Erstellt am: 9. 9. 2015 - 12:47 Uhr
Willkommenskultur
Das erste was ich gesehen habe, war die Kirche nebenan mit der Aufschrift: "Es gibt nur einen, der dich liebt: Jesus Christus!" Niemand hat auf mich am Bahnhof gewartet.
Dieses Wochenende waren ich und meine liebe M. am gleichen Westbahnhof, um den ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Auf der Homepage der freiwilligen Helfer stand, dass Essen und Kleidung nicht gebraucht werden. M. hatte Malbücher und Seifenblasen mitgebracht, um die Kinder aufzuheitern, die die lange Reise von Syrien, Afghanistan oder dem Irak hinter sich haben.

APA/Hans Punz
Die Bilder von der humanitären Krise auf dem Budapester Keleti-Bahnhof und die von den ertrunkenen Menschen auf den griechischen Inseln gingen um die Welt. Plötzlich änderte sich die Stimmung gegenüber Flüchtlingen. Man fing an über eine neue "Willkommenskultur" zu sprechen. Die Medien zeigten Bilder von Menschen, die die Flüchtlinge mit Plüschbären und Malbüchern in den Händen erwarten.

Christian Stipkovits FM4
Ich dachte nach, was ich in diesen neun Jahren erlebt habe. Über die ganzen Türen, die mir vor der Nase zugeknallt wurden. Ich habe mehrere Jahre, noch vor meiner Ankunft, die deutsche Sprache und die österreichische Kultur studiert. Trotzdem durfte ich jahrelang nicht legal arbeiten und konnte keine normale Wohnung finden. Ich dachte nach, über all die Menschen, die mir mit der Fremdenpolizei gedroht haben. Ich musste mich jeden Tag irgendwo dafür rechtfertigen, dass ich am "falschen" Ort geboren wurde. Es ist mir schon mal passiert, dass sich der Arbeitgeber bei einem Jobinterview wundert, wie ich es mit einem bulgarischen Pass überhaupt hierher geschafft habe.

Orf.at/Peter Prantner
Dieses Wochenende sah ich am Bahnhof Burschen, die so alt waren, wie ich vor neun Jahren. Ich stellte mir vor, dass für sie gerade eine neue Reise beginnt. Was passiert mit diesen Menschen jetzt? Nachdem sie die Plüschbären und die Malbücher aufgesammelt haben, nachdem die letzte Seifenblase geplatzt ist? Die Gesellschaft sollte sie schleunigst integrieren. Und Integration bedeutet nicht "Anpassung", so wie es gewisse politische Parteien verstehen. Integration ist kein einseitiger Prozess, sondern die Möglichkeit auf gleiche Chancen für alle.
Diese Menschen sind bereits da. Und sie werden da bleiben. Viele mehr werden folgen. Sie können nicht ewig in Flüchtlingslagern gehalten werden. Denn diese Burschen am Wiener Westbahnhof werden hoffentlich zukünftige Ärzte, Ingenieure und FM4-Kolumnisten. Oder vielleicht sogar der zukünftige österreichische Bundeskanzler.