Erstellt am: 8. 9. 2015 - 19:39 Uhr

The daily Blumenau. Extra Edition, 08-09-15.

Österreich macht in Schweden die EM-Teilnahme klar. Und das nicht irgendwie, sondern mit einer exzellenten vorbildhaften und hoffentlich stilprägenden Leistung.

22 Uhr 35 einhalb. Der zweite Matchball ist verwertet, obwohl es eh noch zwei weitere gegeben hätte, und das in einer Art und Weise, die niemand für möglich gehalten hatte.
Ja, der Spielverlauf war günstig.
Ja, der Gegner war nicht gut genug, Schweden stellt aktuell einfach keine Europa-Klasse dar.
Aber: So muss man das einmal hinkriegen, mit soviel Selbstsicherheit, mit soviel Mut, mit so viel Schläue, mit soviel Genauigkeit, mit (wieder) soviel Geduld, mit soviel spielerischer Exzellenz.

APA / Robert Jäger

Marcel Koller beim Feiern im Flugzeug

Es ist ein zutiefst unösterreichischer Triumph, einer ohne Jammern und Zagen, einer ohne Gestänkere, einer ohne Wadlbeißerei, einer ohne Minderwertigkeits-Gefühle.
Es ist ein Erfolg des kühnen Denkens, des konsequenten Handelns, der konzisen Planung - und das genaue Gegeteil von schaumermal.

Das heutige Match soll und muss stilprägend sein.
Die nächste Stufe hat schon gezündet.

Und final wird es dann noch eine Lehrstunde...

Janko gegen Granqvist, das ist ein Zweikampf, der sich intensitätsmäßig gewaschen hat.

Das 0:3 in Minute 76 fiel nach zwei, drei wirklich großen Chancen, die besser waren als alles, was die Schweden im ganzen Spiel hatten. Und es fiel nach einer wunderbaren Kombination über viele Stationen, es war absichtsvoll vorbereitet und klug abgeschlossen, von Marc Janko eben.

Nicht, dass es vorher nicht schon klar war, dass Österreich das schafft, aber mit einem Gegentor oder zwei, die ja auch nichts angerichtet hätten, wäre schon zu rechnen gewesen, weil ja doch die Spannung systematisch abfällt.
Aber jetzt, jetzt ist es vorbei, Schweden gibt sich auf, wird vom Publikum aufgegeben.

In Minute 80 kommt 20 Sabitzer für 10 Junuzovic, ein Moment der Schonung, eh klar.. zwei Minuten später kommt 21 Durmaz, ein offensiver Flügel für 5 Martin Olsson, den Linksverteidiger. Und in der 83. dann 6 Ilsanker für 21 Janko, auch der Schonung wegen. Dann noch 18 Khalili für 8 Ekdal, whatever. Und noch 22 Jantscher für 7 Arnautovic, der gar nicht so recht runter mag.

Ein paar Minuten vor dem Ende bäumen sich die Schweden noch auf, es gelingt aber nix mehr, Almer hext wild um sich.

Für Österreich ist das die erste Qualifikation für ein EM-Turnier aus eigener Kraft, ein historisches Datum also.
Für Schweden ist diese Niederlage vielleicht ebenso bedeutsam: sie zeigt die Notwendigkeit des Überdenkens einer Institution; des quasi verfassungsmäßig vorgegebenen 4-4-2-Zwangs. Damit, vor allem so, wie es in Schweden gespielt wird, verliert man den internationalen Anschluss, damit ist kein Staat mehr zu machen. Und das hat heute jeder gesehen.

Das 0:4 von Harnik (88., auch wieder hervorragend herausgespielt) zeugt davon. Und auch Ibrahimovic' schönes Gegentörchen (91.) kann das nicht verhindern.

2H: more of the same, prächtiger/schlimmerweise

In Minute 51 spielt Marcus Berg einen brauchbaren Ball einfach so ins Tor-Out. Es war kein Pass und kein Schuss, sondern schlichte Verzweiflung. Team Schweden ist fertig, hat in der Pause kein Rezept gefunden. Die einzige sichtbare Veränderung ist das Vorziehen der Flügelspieler, um so eine Art 4-2-1-3 zu generieren. Das macht qualitativ aber keinen großen Unterschied. Källström ist im Zentrum zwar anspielbar, ihn überfliegen aber, ganz klassisch, die Bälle, so bleibt letztlich nur die Flügeloption, zu wenig für ein versatiles Spiel.

Österreich zieht sich in der Defensive in ein 4-5-1 zurück, stört nur noch mit Janko, lässt den Gegner kommen, vertraut auf dessen Unkreativität und die eigene Antizipationsstärke. Und kontert, mit Köpfchen und eindeutig geplanterweise - tolle Alaba-Chance in Minute 58, Isaksson rettet.

Erster Wechsel, logisch, bei Schweden. Der neue Stürmerstar 11 Thelin kommt. Davor droht wieder eine Ibra-Freistoß-Granate, droht aber eben nur; beim Kapitän ist die Luft draußen. Wenn Hamrin 22 Zengin rausnimmt, dann kann er auf ein echtes 4-3-3 umstellen (62.). Passiert dann aber nicht, Thelin geht auf die rechte Seite, ersetzt Zengin dort 1zu1.

Berg schießt den gut platzierten Almer am kurzen Eck an, auch das war keine Großchance für Schweden. Derlei hatte das ÖFB-Team vergleichsweise im Übermaß.

Okay, es ist zugegebenermaßen schon auch so, dass dieses schwedische Team nicht gut ist. Das war auch am Samstag gegen Russland zu sehen. Hier fehlt die Klasse, um bei einem großen Turnier einigermaßen gut zu performen.

Aber: Wie Team Österreich dies Schwäche ausnützt, um die eigene Stärke zu zelebrieren, wie man sich auf des Gegners Platz den Aktiv-Part herausnimmt, wie Kollers Truppe seine technische und taktische Überlegenheit ausspielt, das nötigt Respekt ab. Und zwar nicht nur meinen und den von ganz Österreich, sondern internationalen, da bin ich mir sicher.

Das immer noch verblüffte Halbzeit-Fazit

Österreich ist in Frankreich bei der Euro.
Eh schon seit einiger Zeit, jetzt aber fix.
Und selbst wenn die Drei-Kronen das noch drehen sollten, diese Halbzeit allein sollte dafür qualifizieren.

Wesentlichste Erkenntnis: Was Selbstvertrauen alles ausmacht. Das ÖFB-Team glaubt an sich selber und deshalb spielt es herausragend; die Gegner haben auf Grund der unglaublichen Serie nicht mehr nur Respekt, sondern Angst und deshalb spielen sie verstört. Auch und vor allem auswärts, wo man unter der im Vergleich zu Koller hilflosen Vorgängerschaft, vor allem dem geistig statischen Constantini, komplett verloren war.
Kopfsache eben. Und dazu bedarf es eines Kopfes, in dem moderner Fußball drinnen ist (dem Kollers etwa) und keines, der einzig einen Selbstbespiegelungs-Spiegel beherrbergt.

0:2 nach 40 Minuten, unglaublich oder völlig verdient?

Beides.
Unglaublich, dass praktisch jede fordernde Situation einen Treffer nach sich zieht (in diesem Moment wird die erste Chance vergeben, Arnautovic in Minute 41).
Und völlig verdient, weil Schweden bis auf zwei Freistöße nichts entgegenzusetzen hat, vor allem keine einzige sicher gespielte Kombination.
Und weil Österreich sich nicht wie ein ängstliches Auswärtsteam benimmt, sondern wie ein Mitspieler auf Augenhöhe.
Und weil Österreich sich nach dem zweiten Tor nicht feixend zurückzieht, sondern bis zum Halbzeit-Pfiff die dominierende Mannschaft bleibt, sich jetzt die Chancen erspielt, die die Tore im Nachhinein rechtfertigen.
Bei Schweden kommt der letzte Paß einfach nicht an, jede Halbchance wird von einer deutlich gefährlicheren ÖFB-Szene konterkariert.
Diese Führung ist hochverdient.

Wie sich im Unerwarteten zurechtfinden?

Schweden greift durchaus wütend an, mit mindestens fünf Frontspielern, den vier deklarierten Offensiv-Kräften und noch ein Außenverteidiger, dahinter dann Källström und der andere Außendecker, das sind verdammt viele Beine.

Mit diesem Spielverlauf hat unter Garantie keiner der beiden Teamchefs kalkuliert - insofern erleben wir in der ersten Hälfte also eine Menge Improvisation.

Nur die schwedische Defensiv-Grundformation ist so wie geplant - 4-4-2, zwei Ketten und zwei Störer davor. Ich frage mich, ob man/Hamrin in dieser Lage nicht von dieser Selbstverständlichkeit abgehen sollte.

Nach Granqvist kriegt auch Junuzovic eine berechtigte gelbe Karte (24.) Den daraus folgenden Freistoß fetzt Ibrahimovic knapp vorbei. Wohl für genau solche Szenen ist der nicht vollfitte Superstar also auf dem Platz.

Das ÖFB-Team scheint sich seiner Sache recht sicher zu sein. In der Normalformation stehen Alaba-Baumgartlinger so weit vor ihrer Viererabwehr, dass die sich mit exakt vier Gegnern herumschlagen muss. Und sie sehen nicht beunruhigt aus, trauen ihrer defense eine 1zu1-Mann-gegen-Mann-Verteidigung also zu.

Gelbe Karte auch für Janko. Um die möglichen Sperren und Gefährdungen kümmert sich keiner, und auch das ist richtig so, die Rücksichtnahme würde entscheidende Zentimeter kosten. Und die sind heute eng gesetzt.

Schwedens Chef-Tugend ist heute der Wille, jeden Ball zu bekommen, das größte Problem der gelb-blauen ist die hohe Paß-Ungenauigkeit, die merkliche Unüberlegtheit bereits beim vorletzten Zuspiel. Die Automatismen, die ein klassisches 4-4-2 bereithält, funktionieren gar nicht. Können es im modernen Fußball auf gutklassigem Niveau auch gar nicht mehr, dazu ist das Spiel zu schnell geworden.

Es ist erstaunlich, wie viele zweite Bälle die Österreicher auf Grund ihrer deutlich besseren Technik kriegen. Und genau so etwas führt zum 0:2, der Einwurf (Min 38) kommt aus einem solchen Ballgewinn, Jankos Kopfweitergabe und Harniks Verwertung aus unmöglicher Position am langen Eck zeugen von dieser Überlegenheit.

Ein echt überraschender Auftakt - gegen jeden Matchplan

Nach einer Abtastphase, in der es das ÖFB-Team schafft sich der allerersten Attacken zu erwehren, und es Team Schweden nicht schafft überfallsartige Power zu entwickeln, folgt in Minute 8 ein Elferpfiff der Überraschung; auch wenn die Zeitlupe sagt, dass es okay war - sowas ist ungewöhnlich, Penalty fürs Auswärtsteam in so einer frühen Phase...

In Minute 9 nutzt David Alaba also diese tolle Chance und lupft den Elferball über Isaksson: 0:1. Fast im Gegenzug muss Tormann Almer bei einem Ibra-Freistoß ordentlich springen und fausten, um den Ausgleich zu verhindern.

Österreich reagiert hart, mit scharfen Offensivpressing gegen die beiden sehr weit auseinandergezogenen Innenverteidiger, was den schwedischen Aufbau, der eh nicht der kreativste ist, erschwert. Dafür steht die ÖFB-Vierer-Abwehr recht eng, die Außenverteidiger bleiben einmal sicherheitshalber recht tief stehen.

Man erwartet die schwedischen Angriffe in einem 4-2-4, mit schwer ausrechenbaren und störenden Offensiv-Kräften und einer fixen Sechser-Unit im Defensivverbund.

Schweden wirkt zwar entschlossener als im Russland-Match, wirklich kombinationssicher sieht aber nichts, was sie fabrizieren, aus. Die erste heikle Szene ist eine Ibra-Chance in Minute 17. Kurz danach hätte der Schiri seinerseits die Chance auf einen Konzessionselfer, zieht sie aber nicht, auch mutig.

Das Vorgeplänkel war recht straight

Der Gegner hat sein Line-Up früh klargemacht. 1 Isaksson; 7 Sebastian Larsson, 4 Granqvist, 3 Antonsson, 5 Martin Olsson; 22 Zengin, 8 Ekdal, 9 Kallström, 6 Emil Forsberg; 19 Marcus Berg, 10 Ibrahimovic (C).

Schweden spielt also (in gelb-blau) im scheinbar klaren 4-4-2, doch mit dem angeschlagenen Ibrahimovic. Auffällig: mit Sebastian Larsson bekleidet ein echter rechte Flügel die Außendecker-Position und verdrängt Bengtsson. Der zuletzt gesperrte Källström kommt zurück und ersetzt den etwas defensiveren Wernbloom. Außerdem spielt Berg statt des eher erwarteten Toivonen.

Klar, warum: Russland droht einen Lauf zu kriegen und Schweden noch von Platz 2 wegzudrängen. Ob der unbedingte Glaube an Super-Ibra (selbst dann, wenn er deutlich geschwächt ist, wie in Moskau) den Tre Kronor so viel bringt, ist die Frage. Womöglich ist Team Schweden ohne einen halberten Superstar sogar stärker. Aber da geht es auch um Psychologie und Motivation etc.

Österreich ist das glücklicherweise egal, Österreich startet in weiß-schwarz um 20.45 in Solna mit demselben Team wie zuletzt: 1 Almer; 17 Klein, 15 Prödl, 3 Dragovic, 5 Fuchs (C), 8 Alaba, 14 Baumgartlinger; 11 Harnik, 10 Junuzovic, 7 Arnautovic; 21 Janko.

Das ÖFB-Team muss nichts, kann auch verlieren, sofern die Leistung eine ordentliche ist. Die Euro wird früh genügt klargemacht werden. Heute ist Kür, nicht Pflicht.

Das Haus ist gut gefüllt, der Schiedsrichter kommt aus Spanien, die historische Rückschau ist abgehakt.

Im Vorspiel zum zweiten Euro-Matchball bewähren sich erst einmal die U21-Junioren

Ja, die EM-Qualifikation ist erst heute Abend möglich - die (ewig lang dauernde) Campaign für die Euro der U21 hat gerade erst begonnen. Und trotzdem ist bei der aktuellen U21 einiges an Parallelen zum A-Team festzuhalten.

Die jüngste ist die des Systems. Werner Gregoritsch ist nämlich mittlerweile von seinem langjährigem Diktum, seinem 4-4-2, abgerückt und hat Kollers 4-2-3-1 nicht nur unwillig übernommen (wie vor Jahresfrist zu erkennen), sondern verinnerlicht; bzw verinnerlichen lassen.

Wesentlich wichtiger ist aber die Tatsache, dass mittlerweile praktisch das gesamte Team stammspielt. Und zwar nicht irgendwo, sondern entweder im (betuchten) Ausland oder bei heimischen Liga-Vereinen. Die Zeiten als man bei der U21 auf Hinterbänkler zurückgreifen musste, sind vorbei. Auch vorbei ist der völlig planlose Hochzieh-Wahn vergangener Zeiten, als jedes halbwegs hoffnungsfrohe Talent vorschnell in den A-Kader befördert wurde. Heute werden Top-Leute wie Alessandro Schöpf, Louis Schaub, Tino Lazaro oder Michael Gregoritsch bei der U21 belassen, weil sie sich dort deutlich gesicherter reinspielen können.

Zudem hat Gregoritsch eine zentrale Achse zur Verfügung, wie man sie sich sonst nur malen könnte: mit Lukas Gugganig und Philipp Lienhart bzw Christian Gartner und Dominik Wydra oder eben Schöpf sind Innenverteidigung und zentrales Mittelfeld mit höchst zukunftsträchtigen jungen Leuten besetzt, die in Deutschlands zweiter und Spaniens dritter Liga als Stammkräfte unterwegs sind. Außerdem hat der alte Polterer aufgehört Talente nur des I-Zag-eich-wer-da-Chef-do-is!-Mythos wegens zu verprellen. Ivan Lucic ist ebenso im Kader wie Ylli Sallahi oder Philipp Mwene. Man sieht, sogar des Außenverteidiger-Problems nimmt sich Gregoritsch durchaus seriös an.

Die Testspiel-Erfolgsserie der U21 wollte man nicht überbewerten, einige Male sah die Performance auch noch ein wenig staksig aus. Jetzt, beim Ernstfall der EM-Qualifikation klappt aber gleich einiges. Auswärtssieg in Baku, gegen Azerbeidjan, auf Kunstrasen, und am Nachmittag gerade eben ein 4:3 Sieg gegen Russland, der unnötig knapp ausfiel, eigentlich war man eher zwei Tore besser als der ein wenig ängstlich agierende und vor allem technisch enttäuschende Gegner. Im Gegensatz dazu brilliert das ÖFB-Juniorenteam mit gut eingespielten Kombinationen, die auf abgesicherten Laufwegen stattfinden. Man hat eine (auch mit dem A-Team) gemeinsame Philosophie, eine offensiv denkende und auf kluges Umschaltspiel orientierte Spielanlage und offenbar mittlerweile auch eine Idee wie man einem jeweiligen Gegner beikommen kann. Das sind alles Dinge, die (vor allem unter Gregoritsch) noch vor einem Jahr nicht denkmöglich erschienen.

Und noch eines hat die aktuelle U21 vom A-Team übernommen: die Ruhe, und die Sicherheit ein Tor mehr als der (als jeder) Gegner schießen zu können. Immer. Vor diesem (neuen) Selbstbewusstsein hatte der heutige Gegner sichtbaren Respekt, kam deshalb auch nie aktiv ins Spiel, selbst der zweimalige Ausgleich (zum 2:2 und zum 3:3) wirkte nur wie ein Reflex. Und so führte just ein Vorstoß des für die Umstellung auf ein finales 4-4-2 gebrachten Friesenbichler (den Schöpf wunderbar verwertete) zum Siegtor. Einem Tor, das ebenso wie das Siegtor gegen Moldawien nie in Frage stand, fallen wollte und also fallen musste.