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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 9. 2015 - 16:10

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 09-09-15.

Warum klappt jetzt alles, was lief jahrzehntelang schief? Ursachenforschung rund um die gestrige EM-Qualifikation des ÖFB-Teams.

The daily blumenau hat im Oktober 2013 die Journal-Reihe (die es davor auch 2003, '05, '07, 2009 und 2011 gab) abgelöst. Und bietet Einträge zu diesen Themenfeldern.

#fußballjournal15

Siehe auch Extra Edition, 08-09-15. Österreich macht in Schweden die EM-Teilnahme klar. Und das nicht irgendwie, sondern mit einer vorbildhaften und hoffentlich stilprägenden Leistung

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Es geziemt sich ein Griff in die Geschichtskiste, in den Herbst 2011: Hier die erste Erwähnung von Koller in der Analyse der vergeigten EM-Quali für 2012, da die erste vorsichtige Koller-Einschätzung und hier der erste Blick auf die österreichische Taliban, die gegen Koller in den Djihad zog. Und dann die Analyse von Kollers Debüt im November.

Und hier noch einmal die Sudeleien der kollerkritischen "Expertenrunde" aus dem Oktober 2011

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Wie geht's jetzt weiter?

Noch zwei Spiele in der Quali (Montenegro auswärts bzw Liechtenstein daheim am 9. & 12.10.), dann im November ein Test, wohl gegen Kollers Heimat. Am 12. 12. Auslosung der Euro in Paris, Österreich ist fix in Topf 2, kriegt also nur einen wirklich starken Gegner zugelost, und das, wo die vier besten Gruppendritten auch ins Achtelfinale kommen...

Die Frühjahrs-Meisterschaft 2016 wird wohl gedrängt stattfinden, Start wohl schon am 6. Februar, damit man Mitte Mai fertig ist, auch das Cupfinale muss vorverlegt werden.

Das ÖFB-Team kriegt '16 noch einen Zwischen-Lehrgang (21. -29.3., mit der Möglichkeit offizieller Test-Länderspiele). Die Vorbereitung wird wohl am 23., vielleicht aber auch schon am 16. Mai starten, wiewohl die offizielle Abstellungs-Pflicht erst am 30. 5. erfolgt.
Der Kader muss am 31. Mai feststehen. Die EM-Endrunde beginnt am 10. Juni, mögliche Spielorte sind Bordeaux, Lens, Lille, Lyon, Marseille, Nizza, Paris, Paris-St. Denis, St. Etienne und Toulouse. Das Achtelfinale startet am 25.6., das Finale wäre am 10. Juli.

Letztlich könnte man die Beantwortung der Titelfrage auf ein Wort runterbrechen: Koller.

Die erstmalige Euro-Qualifikation ist ausschließlich Marcel Koller zu verdanken.
Genauer: seiner (damals verfemten, hochumstrittenen) Bestellung.

Nicht, weil der vorsichtig wirkende Schweizer ein handauflegender Wunderheiler wäre, sondern weil er eines ist und eines kann: Er ist kein Österreicher; und er kann modernen Fußball lesen, analysieren, lehren und umsetzen.

Warum konnte/kann Koller?

Und das ist etwas, was eben nur ganz, ganz wenige Österreicher zustandebringen - younamethem, Stöger, Hasenhüttl, Kogler, Canadi, Hütter... - und selbst bei ihnen hätte eine ÖFB-Teamchefbestellung ein gewaltiges Restrisiko beinhaltet. Weil sie sich (der eine schwerer als der andere) dem österreichischen Fußball-Haberertum nicht entziehen können und dort Kompromisse geschlossen hätten, wo Koller blindlings durchmarschiert ist, in Bereichen Rücksichten genommen hätten, wo ein Zuagrasta gar nicht auf die Idee gekommen wäre.

Die andere Einschränkung: Die Qualifikation wäre natürlich nicht jedem ausländischen Trainer gelungen - im Gegenteil. Die Zahl der (gerne deutschen und ex-jugoslawischen) Coaches, die sich in Österreich schnell an das Niveau und die Mauschel-Kultur anpassen und bewusst Minderleistung abliefern, weil sie merken, dass sie damit locker durchkommen, ist Legion. Die im Herbst 2011 drohende Wahl von Franco Foda etwa hätte den Weg nach unten noch einzementiert.

Der richtige Typus aber, der work ethic, einen geschärften Blick auf internationale Anforderungen, Wissen um Teambuilding und Trainingsmethoden in sich vereint, der nicht bereit ist, sich an das intellektuell unwürdige österreichische Fußball-Schlaucherltum anzupassen und der imstande ist, die schulterklopfenden Lobbyisten und Einflussnahmewoller abzuschütteln, der hatte zum Zeitpunkt der Kollerschen Bestellung eine gute Chance.

Es gab nämlich zwei weitere, günstige und hochwichtige Voraussetzungen.

Zum einen war der ÖFB, der Verband (in Person des Sportchefs Ruttensteiner und einiger weniger Mitstreiter), nach Jahren des Schmerzes bereit für einen Kultur-und Paradigmen-Wechsel, weil die Erkenntnis da war, dass man es auch mit den siebzehn nächsten satten und drögen Ex-Teamkickerstars nicht schaffen würde; auch weil die grausame Ära Constantini dem ÖFB einen eklatanten Tiefpunkt beschert hatte.

Zum anderen standen ein paar Spieler-Generationen bereit für größere Aufgaben. Das waren die ersten durch das damals neue Akademie-System mit internationalen Ansprüchen ausgebildeten Kicker, da waren die U20-Helden von Kanada, die von Coaches wie Gludowatz gefordert und gefördert wurden. Es ist die erste Generation, die aus sich selber heraus mitdenkt und taktisch/strategisch angeleitet werden will, die erste Generation, der die klassische Nichts-Vorgabe, mit denen die Teamchefs von davor "arbeiteten" zu wenig war, weil sie aus ihren Akademien und ihren Auslandsstationen wussten, dass es besser geht.

Auf diese in dieser Hinsicht willigen und hungrigen Spieler traf Marcel Koller, auf Spieler, die dem beredt-inkompetenten Schweigen seiner Vorgänger nur noch mit Verachtung begegneten. Dazu kam der kleine, aber ausreichende Schutzschirm, den Ruttensteiner und die von Anfang an ans Projekt glaubende, junge Web-Medien-Generation aufspannten, um den widerlichen Wettbewerb des Dreckwerfens, den Mainstream-Medien in Zusammenarbeit mit der Ex-Spieler-/Trainer-Mafia zur Koller-Bestellung ausriefen, abzuwehren.

Koller wurde nicht viel anders willkommen geheißen als syrischer Asylanten von FPÖ-Demonstranten - das wird in diesen Tagen der Verdrängung der Vergangenheit gerne vergessen.

Auf dieser Basis ließ sich arbeiten.
Und auch wenn die Anfänge mühselig und qualvoll waren, auch wenn es unwuchtige Ungereimtheiten und etliche Anlässe für Kritik gab - die Ära Koller atmete von Anfang an eine andere, befreiende und befreite Luft.

Wie hat es Koller dann gemacht?

Mit Basics, dem allerprimitivsten Grundregeln, die es vor seiner Zeit einfach nicht gab.
Dass man eine grundsätzliche Spielphilosophie braucht.
Dass man ein Basis-System braucht.
Dass man einen Matchplan benötigt.
Dass sich eine grundsätzliche Strategie bewährt.
Und dass es dann auch noch taktische Varianten geben muss.

Alles lehrbuchgerecht, und bis Koller in Österreich nicht angekommen; oder besser: nicht angenommen. Selbst die heimischen Coaches, die so (nämlich als Konzept-Trainer) arbeiteten, vermieden die Begrifflichkeit um noch von der Branche und ihrem Wachhund, den Branchenmedien, zerfleddert zu werden. Denn die Branche wollte das nicht, die Branche wollte weiterhin, wie auf Klubebene bis heute, von Wundern leben, in Mirakeln baden, nicht systematisch aufbauen, sondern himmelhoch jauchzen und dann wieder zu Tode betrübt sein. Weil sich das einer Öffentlichkeit, die genauso verfasst ist, besser verkaufen kann, und lange Jahre auch erfolgreich verkaufte.

Dass Erfolge auch mit konkreter analytischer Arbeit, ganz ohne gefühliges Motivieren und Wundergeheile, erzielt werden können, untergräbt die gesamte Geschäftsgrundlage der heimischen Kicker-Branche.

Koller war da nur im Weg und wäre, wenn er nicht schnell Erfolge vorzuweisen gehabt hätte, schnellstens wieder weggemobbt worden, mit Hilfe einer willfährigen Journaille. Weil aber die Anfangshöhe, die er überspringen musste, so gering war, ging alles gut.

Auch wenn die Widerstände, selbst im eigenen Haus enorm waren. Es dauerte bis heuer, ehe endlich alle Jugendnationalmannschaften das (eh unglaublich variable) Koller-System spielen, bis die Opposition (Heraf, aber vor allem Gregoritsch) sich fügte.

Die wirklich wichtige Arbeit fand dann in den wenigen längeren Trainingslagern statt, wo Koller (anfänglich mit seinem Schweizer Co Schmid) begann, einem Kern-Kader sein System beizubringen, nötige Abläufe zu verinnerlichen und ein Team-Gefühl aufzubauen. Er trug den neuen Bedürfnissen dieser Spielergeneration Rechnung und stellte den zielorientierten, arbeitsbezogenen Spaß über die punktuelle Belustigung.

Das alles führte dazu, dass Österreich in der WM-Qualifikations-Campaign für Brasilien 2014 eine gute Rolle spielte, auch wenn (nicht nur mir) schon früh klar war, dass es sich nicht ausgehen würde können, weil noch einiges fehlte.

Dann traf Koller eine lebenswichtige Entscheidung: Er schlug den Job als Schweizer Teamchef aus und verlängerte in Österreich. Das zeichnet ihn als professional aus, der lieber mit einer von ihm selbst aufgebauten Struktur weiterarbeiten wollte (und ahnte, dass der Erfolg ihn belohnen würde), als einen satt dotierten bequemen Heimat-Posten anzutreten, bei dem er wieder von vorne beginnen musste.

Jeder Österreicher (die Ausnahmen stehen oben), vor allem jeder der Koller-Kritiker, hätte den Heimat-Job angenommen und so seinen Kleinmut offenbart.

Wieso jetzt diese Siegesserie?

Ich kenne den Spruch mit den Tauben, er trifft aber auf die menschliche Psychologie genauso zu: Wo Selbstbewusstsein ist, fliegt Selbstbewusstsein zu.

Leistungsträger wie Arnautovic oder Harnik oder Baumgartlinger oder Junuzovic, einstige Mitläufer wie Klein, aber auch die beiden Ausnahmetalente Alaba und Dragovic (die sowieso groß geworden wären) profitieren von ihren Nationalteamauftritten so sehr, dass sie sich schlussendlich bei ihren Vereinen durchsetzen und auch dort Leistungsträger werden.

Von Koller mit dem Stempel "ich vertrau dir" versehene Akteure wie Almer, Fuchs oder Janko spielen auch dann, wenn sie im Verein monatelang kein Licht sehen. Und ziehen sich daran hoch, steigern sich, verbessern sich in jeglicher Hinsicht.

In seinem allerersten Spiel mit Österreich stellte Koller bereits 8 der 11 Starter von gestern auf dem Platz. Wer bei Koller im Team spielte, konnte sich immer sicher sein, nicht als Sündenbock für eine (fixe) Trainer-Fehlleistung abgewatscht zu werden. Im Gegenteil: Bei Koller gibt es neben Sicherheit des Arbeitsplatzes auch hohe Verlässlichkeit was Befehlsausgabe, Mitspracherecht und Trickstertum betrifft. Und bis auf Paul Scharners patscherten Abtritt gab es auch keine hochnotpeinliche Personalie - Koller verstand seine Entscheidungen immer zumindest ungefähr zu argumentieren.

Die neugewonnene Sicherheit in Kombination mit den verbesserten Automatismen, der fast schon sektenartigen Teamfähigkeit schloss dann in der EM-Quali-Periode die letzte Lücke: die eklatante Auswärtsschwäche. Im womöglich gut gefüllten Gegner-Stadion in einer womöglich druckbeladenen Situation mit womöglich unklarer Aufgaben-Verteilung und ohne Plan (geschweige denn einem Plan B) zu bestehen war vor Koller nur dank Freund Zufall möglich. Und auch unter Koller, in der WM-Quali, eine schwierige Kiste. Auch der Coach selber musste erst in die Aufgabe hineinwachsen, die Übervorsicht abzulegen und an Kleinigkeiten zu schrauben.

In die EM-Quali ging Koller dann bereits mit seiner l'equipe type: Almer; Klein, Dragovic. Hinteregger, Fuchs; Alaba, Baumgartlinger, Harnik, Junuzovic, Arnautovi; Janko. An dieser Einser-Formation hat sich nichts geändert, einzig Prödl ersetzt aktuell den verletzten Hinteregger. Und trotzdem war dieses Heim-Remis das letzte Gefahren-Moment für das ÖFB-Team. Die Zufriedenheit, die nach einem Punkteverlust gegen einen Mitbewerber und vor allem, einem nicht wirklich guten Spiel im Land und auch im Team herrschte, hätte dann einen Knacks in die Selbstsicherheits-Spirale eingefangen, wenn die beiden nächsten Aufgaben nicht erledigt worden wären. Wurden sie aber; weil die Festigkeit von Mannschaft und Philosophie, die Sicherheit der richtigen Vorbereitung und Strategie, die jeweilige Wahl von Taktik und Notvariante und vor allem das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten mehr als gegeben war. Und vor allem der Heimsieg gegen Montenegro bleibt eine der besten Vorstellungen eines ÖFB-Teams ever. Auch wenn die Dramaturgie den Triumph von Solna noch unvergessener macht.