs Flüchtlinge zumindest notdürftig unterbringen kann, so teilen der Staat und die Flüchtlinge die selbe Sorge: Dass sich die Europäische Union beginnend mit Ungarn völlig abschotten und Serbien so zur Sackgasse des Fluchtweges werden könnte.
Über die Situation in Serbien haben wir mit der Pressesprecherin des UNHCR für die Region, Melita Šunjić, gesprochen:
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Ungarn
Ungarn fährt eine extrem asylfeindliche Politik. Die Regierung Orban hat die Grenze zu Serbien bereits beinahe vollständig mit einem Zaun geschlossen. Nur bei dem Ort Röszke, wo Bahngleise über die Grenze führen, befindet sich eine Lücke. Am Dienstag soll diese Lücke geschlossen werden und ein Gesetz in Kraft treten, das den Grenzübertritt zur Straftat macht.
Fred Lauener von der Caritas über die Lage in Ungarn:
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BeobachterInnen gehen davon aus, dass die sogenannte Westbalkanroute, wie wir sie hier beschreiben, ab Dienstag, 15.09. kaum mehr benutzt wird. Die wahrscheinlichste Alternativroute liegt weiter westlich, führt durch Kroatien und Slowenien und mündet schließlich in der Steiermark in Österreich. Tatsächlich verschiebt sich der Strom bereits nach Süden - aus Ungarn kommen immer mehr Flüchtlinge nicht mehr in Nickelsdorf, sondern in Heiligenkreuz an.
Österreich
"Wir wollen weiter!"
Claus Pirschner von einem Lokalaugenschein an der österreichisch-ungarischen Grenze in Nickelsdorf.
Syrische Flüchtlinge, die es nach Österreich geschafft haben, sind an sich in Sicherheit. Momentan wird niemand nach Ungarn oder Griechenland abgeschoben, als SyrerIn bekommt man fast sicher Asyl. Natürlich: In Traiskirchen leben immer noch 1500 Menschen in Zelten, österreichweit sogar über 2500, dazu kommen all jene, die noch irgendwo zwischen Nickelsdorf und Freilassing unterwegs sein sollen - und die angeblich bis zu 20.000, die in der Nacht seit Sonntag gekommen sein sollen. Noch immer läuft die Versorgung der neu Ankommenden zu einem großen Teil über Freiwillige Helferinnen und NGOs und unterstreicht das Versagen des Staates.
Bis zu 150 freiwillige Helferinnen und Helfer sind täglich alleine am Wiener Hauptbahnhof für die ankommenden Flüchtlinge im Einsatz. Ata Hosseini ist einer davon. Er ist vor mehr als zehn Jahren von Afghanistan nach Österreich gekommen und weiß, mit welchen Bedürfnissen die Flüchtlinge nach Österreich kommen:
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Deutschland
Seit Anfang September hat Deutschland - auch durch das völlig Öffnen der Grenzen und den Appell von Kanzlerin Angela Merkel - insgesamt etwa 63.000 Flüchtlinge aufgenommen. Am Wochenende sind die Grenzen wieder dicht gemacht worden, zu viele waren es, die in den vergangenen Tagen in die erste Anlaufstadt München gekommen sind.
Der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer begrüßt die Entscheidung zum Schließen der Grenzen mit einem fragwürdigen Argument: "Ich habe heute gebeten, dass wir für die 14 Tage des Oktoberfestes in geeigneter Form Vorsorge treffen, dass München nicht dieser Anlaufpunkt bleibt, wie er zur Zeit ist." Auf Twitter ist von der #Oktoberfestung zulesen, so manche fordern ein #Bloktoberfest.
Wir sprechen mit Marina Lessig aus dem Organisationsteam der Helferinnen in München:
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Auch Deutschland ist nicht für alle Flüchtlinge das gewünschte Zielland, sie wollen nach Dänemark, Schweden, Großbritannien. Doch die Tore ins Zentrum der Festung Europa schließen sich wieder. Weil Deutschland die Grenzen schließt, tut das auch Österreich, Ungarn sowieso - doch selbst die brutalen Maßnahmen Ungarns werden nicht helfen - kein Zaun, kein Stillstand des Bahnverkehrs, keine Menschenkette des Bundesheeres wird die Verzweifelten aufhalten.